Auswärtsspiel - die SPOX-Kolumne: Die Hintergründe zum Kaufrausch von Adana Demirspor

Von Fatih Demireli
Mario Balotelli ist einer von vielen prominenten Neuzugängen von Adana Demirspor.
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Adana Demirspor ist nach 26 Jahren Abwesenheit in die Süper Lig zurückgekehrt und verpflichtete zur Feier Spieler wie Mario Balotelli, Younes Belhanda oder Benjamin Stambouli. Eine Transferoffensive, die so gar nicht zu den Tugenden des Arbeiterklubs passt. Wäre da nicht der Präsident, der alles verändert.

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Verrückt sind sie schon ein bisschen. Aber so verrückt? Am Montag meldeten diverse Medien, dass der türkische Aufsteiger Adana Demirspor Interesse an einer Verpflichtung von Emre Mor hat. Der Mor, der in seiner Karriere bisher noch keine einzige ganze Saison überzeugt hat, aber aufgrund seiner spektakulären Spielweise immer wieder eine neue Chance bekommt. Vielleicht klappt es ja mal, wer weiß. Bei Adana Demirspor ist man sich eigentlich nicht zu schade, verrückte Dinge zu probieren, aber so weit will man dann doch nicht gehen. "Wir haben kein Interesse an Emre Mor", schrieb Klub-Präsident Murat Sancak am Montagabend bei Twitter.

Eigentlich hätte es gut gepasst. Mor wäre dann Kollege von Mario Balotelli geworden. Oder von Younes Belhanda. Spieler, die ohne Zweifel ein außergewöhnliches Talent für das Fußballspielen haben, aber auch charakterliche Ausprägungen haben, die ihr Können in den Schatten stellen können. Siehe Balotelli, der in seiner Karriere schon bei großen Klubs spielte und immer wieder Momente der Glückseligkeit hatte. Momente, in denen die Welt bestaunen durfte, was der italienische Angreifer kann. Doch es waren eben dann oft nur Momente. Bei Balotelli werden mehr Skandale gezählt als Titel.

Siehe Belhanda, dessen ausgeprägtes Temperament womöglich eine richtig große Karriere verhinderte. Bei Galatasaray beschimpfte der Ex-Schalker mal während eines Champions-League-Spiels gegen Real Madrid pfeifende Fans. Lippenleser erkannten heftige Beleidigungen. Beim türkischen Rekordmeister flog er fristlos raus, weil er nach einem Spiel gegen Sivasspor die Unspielbarkeit des Platzes mit der Social-Media-Geilheit der Vorstandsleute begründete. Dass ihn Galatasaray dennoch für eine Rückholaktion in dieser Saison auf dem Zettel hatte, zeigt, welches Kaliber der Marokkaner darstellt. Dass Mitglieder eine Petition starteten, eine Rückkehr zu verhindern, sagt auch viel über Belhanda.

Nun spielen Balotelli und Belhanda gemeinsam für Adana Demirspor. Die gute Nachricht: Nach fast drei Wochen gemeinsame Saisonvorbereitung haben sich die beiden weder geprügelt, noch beleidigt, noch gab es andere Eskapaden. Trainer Samet Aybaba war sich schon vor der Verpflichtung sicher, dass es seine Schäfchen unter Kontrolle halten wird. "Man sagt, dass Balotelli verrückt ist. Ich glaube, dass er sich in Adana wohlfühlen wird. Ich sehe da kein Problem." Komplett sorgenbefreit ist Aybaba, der über 30 Jahre Trainerjob in der Türkei auf dem Buckel hat, aber nicht. "Wir müssen ehrlich sein. Wir haben Balotelli aus der 2. Liga in Italien geholt. Er ist also bis dorthin gefallen. Wir müssen seine Leistungsfähigkeit steigern. Wir werden dafür sorgen müssen, dass er mehr aus sich herausholt. Er muss hier seine Wiedergeburt erleben."

Demirspor-Präsident Murat Sancak kennt keine Normalität

Doch warum holt ein türkischer Aufsteiger einen Spieler wie Balotelli? Warum stattet man ihn mit einem Dreijahresvertrag aus, der ihm jährlich 2,5 Millionen Euro garantieren soll, obwohl man um die Vita des Italieners weiß. Die Frage lässt sich sportlich kaum beantworten und es wäre auch eine große Überraschung, wenn Balotelli das Wagnis, 7,5 Millionen Euro Grundgehalt zu garantieren, rechtfertigt. Doch darum geht es dem Klub und vor allem dem Präsidenten nicht. Es würde nicht zu Murat Sancak passen, wenn er den Aufstiegskader zusammenhalten und die Süper-Lig-Bühne geräuschlos betreten würde. Der gewichtige Geschäftsmann aus dem Südosten der Türkei kennt keine Normalität.

