Kolumne Auswärtsspiel: Fatih Terims Abschieds-Gala - Die letzte Eroberung des Imperators

Von Fatih Demireli
Fatih Terim ist seit 2017 Trainer von Galatasaray.
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Fatih Terim ist bei Galatasaray eine lebende Legende. Doch der Imperator wird nicht mehr auf Ewigkeit regieren und in absehbarer Zeit das Feld überlassen. Bis dahin arbeitet er an seinem Erbe: Das neue Galatasaray.

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Es ist nicht einfach, Fatih Terim zufriedenzustellen. Der inzwischen 68 Jahre alte Trainer von Galatasaray ist - wie man aus seinem Umfeld hört - mit zunehmendem Alter zwar etwas entspannter geworden, aber wenn es um die Arbeit geht, ist Terim nach wie vor unter Dauerstrom wie eh und je.

Funktioniert mal etwas nicht, kann Terim sehr ungemütlich werden. Unzählige Wegbegleiter und Vorgesetzte (oder jene, die dachten, sie wären seine Vorgesetzten) können dies bezeugen. Dazu aber später mehr. Funktioniert mal etwas besonders gut, hat er keine Hemmungen, seine Freude und Begeisterung zum Ausdruck zu bringen. Als Terim neulich im Pressesaal des Römer Olympiastadions saß, um über das bevorstehende Europa-League-Spiel bei Lazio zu sprechen, war Terim angetan von der Dolmetscherin der Veranstaltung.

Er gratulierte erst auf Italienisch, dann auf Türkisch. "Wirklich Kompliment. Ohne Fehler, ohne Auslassung von irgendwelchen Informationen. Ich bin begeistert", so Terim. Er forderte die Pressefotografen auf, ein gemeinsames Foto zu schießen und sie in ihren Medien namentlich zu erwähnen.

Nazli Birgen, die nach eigenen Angaben in Rom lebt, war sichtlich überrascht und erfreut zugleich. Einen Tag später war sie dann wirklich in allen Zeitungen zu sehen. Sie wurde zum Thema in den sozialen Medien. Der Imperator wollte es halt so.

Terim bei Galatasaray: Die Trophäen kamen erst als Trainer

Fatih Terim ist in die Jahre gekommen, aber an seiner Strahlkraft hat er nicht verloren. Er ist nach wie vor die schillerndste Figur im türkischen Fußball. "Für ihn bleibt die Zeit stehen. Er hat die Energie, die ihn einst zu der Figur gemacht hat, die er heute ist, nie verloren", sagt die Journalistin Banu Yelkovan im Gespräch mit SPOX und GOAL. Sie kennt Terim seit Jahren gut und weiß, was ihn ausmacht: "Der stetige Drang zur Weiterentwicklung."

Das hat auch mit seiner persönlichen Geschichte zu tun. Terim wuchs in einfachen Verhältnissen im südlichen Adana auf. Dass er Fußball spielte, war keine Selbstverständlichkeit, schließlich musste auch die knappe Haushaltskasse gefüllt werden. Doch Terim war talentiert, ein eisenharter Verteidiger, der aber auch richtig gut am Ball war.

Er biss sich zunächst in Adana durch, später dann bei Galatasaray, wo er als junger Kerl den Älteren etwas vormachte und schließlich gar Kapitän wurde. Er gehörte der Mannschaft an, die 14 Jahre lang nicht Meister wurde. Eine Schmach für einen erfolgsverwöhnten Verein und einen Kapitän, der sein Leben lang um seinen Status kämpfen musste.

Die Meisterschaften, die ihm als Spieler verwehrt blieben, kamen als Trainer. Vier Jahre in Folge mit Galatasaray, dann UEFA-Pokalsieger. Der Wechsel nach Italien: Florenz, dort das Pokalfinale erreicht, dann die große AC Milan. Aus dem Straßenkicker aus Adana wurde ein "Mister", der Paolo Maldini, Andriy Shevchenko, Kaka und Co. trainieren durfte. Zwar blieb er nicht lange in Mailand, wurde Opfer von Machtspielen und bekam dafür reichlich Spott in der Türkei.

Der großspurige Terim musste nach nur sechs Spieltagen gehen. Eine Freude für viele Gegner seiner hochtrabenden Art. Aber: "Um von Milan entlassen zu werden, musst du erstmal zu Milan kommen", sagte mal der türkische Journalist Bilgin Gökberk.

Bei Galatasaray setzte sich seine Erfolgsstory fort, wo er nun schon zum vierten Mal im Amt ist. Achtmal wurde er Meister, er prägte Ären, wurde zum Imperator. Würde Terim heute aufhören, würde sich an seinem Status einer Legende nichts ändern. Im Sommer war es sogar so weit.

Fatih Terim ist seit Dezember 2017 Trainer von Galatasaray.
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Fatih Terim ist seit Dezember 2017 Trainer von Galatasaray.

