Kolumne Auswärtsspiel - Der FC Liverpool ist entschlüsselt: Warum Jürgen Klopp die Reds neu erfinden muss

Jürgen Klopp
© getty

Der Saisonstart des FC Liverpool erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten. Jürgen Klopp muss die Reds neu erfinden - und hat wohl eine Lösung.

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Für Jürgen Klopp ist es immer wieder ein Moment der Ohnmacht, aber er kann es eben nicht lassen. "Es ist pervers, zuzuschauen, auch wenn du schon weißt, dass du null Punkte bekommst."

Dass der Trainer des FC Liverpool dabei lachen kann, hat mit der Tatsache zu tun, dass er nicht über Fußball spricht, sondern über den Eurovision Song Contest. Über seine Erfahrungen als Deutscher in den letzten Jahren, indem die Beiträge seiner Landsleute in aller Regelmäßigkeit punktlos auf dem letzten Platz landen.

Beim Fußball ist es noch nicht schlimm, dass er dabei zusehen muss, dass seine Mannschaft keine Punkte mehr bekommt. Aber weniger Zähler als früher sind es. Nach sieben Spielen in der Premier League holte Liverpool gerade mal zwei Siege und vier Unentschieden. So einen schwachen Saisonstart erlebten die Reds zuletzt 2014/15.

Am Ende wurde Liverpool Sechster - es war der Anfang vom Ende von Klopp-Vorgänger Brendan Rodgers. So weit ist Klopp nicht: Er hat einen der sichersten Jobs der Fußballszene, aber das beruhigt den Mann nicht, der rund zehn Prozent aller Titel der Liverpooler Klubgeschichte auf sein Konto verbucht hat und dem Niederlagen "Schmerzen zufügen", wie er zuletzt in einem Interview erklärte.

FC Liverpool die drittälteste Mannschaft der Premier League

Woran es liegt, dass der FC Liverpool in dieser Saison so schwach gestartet ist, dafür gibt es viele Erklärungen. Weniger von Klopp, oftmals von außen. Viele Experten wie Jamie Carragher oder Rio Ferdinand erklären jede Woche etwas anderes, prangern mal die Mentalität an, mal die Taktik oder den langsam voranschreitenden Umbruch. Vieles davon hat seine Berechtigung, wobei Klopp ein Grundsatzproblem gar nicht sehen will.

Er erkennt die Komplikationen im Hier und Jetzt. "Gibt es eine schnelle Lösung?", fragte er neulich nach dem 3:3 gegen Brighton & Hove Albion in der Liga und antwortete selbst: "Ja, wir können uns verbessern. Wir können genau so spielen wie bisher und es besser machen - das ist schon eine Lösung." Aber Klopp ist es auch, der immer wieder zwischen den Zeilen erklärt, dass er gerne mehr Mittel für einen größeren Umbruch hätte.

Im Liverpooler Kader stehen insgesamt zwölf Spieler, die mindestens 28 Jahre alt sind. Das Durchschnittsalter aller Liverpooler Spieler, die in dieser Saison eingesetzt wurden, liegt bei 27,8 Jahren. Die Reds sind damit nach West Ham United und dem FC Fulham die drittälteste Mannschaft der Liga.

Klopp hält aber dagegen: "Wir haben Fábio Carvalho, Darwin Núñez, Luis Díaz, Diogo Jota. Wir haben bereits die nächste Generation der Spieler. Wir haben Ibrahima Konaté. Die sind alle jung." Gefragt nach dem Umbruch, sagt Klopp: "Wir sind schon dabei."

Jürgen Klopp hat den sichersten Job der Fußballszene

Und daher verlängerte er auch seinen Vertrag bis 2026: "Ein Umbruch gehört dazu, da wollte ich dabei sein." Ohne Zweifel, dass er der richtige Mann dafür ist: "Ich bin hier im Moment noch am richtigen Ort, hundertprozentig. Und wenn nicht, dann muss man es beenden. Es wäre ja doof, wenn man das nicht machen würde. Aber alle Beteiligten sehen das nicht."

Weder die Klub-Bosse aus den USA, noch das Umfeld, noch die Mannschaft, die Klopp - wie es heute so oft heißt - nicht verloren hat. Zumindest nicht emotional, aber taktisch muss er ihr wahrscheinlich wirklich einen neuen Anstrich verpassen. Einen wichtigen Hinweis gab Carlo Ancelotti im Vorfeld des Champions-League-Endspiels im Mai. Der Trainer von Real Madrid sagte damals, dass Liverpool "leichter zu entschlüsseln" sei als andere Mannschaften, die Real Madrid auf dem Weg ins Finale ausschalten musste.

"Sie haben eine sehr klare Identität und wir konnten uns so vorbereiten, wie wir es getan haben", so der Italiener damals: "Wir wussten, welche Strategie wir verfolgen mussten." Selbst aus dem Liverpooler Lager gab es dazu eine Bestätigung - von Torhüter Alisson Becker: "Wenn Mannschaften gegen uns spielen, wissen sie, wie wir spielen, und versuchen, das auszunutzen. Sie versuchen, das gegen uns zu nutzen."

