Dalymount Park der Bohemians Dublin: Im Lichte ukrainischer Glühbirnen

Trommeln, Dauergesang und durchaus auch mal Pyrotechnik: "The Notorious Boo-Boys" sorgen aber wohl für die beste Stimmung im irischen Fußball.
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Der Dalymount Park in Dublin gilt als "The Home of Irish Football". Noch wird die Ruine im Lichte ukrainischer Glühbirnen bespielt, bald soll sie aber durch eine neue Arena ersetzt werden. Teil 1 der Serie "Perlen des Groundhoppings".

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Der Fußmarsch von Dublins Zentrum zur fußballerischen Heimat Irlands dauert etwa eine halbe Stunde. Immer weiter Richtung Norden. Oben am Himmel erscheinen irgendwann die vier massiven Flutlichtmasten, unten in den Straßen nimmt die Dichte an schwarz-roten Graffitis zu - und dann steht er einfach da zwischen reihenweise Backsteinhäusern: der Dalymount Park.

"The Home of Irish Football", prangt in großen Lettern über der Gegengeraden. 1901 als neue Spielstätte der Bohemians Dublin eröffnet, bald Nationalstadion mit einer Kapazität von fast 50.000 Plätzen. Hier wurden die ersten Länderspiele der unabhängigen Republik Irland ausgetragen, hier stiegen Pokalfinals. Heute passiert all das im ultramodernen Aviva Stadium auf der anderen Seite der Stadt. Der Dalymount Park verfällt dagegen seit den 1980er Jahren. Geblieben sind nur die Bohemians.

Für die Heimspiele des Erstligisten sind lediglich rund 4.000 Fans zugelassen, zwei Tribünen dürfen aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr genutzt werden. Die Eingänge sind von außen zugemauert, während den Spielen kann man im Inneren aber einfach rübergehen: über Moos und Unkraut, vorbei an Büschen und wer sich traut entlang rissiger Mauern bis hinein in die Katakomben, wo mittlerweile sogar Bäume gewachsen sind. Bei Abendspielen herrscht gespenstische Dunkelheit, das Flutlicht dringt bis hierhin nicht durch. Der Dalymount Park ist eine bespielte Ruine. Bald soll er abgerissen und durch eine neue Arena ersetzt werden. Überfällig, aber eigentlich trotzdem viel zu schade.

"Am meisten werde ich die Flutlichtmasten vermissen", sagt Bohemians-Geschäftsführer Daniel Lambert im Gespräch mit SPOX und GOAL. 1962 wurden sie installiert und seitdem nie mehr ausgetauscht. "Damals waren das gängige Modelle, aber mittlerweile gibt es sie kaum mehr. Neue Glühbirnen haben wir früher immer bei einer deutschen Firma besorgt, bis sie vor drei Jahren aus dem Sortiment genommen wurden. Aktuell gibt es sie nur in der Ukraine zu kaufen."

Die Eingänge zu den zwei gesperrte Tribünen sind von außen zwar zugemauert, aus dem Stadioninneren gelangt man aber in die gespenstischen Katakomben.
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Die Eingänge zu den zwei gesperrte Tribünen sind von außen zwar zugemauert, aus dem Stadioninneren gelangt man aber in die gespenstischen Katakomben.

Phibsborough: Eine Heimat für die "Gypsies"

Aufgewachsen ist Lambert nur wenige Meter vom Dalymount Park entfernt. Das Stadion liegt mitten im belebten Zentrum des Viertels Phibsborough, umgeben von Backsteinhäusern und der Kirche St. Peter's. Ihr Turm ist neben den Flutlichtmasten die markanteste Erhebung der Gegend. "Ich gehe zu den Bohemians seit ich ein Baby bin", sagt Lambert. Irgendwann ließ er sich von Seinesgleichen zum ehrenamtlichen Marketing-Direktor wählen: von anderen Fans.

Die Bohemians sind ein basisdemokratischer Klub, jedes Mitglied ist gleichberechtigter Eigentümer und darf bei der alljährlichen Hauptversammlung über alles Mögliche abstimmen, zum Beispiel über die Besetzung des Postens Marketing-Direktor. Durchaus stolz heißt es auf der klubeigenen Website: "Fan owned Football since 1890".

In den ersten Jahren ihrer Existenz tingelten die Bohemians durch Dublin, bis heute erinnert ihr Spitzname "Gypsies" an diese unsteten Zeiten. Im elften Jahr aber fanden sie ihre Heimat in Phibsborough. Elf Meisterschaften und sieben Pokalsiege holte der Klub seitdem, der letzte Titel datiert von 2009. Damals operierten die Bohemians noch semiprofessionell und hatten nur einen einzigen bezahlten Mitarbeiter. Seitdem machte der Klub eine beachtliche Professionalisierung durch: Fast alle Spieler sind mittlerweile Vollprofis - und Lambert ein bezahlter Geschäftsführer.

