Kein Bling Bling mehr bei PSG? Gefangen in der eigenen Idee

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Paris Saint-Germain probt den radikalen Kurswechsel und will künftig nicht mehr als Marke glänzen, sondern auch als Fußballmannschaft. Die neue Mannschaft soll kräftig, demütig und kampfbereit sein. Doch die Frage ist nicht, wie die Pariser das anstellen wollen - sondern ob sie es überhaupt können.

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Natürlich musste es Lionel Messi wieder übertreiben. Wenige Tage, nachdem sein Präsident bei Paris Saint-Germain, Nasser Al-Khelaifi, angekündigt hatte, dass bei den Franzosen die sogenannte "Bling-Bling"-Ära enden wird, wurde Messi von seinem Kumpel Luis Suarez dabei erwischt, wie er auf einer Küchen-Eckbank schläft. Zugedeckt mit einer violetten Fleece-Decke, unter dem Kopf das 9,99-Euro-Kissen von einem schwedischen Möbelhaus. Als wäre Papa Leo gerade von der Arbeit heimgekommen und halte vor dem Abendbrot noch ein Nickerchen.

Ob sich Al-Khelaifi beim Anblick seines Superstars darüber gefreut hat, dass sein Weckruf für eine neue Ära so schnell angekommen ist, wurde nicht übermittelt. Vielleicht muss man ihm aber auch noch mitteilen, dass Messi da nicht in einer Wohnküche einer Zwei-Zimmer-Wohnung einschlief.

Es war immerhin eine Siesta in einer Villa in Sa Ferradura an der Nordküste Ibizas, deren Wochenmiete bei knapp 300.000 Euro liegt. Am Freitag feierte Messi dort mit Freunden seinen 35. Geburtstag. Mit ganz viel - und jetzt Augen zu, Herr Al-Khelaifi - Bling Bling.

Naja, der katarische Vereinsboss wird wohl kaum das Privatleben seiner Spieler gemeint haben, als er das Ende der Glitzerwelt verkündete. "Vielleicht sollten wir unseren Slogan ändern ... 'Dream bigger' ist gut, aber heute müssen wir realistisch sein, wir wollen kein grelles, blinkendes Bling-Bling mehr, das ist das Ende des Glitzers", sagte er im Interview mit Le Parisien. Von nun an weht ein anderer Wind: "Für die nächste Saison ist das Ziel klar: jeden Tag 200 Prozent arbeiten. Wir müssen wieder demütig werden. Wer in seiner Bequemlichkeit bleiben will, wer nicht kämpfen will, der bleibt draußen."

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PSG: Milliarden ausgegeben, nur einen Titel geholt

Es sind völlig neue Töne aus Paris, die man so gar nicht kennt vom Paris Saint-Germain Football Club. Arbeit, Demut, Kampf? Wo sind wir denn hier gelandet? Im Abstiegskampf der Bundesliga? Dass Al-Khelaifi nach vielen Jahren und Ausgaben in Milliardenhöhe etwas genervt davon ist, dass bisher "nur" der Titel in der Ligue 1 das höchste Gefühle war, kann man verstehen.

Dass er ein Konzept für beendet erklärt, das er und seine Gefolgsleute seit Jahren mit viel Akribie und Geld aufgebaut haben, verwundert dennoch. PSG hat seit der Übernahme von Qatar Sports Investment schließlich nachhaltig daran gearbeitet, dass alles blinkt und glänzt wie auf einer chinesischen Webseite.

Allein schon die Tatsache, dass man die Stadt Paris für das Katar-Projekt auswählte, sagt viel aus: Es ist die Stadt des Glamours, der Liebe, der Mode, der Farben. Paris ist auch ohne PSG Bling Bling. Wenn PSG dazu kommt, schreit es hier nach größer, weiter, schneller.

Paris investierte in die bekanntesten Spieler der Welt, sparte aber auch nicht am äußeren Auftreten. Das Logo wurde modernisiert, im Stadion spielt mit sehr viel Hip-Hop und Rap die Musik der Jugend, mit der in der Reichweite sehr beliebten Marke Jordan Brand wurde eine langjährige Partnerschaft in Sachen Street Fashion geschlossen.

PSG: Ronaldinho, Zlatan, Beckham und Co. - sie alle kamen

PSG hat es in die moderne Popkultur geschafft. In Musikclips sieht man Stars im PSG-Trikot rappen, in Filmen hat das Trikot des Klubs eine gewisse Symbolkraft erreicht. Auch die Spielerauswahl hatte immer eine Message: Wer gerade am besten trendet, ist der neue Star in Paris - ob Ronaldinho, David Beckham, Zlatan Ibrahimovic, Edinson Cavani, Neymar, Kylian Mbappe, natürlich Lionel Messi. Alle waren sie da, viele sind noch da.

Paris hat fußballerisch in den letzten Jahren sicher eine Entwicklung genommen, aber viel stärker ist die Marke gewachsen. Man zeigt gerne mit dem Finger auf dieses neureiche Konstrukt, das nach Plastik riecht, aber im Grunde guckt man doch zu, weil es so interessant ist.

Und jetzt soll es genau umgekehrt werden? Mehr Fußball als Marke? Die bisherigen Taten lassen tatsächlich vermuten, dass sie es bei PSG vielleicht ernst meinen könnten. Mit Leonardo ging der Sportdirektor, der beim genauen Hinsehen nicht wirklich produktiv war. Er holte die Stars, die aber auch ohne Leonardo gekommen wären, weil das Geld da ist.

