Casemiro bei Manchester United: Zement gegen die Skepsis

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Trotz anfänglicher Skepsis und Startschwierigkeiten entwickelte sich Casemiro bei Manchester United zur erhofften Verstärkung im defensiven Mittelfeld. Der "Zement" überzeugt auch mit englischen Tugenden.

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Casemiro ist womöglich der englischste Brasilianer der Welt. Zu den Kernkompetenzen des 30-Jährigen aus der Nähe von São Paulo zählen weder Tricks noch Dribblings, sondern vor allem Tacklings und Zweikämpfe. Bei seinem Wechsel zu Manchester United im vergangenen Sommer kam somit gewissermaßen zusammen, was zusammenkommen sollte.

Tatsächlich glänzt Casemiro mit seiner Spielweise in der Premier League bisweilen wie ein waschechter englischer Recke, beispielsweise bei Manchester Uniteds 3:0-Sieg gegen Nottingham Forest am Dienstag: Anthony Martials 2:0 leitete er mit einem starken Tackling an der eigenen Grundlinie ein und auch im Vorfeld von Freds 3:0 gelang ihm der entscheidende Ballgewinn. Wohl nirgendwo sonst werden solche Aktionen dermaßen gefeiert wie in England. Casemiro darauf zu beschränken, wird ihm aber nicht gerecht: Einmal mehr glänzte er auch mit herausragendem Passspiel.

In der Fachpresse bekam er Bestnoten, United-Legende Rio Ferdinand twitterte: "Ich liebe diesen Typen." Begrüßt wurde dieser Typ im vergangenen Sommer nach seinem 71 Millionen Euro teuren Transfer von Real Madrid in Manchester aber mit Skepsis. Auch von Ferdinand, am exemplarischsten steht aber wohl eine Aussage des TV-Experten Graeme Souness, der meinte: "Er ist kein großartiger Spieler und war nie einer."

Generell ist es ein bekanntes Muster, dass britische Experten Verpflichtungen aus dem Ausland gerne erst einmal kritisch bewerten. Und für Casemiro persönlich ist es ein bekanntes Muster, unterschätzt zu werden.

Manchester United: Skepsis wegen Casemiro-Transfer

Casemiro gewann mit Real in acht Jahren zwar unter anderem fünf Champions-League-Titel, stand aber meist im sprichwörtlichen Schatten der herausragenden Stürmer. Im Schatten von Gareth Bale oder Cristiano Ronaldo, von Karim Benzema oder Vinicius Junior. Ja, selbst im Mittelfeld wurden in der Öffentlichkeit eher seine beiden ewigen Nebenmänner gepriesen: der deutsche Weltmeister Toni Kroos und Luka Modric, der 2018 sogar den Ballon d'Or verliehen bekam.

Für wie wichtig seine Kollegen Casemiro halten, zeigte sich spätestens bei seinem überraschenden Abschied im vergangenen Sommer. Kroos und Modric verfassten in der Marca einen emotionalen Brief, sein Landsmann Vinicius schrieb bei Instagram: "Es gibt nicht viel zu sagen. Danke und Danke. Jedes Team braucht einen Casemiro."

Begründet war die Skepsis über den Transfer aber nicht nur durch Casemiros hohe Ablösesumme trotz fortgeschrittenem Alter und eher unspektakulärer Spielweise, vielleicht sogar noch mehr durch Uniteds Vergangenheit. Seit der erfolgreichen Ära unter Trainer Sir Alex Ferguson spezialisierte sich der englische Rekordmeister darauf, ohne Konzept viel Geld für berühmte Spieler (und Trainer) auszugeben. Als Paradebeispiele dienen Alexis Sanchez, Memphis Depay oder Jadon Sancho, die trotz hoher Ablösesummen und großer Erwartungen floppten.

