Kommentar zu Lampard-Nachfolger Thomas Tuchel beim FC Chelsea: Endlich ein Dirigent für das Orchester

Thomas Tuchel soll neuer Chelsea-Trainer werden.
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Chelsea hat sein "Match made in Heaven" aufgelöst und Vereinsikone Frank Lampard (42) als Trainer entlassen. Eine folgerichtige Entscheidung, bedenkt man die sportliche Talfahrt der Blues, das drohende Verpassen der Champions League und Lampards mittlerweile unterkühltes Verhältnis zu Spielern. Dazu kamen Lampards taktischen Defizite. Gerade diese hat sein Nachfolger Thomas Tuchel nicht. Somit kann er das zweifellos große Potenzial dieses teuer zusammengestellten Kaders entfesseln. Ein Kommentar.

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Es ist schon etwas länger her, da saß Thomas Tuchel noch als Trainer von Paris Saint-Germain in einem Kino mit Rio Ferdinand und philosophierte über seine Idealvorstellung von Fußball. Dieser müsse "wie ein Orchester sein", sagte er damals: "Jeder hat seine Rolle. Jeder muss wissen, wo sein Platz auf dem Spielfeld ist. Der Spieler muss ein genaues Bild davon haben, was er zu tun hat und wie das aussehen kann. Spieler einfach ihrer Intuition zu überlassen, das ist zu viel für sie", erklärte Tuchel.

Im März 2019 war das. Und ohne es zu wissen, legte Tuchel da schon den Finger in eine Wunde, die dieser Tage immer offensichtlicher im Chelsea-Spiel unter Frank Lampard klaffte. Denn die Klub-Legende war nicht der Dirigent, den das blaue Fußball-Orchester an der Stamford Bridge gebraucht hatte.

Zu unklar waren sein taktisches Konzept und die Antwort auf die Fragen, für welche Art von Fußball Chelsea unter ihm eigentlich stehe. Spieler monierten, dass Lampard ihnen keine klaren Vorgaben gegeben habe. Sinnbildlich dafür stand sein Umgang mit Königstransfer Kai Havertz, den er zwischen der Acht, der Zehn und der falschen Neun munter hin- und herschob. Auch für Stürmer Timo Werner, den zweiten von drei sehr teuren Transfers des Sommers, fand er nur selten den richtigen Platz.

Frank Lampard bei Chelsea: Dem Druck nicht gewachsen

Vielleicht wäre alles anders gewesen, hätte die 2019 gegen die Blues verhängte Transfersperre noch länger angedauert. Denn gerade in dieser Phase schlug Lampards Stunde. Er verlieh Chelsea Jugend und Frische, formte aus Akademie-Spielern wie Mason Mount, Reece James und Tammy Abraham neue Chlesea-Stars.

Das Projekt "Jugend forscht" hatte Erfolg: Am Ende wurden die Blues Vierter. Doch dann kam der 250-Millionen-Sommer und mit ihm stieg der Erfolgsdruck, dem der 42-Jährige trotz öffentlich geäußerter Titelambitionen nicht gewachsen war - weder taktisch noch menschlich.

Denn als der Karren schon im Dreck steckte, ging er mit Spielern öffentlich hart ins Gericht. Das Verhältnis zu Teilen der Mannschaft sei am Ende eisig gewesen, schreibt The Athletic. Auch die Zusammenarbeit mit der "eisernen Lady" Marina Granovskaia, Klub-Chefin und rechte Hand von Roman Abramovich, galt wegen unterschiedlicher Ansichten bei Personalien (Kepa, Declan Rice) als belastet.

Spieler-Ikone und Trainer-Opfer: Frank Lampard wurde vom FC Chelsea entlassen.
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Spieler-Ikone und Trainer-Opfer: Frank Lampard wurde vom FC Chelsea entlassen.

Thomas Tuchel bei Chelsea: Die Instrumente sind da

Tuchels Historie mit Zerwürfnissen beim BVB und PSG zeigt auch bei ihm einen streitbaren Charakter. Doch das war Jose Mourinho auch - und der gilt als einer der besten Trainer in der Ära Abramovich. Lampard hingegen ist gemeinsam mit Andre Villas-Boas derjenige, der in diesem Zeitraum im Schnitt die wenigsten Punkte pro Spiel holte (1,75).

Tuchel ist ein Dirigent, der gelernt hat, selbst Soli und Allüren von launischen Superstar-Diven wie Neymar zu kontrollieren: Unter absolutem Erfolgsdruck formte er aus den PSG-Stars ein Team und führte dieses bis ins Champions-League-Finale.

In London wartet auf ihn eine hochtalentierte, temporeiche, offensiv hochqualifizierte Mannschaft, die mit Spielern wie den Mittelfeldakteuren Jorginho und N'Golo Kante gespickt ist, mit ihrer Klasse, Präzision und Spielintelligenz perfekt zu Tuchels Art, Fußball spielen zu lassen, passen. Ergo: Der Dirigent Tuchel hat im königsblauen Orchester die für seine Musik richtigen Instrumente.

Andererseits ist ihm diese Mannschaft in Teilen schon vor Amtsantritt persönlich zugeneigt. Mit Thiago Silva wollte er bei PSG unbedingt verlängern, Antonio Rüdiger im Sommer eigentlich als dessen Ersatz holen. Christian Pulisic spielte sich unter ihm bei den BVB-Profis fest. Werner und Havertz? Ihnen dürfte angesichts ihrer unübersehbaren Probleme bei der Akklimatisation gut tun, dass der neue Coach ihre Sprache spricht.

Tuchel und Chelsea, das kann funktionieren. Seine taktischen Möglichkeiten sind wesentlich größer als die seines Vorgängers: Bei PSG jonglierte er mit Systemen - mal 4-3-3, mal 4-4-2, mal 4-2-3-1 - und die Mannschaft folgte ihm, spielte teils höchst ansehnlichen Fußball.

Viel Zeit bleibt dem neuen Dirigenten, der einen Vertrag über 18 Monate plus Option auf ein weiteres Jahr unterschreibt, nicht, dass verunsicherte Chelsea-Ensemble aufeinander abzustimmen. Dass Tuchel ohne echte Vorbereitung einen Verein übernimmt, ist aber nicht komplett neu für ihn: Bei Mainz ersetzte er 2009 mal Jörn Andersen - vier Tage vor dem Bundesligastart.

Thomas Tuchel: Trainerstatistiken bei Mainz, BVB und PSG

VereinAmtsantrittAmtsaustrittSpielePunkte/Spiel
Paris Saint-Germain01.07.201829.12.20201272,35
Borussia Dortmund01.07.201530.05.20171072,12
Mainz 0503.08.200910.05.20141831,43
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