Aufgewachsen in einem geschäftstüchtigen Familienumfeld, machte sich Sancak auch selbst bald einen Namen in der Geschäftswelt. Investitionen im Gesundheitswesen, Finanztechnologien, Medien und in der Autoindustrie sind bekannt. Für große Aufmerksamkeit sorgte Sancak, als er im August 2015 Opfer eines Anschlags wurde, als er sein Haus in Istanbul verließ, um in seine Holding zu fahren. Zunächst Unbekannte rammten den Wagen Sancaks, um ihn zum Stehen zu zwingen. Die Polizei ermittelte 20 Schüsse auf das Auto Sancaks, der wie durch ein Wunder überlebte. Die später gefassten Attentäter wurden mit Gefängnisstrafen bis zu 33 Jahren belegt. Warum es zum Anschlag kam, ist bis heute nicht bekannt. Doch Sancak lässt sich nicht beeindrucken und eckt an, wo er kann.

Als er 2018 zum Präsidenten von Adana Demirspor gewählt wurde, kündigte er an, den Klubs in höhere Sphären führen zu wollen. Und das am besten sofort. Mit einer unfassbaren Kaufwut versuchte Sancak, den Aufstieg zu erzwingen, scheiterte aber immer wieder knapp. Weil zwischendurch immer wieder mal Kritik aufkam, trat Sancak mehrmals zurück und überlegte es sich dann doch wieder anders. Im Mai 2021 verkündete Sancak, dass der Verein in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde und er fortan der größte Anteilseigner sei. "Vielleicht werden jetzt einige traurig, aber ich bleibe Präsident, bis ich sterbe", sagte er damals. Denn Sancak vereint nicht alle Anhänger des Klubs hinter sich.

Adana Demirspor ist ein klassischer Arbeiterklub

Adana Demirspor ist ein klassischer Arbeiterklub, gegründet einst von Eisenbahnern. Noch heute hat Demirspor eine bedeutende Anzahl von Fans, die politisch (weit) links orientiert sind. Fahnen mit den eindeutigen Symboliken des linken Lagers sind im Stadionbild Normalität. 2009 kam es gar zu einem Freundschaftsspiel mit dem AS Livorno aus Italien, der für viele das Aushängeschild der linken Fußballszene ist. Noch heute spricht man in Adana über die damalige Zusammenkunft. Dass nun jemand wie Sancak entgegen allen Tugenden, für die der Klub eigentlich steht, handelt, stört einige im Umfeld. Doch Sancak denkt gar nicht daran, irgendetwas an seiner Vorgehensweise zu verändern.

Er weiß, wie der türkische Fußball funktioniert. Große Namen bringen große PR. Ganz egal, wie gestrig die großen Namen sind. Balotelli kennt man eben und wenn Balotelli kommt, ist das eine große Meldung wert. Adana Demirspor beherrschte tagelang die Schlagzeilen und Sancak würde gerne in aller Munde bleiben. Zuletzt bestätigte er, dass der Klub in Verhandlungen mit dem Brasilianer David Luiz ist. Der Klub blieb hartnäckig, aber die Vorstellungen des Verteidigers, der unter anderem für Paris, Chelsea, Arsenal spielte und aktuell vereinslos ist, waren wohl selbst Sancak zu groß. Stattdessen verpflichtete der Klub nun den Ex-Schalker Benjamin Stambouli und stattete ihn mit einem langfristigen Vertrag aus.

Zumindest, was die Erwartungen für die neue Saison angeht, hält sich Klub-Boss Sancak zurück. "Wir wollen dauerhaft in der Liga bleiben. Mehr sollen die Fans erstmal nicht von uns erwarten." Die Verpflichtungen von Belhanda, Balotelli, Stambouli und Co. haben aber die Erwartungen erhöht. Geht die Hinrunde in die Hose, kann man jetzt schon davon ausgehen, dass Sancak im Winter den Warenkorb wieder vollmacht. Vielleicht ist Emre Mor dann ja doch keine so schlechte Idee.

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