Vor allem defensiv lassen sich die Probleme festmachen. Liverpool hat in den letzten 16 Spielen gleich zweimal das erste Tor kassiert und musste aufgrund dessen zu oft einem Rückstand hinterlaufen. Die Lücken, die sich aufmachten, sorgten für eine Instabilität der Mannschaft. Noch krasser: Bis zum 2:0 gegen die Rangers aus Glasgow am Dienstag und das 9:0 gegen Bournemouth ausgeschlossen, hat Liverpool in dieser Saison kumulativ weniger als 30 Minuten geführt.

FC Liverpool: Die ermutigende Umstellung gegen die Rangers

Fakten, die Klopp zum Nachdenken bringen. Und sogar zum Umdenken. Schon nach dem 1:4 gegen Neapel sagte er: "Es sieht so aus, als müssten wir uns neu erfinden. Es hat uns an vielen Dingen gemangelt." Gesagt, getan. Im besagten Spiel gegen die Rangers verzichtete Klopp erstmals nach langer Zeit wieder auf sein bewährtes 4-3-3-System und setzte auf ein 4-4-2, das seiner Mannschaft sichtlich guttat.

Sie hatte nicht mehr den Drang, unbedingt den Ball zu haben und fühlte sich gut dabei. "Wir wollten anders verteidigen als sonst", erklärte Klopp auf der Pressekonferenz danach. Die Umstellung gefiel auch seinen Spielern: "Wir sind wieder zu einem 4-4-2 zurückgekehrt und haben es sehr gut gespielt. Wir haben sehr gut über das Spielfeld verschoben und kompakt gestanden - sie konnten nicht durch uns spielen", so Trent-Alexander Alexander-Arnold.

Der zuletzt stark kritisierte Rechtsverteidiger ist ein Paradebeispiel dafür, wie gut die Umstellung für die Mannschaft war. TAA, ein Dauerthema in englischen Medien, war offensiv nicht mehr so viel unterwegs wie sonst und konzentrierte sich mehr aufs Verteidigen. Es war wohl sein bestes Spiel der Saison.

Auch Darwin Nunez, der 100-Millionen-Mann, war eine der Positiverscheinungen. Der Uruguayer schoss kein Tor, spielte aber an der Seite von Diogo Jota auffällig gut und war deutlich mehr am Spiel beteiligt als sonst. Es war wieder der Darwin, den man aus Benfica-Zeiten kennt.

Darwin Nunez versteht Jürgen Klopp nicht

Zuletzt machte er mit interessanten Aussagen auf sich aufmerksam. "Die Wahrheit ist, dass ich ehrlich gesagt nichts verstehe, wenn er redet", sagte er nach dem Spiel gegen die Rangers. Darwin spricht kein Englisch und lässt sich die Anweisungen von Teamkollegen wie Thiago Alcantara oder Adrian übersetzen.

Immerhin hat der Neuzugang das Prinzip verstanden: "Meistens ist es klar, was er für ein Spiel sehen will. Er fordert uns auf, die Dinge einfach zu halten, keine Angst vor dem Spiel zu haben, selbstbewusst zu sein. Und wenn wir den Ball verlieren, will er, dass wir Druck machen." Gerade Letzteres hat gut geklappt, weil Liverpool entweder den Ball seltener verlor oder ihn schneller zurückgewann.

Allerdings war das 2:0 gegen überforderte Gäste aus Schottland, die noch punktlos in der Königsklasse sind, nur eine Momentaufnahme. Nun kommen die Spiele, in denen die Reds diese Leistung bestätigen müssen. In der Premier League warten nun mit dem FC Arsenal und Manchester City die wohl zwei schwierigsten Aufgaben der Saison.

Bleibt Klopp bei seinem 4-4-2 oder stellt er wieder um? Und passt das System auch zu den kommenden Gegnern? Klappt es auch gegen diese Kaliber, hat die Neuerfindung geklappt. Klappt es nicht, gehen die Diskussionen wieder los.

Über den langsamen Umbruch, über die Taktik, über die Mentalität einer Mannschaft, die über Jahre allein mit ihrer Einstellung ihre Gegner eingeschüchtert hat und von ihrem Trainer als "Mentalitätsmonster" bezeichnet wurde. Für Klopp wäre es wohl die größte Schmach, wenn ausgerechnet diese Eigenschaft nicht mehr da ist.

Premier League: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Arsenal820:81221
2.Manchester City829:92020
3.Tottenham Hotspur819:10917
4.Brighton & Hove Albion714:8614
5.Chelsea710:10013
6.Manchester United711:14-312
7.Newcastle United812:8411
8.Fulham813:15-211
9.Liverpool718:9910
10.Brentford815:12310
11.Everton87:7010
12.Leeds United710:1009
13.AFC Bournemouth86:19-139
14.Aston Villa86:10-48
15.West Ham United85:9-47
16.Southampton88:13-57
17.Crystal Palace78:11-36
18.Wolverhampton Wanderers83:9-66
19.Leicester City814:22-84
20.Nottingham Forest86:21-154
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