Leonardo stand sogar im Weg, weil er sich ständig mit den Trainern anlegte. Das Aus von Thomas Tuchel 2020 ging auf die Kosten des Brasilianers, der einen Trainer verbittert gehen ließ, der bei Spielern, Fans und der obersten Chefetage gut ankam. Aber irgendwo muss Leonardo ja Macht ausüben, wenn er sonst nichts zu sagen hat.

Für ihn kam mit Luis Campos ein externer Berater, der aber wie ein Sportdirektor die Kaderplanung übernehmen soll. Dass er nicht fest angestellt ist, mag an Campos' Vorhaben liegen, in einer eigenen Agentur gleich mehreren Klubs seine Expertise anzubieten. Bis zum Sommer gehörten Celta Vigo und Galatasaray zu seinen Kunden, die Türken ersetzte er nun durch PSG.

PSG: Warum kam eigentlich Zinedine Zidane nicht?

Einen Achtungserfolg landete Campos bei der Trainerwahl. Als Al-Khelaifi Bling Bling noch schön fand, hatte er eigentlich Zinedine Zidane als Ziel ausgemacht. Einen der besten Spieler der Geschichte als Trainer. Dazu noch einer, der weiß, wie man die Champions League gewinnt? Perfekt.

Aber zum einen hatte Zidane offenbar wenig Lust auf PSG, was wohl auch an seiner Verbundenheit zu Olympique Marseille lag. OM und PSG - so ungleich in fast allen Belangen, dass da eine große Rivalität herrscht. Und zum anderen machte Campos klar, dass man einen Trainer holen muss, der weiß, wie man eine Mannschaft formt und sie zu Höchstleistungen treibt. Er empfahl Christophe Galtier, mit dem Campos beim OSC Lille zusammenarbeitete und die Mannschaft formte, die 2021 sensationell Meister der Ligue 1 wurde.

Galtier wer? Anfangs soll das laut seriösen Quellen nicht unbedingt Anklang gefunden haben, aber Campos hat seinen Auftragskunden offenbar davon überzeugt - und Galtier steht kurz davor, offiziell als Trainer verkündet zu werden, nachdem er in Nizza bereits von Lucien Favre ersetzt worden ist.

Es mag auch kein Zufall sein, dass in diesen Tagen Gerüchte um Neymar aufkommen, wonach der Brasilianer den Klub verlassen soll. Er kam als ganz große Attraktion nach Paris, bekam einen Vertrag, bei dem ihm sämtliche Freiheiten gewährt wurden. Und Neymar bediente sich. So fliegt er jedes Jahr zum Geburtstag seiner Schwester nach Brasilien. Ob gerade ein wichtiges Spiel ansteht? Egal. Neymar ist da. Er machte nicht einmal einen Hehl daraus - der Chef sagt ja eh nichts.

PSG-Boss kündigt an: "... der wird gehen"

Jetzt sagt er was. "Spieler, die nicht Teil des Projekts sind, müssen gehen. Einige haben die Situation ausgenutzt, jetzt ist es vorbei", betonte Al-Khelaifi. Und: "Man muss sich auf und neben dem Spielfeld disziplinieren."

Auch wenn der Klubchef nicht explizit Neymar erwähnte, darf sich der Brasilianer durchaus angesprochen fühlen. Sollte sich jemand finden, der Neymar tatsächlich holen und entsprechend bezahlen will, dürfte PSG nicht abgeneigt sein, ihn zu verkaufen.

Doch ist Bling Bling weg, wenn Mr. Bling Bling weg ist? Und können sie das in Paris überhaupt? Also normal sein. Wird man demütig sein, wenn Trainer Galtier nach einem 1:1 zuhause gegen Stade Brest am 7. Spieltag vor die Kameras tritt und sagt, dass man mit dem Punkt zufrieden sein muss und er viele Fortschritte gesehen hat? Wird man demütig sagen, dass die anderen Klubs einfach die bessere Mannschaft haben, wenn man im Achtelfinale der Champions League ausscheidet?

Nein, denn PSG ist gefangen im eigenen Universum. Die Klubführung hat dieses Monster erschaffen und muss nun damit leben. Sie muss alle Klischees bedienen, allen Vorurteilen gerecht werden und sich damit abfinden, dass Messi, Neymar, wenn er denn bleibt, und Mbappe nicht grätschen, kratzen, beißen werden.

Ach ja: Was sagt eigentlich Quasi-Miteigentümer Kylian Mbappe zu den revolutionären Äußerungen seines Bosses, der ihm neulich eine demütige Vertragsverlängerung mit einem Gesamtvolumen von 600 Millionen Euro bescherte? "Ich habe Fußball schon immer zu meiner Priorität gemacht." Er verstehe die Botschaft des Klubs und wisse auch, dass es "PSG vor mir gab und auch nach mir geben wird".

Sobald Al-Khelaifi angesichts des demütig auf dem Ecksofa schlafenden Messi aus dem Staunen heraus ist, wird er verzückt sein von der Zurückhaltung des Kylian Mbappe.

Und irgendwann wird er aus seinem Traum aufwachen und merken, dass Paris ohne Bling Bling nichts wert ist.

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