In den ersten elf Jahren ihrer Existenz tingelten die Bohemians durch Dublin, bis heute erinnert ihr Spitzname "Gypsies" an diese unsteten Zeiten. 1901 aber fanden sie ihre Heimat in Phibsborough.
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In den ersten elf Jahren ihrer Existenz tingelten die Bohemians durch Dublin, bis heute erinnert ihr Spitzname "Gypsies" an diese unsteten Zeiten. 1901 aber fanden sie ihre Heimat in Phibsborough.

Jack Charlton, Bob Marley und "Refugees Welcome"

Er steht aber nicht nur einem irischen Fußball-Erstligisten vor, sondern einer gesellschaftlichen Institution. "So eng wie heute war die Verbindung zwischen den Bohemians und Phibsborough noch nie", findet Lambert. Schwarz und rot. Überall. Der Klub hat rund 50 Jugendmannschaften, engagiert sich in Schulen und Obdachloseneinrichtungen des Viertels und setzt sich aktiv für Flüchtlinge ein.

Einst sammelten einige Fans Geld, um alle paar Spiele eine Gruppe Asylsuchende ins Stadion einzuladen. Als der Klub von der Aktion erfuhr, beteiligte er sich finanziell. Seitdem rollt zu jedem Spiel ein Bus voller Flüchtlinge, zu Weihnachten wurden 2500 Geschenke für Kinder in alle Asylzentren des Landes verschickt. "Die Unterstützung von Asylsuchenden ist ein wichtiger Teil unserer Philosophie geworden", sagt Lambert.

Außen an die bröckelige Fassade des Stadions hat jemand "Refugees Welcome" gesprayt, die kleine Botschaft ist Teil eines Graffiti-Gesamtkunstwerks mit dutzenden Elementen. "Früher wurden die Sprayer immer wieder verhaftet. Deshalb haben wir begonnen, offiziell mit ihnen zusammenzuarbeiten", sagt Lambert. Manchmal bringen sie selbst Vorschläge, manchmal beauftragt sie der Klub mit Motiven.

Zu sehen gibt es etwa den ehemaligen Nationaltrainer Jack Charlton, der die irische Auswahl bei der WM 1990 sensationell bis ins Viertelfinale führte. Oder Bob Marley, der im Dalymount Park sein einziges Konzert in Irland spielte. In der kommenden Saison ziert Marleys Konterfei auch das Auswärtstrikot des Klubs, vor zwei Jahren prangte dort "Refugees Welcome".

Trommeln, Dauergesang und durchaus auch mal Pyrotechnik: "The Notorious Boo-Boys" sorgen aber wohl für die beste Stimmung im irischen Fußball.
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Trommeln, Dauergesang und durchaus auch mal Pyrotechnik: "The Notorious Boo-Boys" sorgen aber wohl für die beste Stimmung im irischen Fußball.

"The Notorious Boo-Boys" sorgen für gute Stimmung

Die Bohemians sind sowas wie der irische FC St. Pauli, die Fanszene gilt als ausgesprochen links. Selbstironisch nennen sich die aktiven Anhänger "The Notorious Boo-Boys", eine Anspielung auf die legendäre Ungeduld der einst angeblich dauerbuhenden Bohemians-Fans. Heutzutage sorgen sie aber wohl für die beste Stimmung im irischen Fußball.

Ihre Heimat haben "The Notorious Boo-Boys" durchaus passenderweise ganz links auf der Haupttribüne: Trommeln, Dauergesang und gerne auch mal Pyrotechnik. Am liebsten selbstverständlich bei Derbys gegen den zuletzt erfolgreicheren Stadtrivalen Shamrock Rovers. Vor und nach den Spielen versammeln sich die Fans in den Stadion-nahen Pubs "The Bohemian" und "The Back Page". Getrunken wird hier hauptsächlich Guinness - und zwar etwa halb so teuer wie in Temple Bar, Dublins legendärem Kneipenviertel.

Dass der Klub in seinem Viertel bleibt, war eine Grundvoraussetzung für den unausweichlichen Neubau. Bereits seit zehn Jahren wird geplant, der Baubeginn immer wieder nach hinten verschoben. Mittlerweile aber stehen die Eckdaten der neuen Arena: 6.000 Zuschauer soll sie fassen, die Kosten von rund 40 Millionen Euro übernimmt die Stadt Dublin.

Schon die Mitte Februar startende neue Saison könnte laut Geschäftsführer Lambert die letzte im alten Dalymount Park sein, ehe die ukrainischen Glühbirnen für immer ausgehen.

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