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Manchester United: Was Casemiro auszeichnet

Auch Casemiro tat sich in Manchester zunächst schwer. Er stieß in eine unter dem neuen Trainer Erik ten Hag verunsicherte Mannschaft, die sich an den ersten beiden Spieltagen gegen Brighton & Hove Albion und den FC Brentford blamiert hatte. Die unklare Zukunft von Superstar Cristiano Ronaldo sorgte für zusätzliche Unruhe.

Ten Hag vertraute auf der Sechs zunächst Eigengewächs Scott McTominay, Casemiro kam nur von der Bank. Seine persönliche Wende war die 3:6-Derbypleite gegen Manchester City Anfang Oktober. Casemiro wurde beim Stand von 1:4 eingewechselt und strukturierte Uniteds Spiel sichtlich. Seitdem verpasste er in acht Premier-League-Partien nur drei Minuten. Seinen wohl größten Auftritt hatte er beim Auswärtsspiel gegen den FC Chelsea, als er tief in der Nachspielzeit per Kopf zum 1:1-Ausgleich traf.

Uniteds einstige Problemzone Mittelfeld verwandelt sich seit Casemiros Startelf-Integration zunehmend zu einer Stärke. Das Zusammenspiel mit seinem offensiveren Nebenmann Christian Eriksen, ebenfalls erst im Sommer verpflichtet, klappt immer besser. "Es macht Spaß, neben ihm zu spielen", lobte Eriksen. "Wenn du den Ball verlierst, holt er ihn zurück - und außerdem ist er selbst auch gut am Ball."

Mit fast schon furchteinflößender Präsenz dominiert Casemiro Uniteds Mittelfeld. Er liefert kluge Spielverlagerungen, unterbindet Konter dank starkem Stellungsspiel und Zweikampfverhalten frühzeitig. Seine womöglich größte Stärke sind aber Tacklings, beim Sieg gegen Nottingham einmal mehr bestens vorgeführt. Seit Casemiro Teil von Uniteds Startelf ist, verzeichnete er 35 Tacklings. Die zweitmeisten nach Joao Palhinha vom FC Fulham.

Neymar: "Casemiro ist der beste Mittelfeldspieler der Welt"

Ten Hag verglich Casemiro in einem Interview mit der offiziellen Klub-Website noch vor der Weltmeisterschaft in Katar mit "Zement": "Sowohl bei eigenem als auch gegnerischem Ballbesitz macht er den Unterschied. Er gibt der Mannschaft das gewisse Etwas und hilft ihr, zu dominieren. Er kann das Spiel lesen und unterstützt seine Mitspieler, indem er ihnen die richtige Positionierung anzeigt."

Casemiros Topform tat auch die aus brasilianischer Sicht enttäuschende WM keinen Abbruch. Rund zweieinhalb Wochen blieben ihm bis zum Spiel gegen Nottingham, um sich vom Viertelfinal-Aus gegen Kroatien zu erholen. Casemiro selbst traf eher keine Schuld an der Pleite, er überzeugte im Spiel und verwandelte seinen Versuch im letztlich verlorenen Elfmeterschießen.

Zuvor hatte Casemiro Brasiliens Weiterkommen ins Achtelfinale mit seinem Tor zum 1:0 gegen die Schweiz am zweiten Gruppenspieltag gesichert. "Casemiro ist schon seit langem der beste Mittelfeldspieler der Welt", twitterte sein zu diesem Zeitpunkt verletzter Kollege Neymar. Darauf angesprochen, sagte Nationaltrainer Tite: "Ich stimme ihm zu."

Nun möchte der vermeintlich beste Mittelfeldspieler und englischste Brasilianer dafür sorgen, dass er in der kommenden Saison wieder in seinem Lieblingswettbewerb mitspielen darf. Aktuell rangiert United in der Premier League auf Tabellenrang fünf, der Rückstand auf den ersten Champions-League-Qualifikationsplatz beträgt bei einem Spiel weniger aber nur einen Punkt. In den beiden nationalen Pokalwettbewerben und in der Europa League bestehen noch Titelchancen.

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