Fatih Terim gewann Machtkampf mit Galatasaray-Präsident

Nach einem Zerwürfnis mit dem Ex-Präsidenten Mustafa Cengiz, der in den vergangenen Tagen nach schwerer Krankheit verstorben ist, war Terims Zeit bei Galatasaray zu Ende. Der auslaufende Vertrag wurde nicht verlängert. "Ich werde mit ihm nicht weiterarbeiten", sagte Cengiz, obwohl klar war, dass er nicht mehr als Präsident kandidieren würde. Und dennoch: Nach einem bitter geführten Machtkampf, in dem Terim mit offenem Visier kämpfte und seinen Vorgesetzten medial mehrmals anzählte, wollte Cengiz der Mann sein, der den 'Imperator' in die Arbeitslosigkeit zwingt.

Als im Sommer der Präsidentschaftskampf beim türkischen Rekordmeister entbrannte, war es auch eine Terim-Wahl. Die Top-Favoriten brüsteten sich damit, mit Terim weiterarbeiten zu wollen. Vor allem Burak Elmas (47), dessen Schwiegervater Faruk Süren einst Terim erstmals zum Galatasaray-Trainer gemacht hatte, richtete seinen kompletten Wahlkampf auf Terim aus - und gewann. "Der Fußball gehört unserem Trainer", sagte Elmas. Übersetzt: Er hat die Macht.

Allerdings sieht es so aus, als wäre es nun die letzte Amtsübernahme des Fatih Terim bei Galatasaray. Der neue Drei-Jahres-Vertrag wird wohl der letzte als Trainer sein. Für diese Zeit hat er sich den Auftrag auferlegt, ein neues Galatasaray aufzubauen. Der Rekordmeister soll kein Auffangbecken mehr für alternde Ex-Stars werden, die viel kassieren, wenig liefern und auf diese Weise den horrenden Schuldenberg in Höhe von knapp 260 Millionen Euro weiter vergrößern.

Radamel Falcao (35) etwa soll bis zu neun Millionen Euro jährlich kassiert haben, war aber die meiste Zeit verletzt. Mit einer Abfindung wurde man ihn im Sommer los, auch weil er noch Abnehmer fand. Inzwischen kickt Falcao bei Rayo Vallecano bzw. wird dort weiterbehandelt.

Sofiane Feghouli (31), der knapp vier Millionen Euro netto im Jahr verdient, oder Ryan Babel (34), der auf einem ähnlichen Niveau kassiert, sind Galatasaray nicht losgeworden, weil die Spieler schlicht keine Perspektive sahen, bei einem anderen Klub ähnlich gut zu kassieren. Sie sitzen lieber ihren Vertrag ab. Terim will das Beste daraus machen und setzt sie ab und zu ein, doch ihr Wirken ist begrenzt. In diese Lage will man künftig nicht mehr kommen.

Terim: "Nicht mehr in Vergangenheit der Spieler investieren"

"Wir werden nicht mehr in die Vergangenheit der Spieler investieren, sondern in deren Zukunft", sagt Terim. Und der Klub ließ im Sommer Taten folgen. Mit Victor Nelsson (22), Alexandru Cicaldau (24), Berkan Kutlu (23), Olimpiu Morutan (22), Sacha Boey (20), Halil Dervisoglu (21), Gustavo Assuncao (21) und Baris Yilmaz (21) wurde junges Personal verpflichtet.

Lediglich Patrick van Aanholt tanzt mit seinen 30 Jahren aus der Reihe. Knapp 26 Millionen Euro Ablöse zahlte Galatasaray für die Neuen. Doch der Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen. "Das wird drei Jahre dauern und wir werden es durchziehen, auch wenn es Widrigkeiten geben sollte."

Und die gibt es: In der Süper Lig ist Galatasaray Achter, mit 16 Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Trabzonspor. Im Umfeld des Klubs brennt der Baum. Die Kritik am neuen Weg ist groß - auch an Terim ist die Kritik sehr laut, aber der Gala-Coach weicht nicht von seinem Weg ab.

"Was Terim seit jeher von den anderen abhebt, ist seine Vision. Er hat nie an das Heute gedacht, sondern immer im Fokus gehabt, was morgen kommt. Und das tut er nun wieder", sagt Terim-Insiderin Yelkovan. Und auch von Klub-Boss Elmas gibt es uneingeschränkte Unterstützung. Trotz schwieriger Wirtschaftslage im Land und einer labilen Währung stellt er schon für den Winter weitere Transfers in Aussicht.

Zumal Elmas und Terim einen Trumpf in der Hand halten: den Erfolg in der Europa League. In einer äußerst schwierigen Gruppe mit Olympique Marseille, Lazio und Lokomotive Moskau ist Galatasaray ungeschlagen Gruppensieger geworden, kassierte auswärts kein einziges Tor. Im Umfeld träumt man schon von der Wiederholung des Erfolgs von 2000. "Wir haben Träume, aber das ist ein langer Weg", sagt Terim. Understatement ist nicht seine Sache, aber der 'Imperator' ist auch Realist und weiß, wer im Wettbewerb noch vertreten ist.

Wenn Terim voraussichtlich in drei Jahren das Feld seinen Nachfolgern übergibt, will er ein Galatasaray hinterlassen, das auch künftig von großen Erfolgen träumen darf. Gelingt ihm das, hat der Junge aus Adana sein Lebenswerk vollbracht.

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