EM

Robert Lewandowski und seine Unantastbarkeit in Polen: Volksheldstatus trotz enttäuschender Statistik

Von Stanislav Schupp
Robert Lewandowski geht enttäuscht vom Platz, im Hintergrund feiern die gegen Polen siegreichen Slowaken.
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Das Spiel gegen die Slowakei ging an Polens Lewandowski komplett vorbei. Bei der Fehleranalyse wurde er nicht berücksichtigt - Schuld waren andere.

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Als wäre die 1:2-Niederlage Polens beim EM-Auftakt in St. Petersburg gegen die Slowakei am vergangenen Montag nicht schon genug des Übels gewesen, musste Nationaltrainer Paulo Sousa feststellen, dass der Ausgang der Partie knapp 1.300 Kilometer weiter westlich ziemlich hohe Wellen schlug.

"Ganz Polen ist stinksauer", übermittelte ein polnischer Medienvertreter Sousa bei der anschließenden Pressekonferenz die Kunde aus der Heimat. Wie sich der 50-jährige Portugiese denn den sang- und klanglosen Auftritt seiner Elf erklären könne, lautete die nachfolgende Frage.

Sousa wartete zunächst die englische Simultanübersetzung ab, ehe er den Ursprung aller Probleme preisgab. "Robert Lewandowski wurde etwas alleine gelassen, vor allem in der ersten Hälfte", entgegnete er: "In der zweiten Halbzeit haben wir ihm einen zusätzlichen Spieler an die Seite gestellt."

Selbstkritik? Fehlanzeige! Stattdessen nahm Sousa seine Truppe in die Pflicht - bis auf eine Ausnahme: Lewandowski.

"Wichtig, ihn zu neutralisieren": Lewandowski als Hoffnung und Achillesferse des polnischen Spiels

Klar, dass die Hoffnungen der Nation vor allem auf dem Rekordspieler und -torschützen in Personalunion (120 Einsätze, 66 Treffer) ruhen. Wobei man eigentlich sagen müsste: ausschließlich.

Dem Spiel der Polen war die Lewandowski-Lastigkeit deutlich anzumerken, alle Lauf- und Passwege waren auf den 32-jährigen Bayern-Stürmer ausgerichtet. Lewandowski forderte und forderte, musste letztlich jedoch konstatieren, dass "der letzte Pass nie ankam".

Die slowakische Defensive um Abwehrchef Milan Skriniar fokussierte sich hingegen auf diese Einfältigkeit und profitierte davon: Sie nahm den Münchner in Manndeckung aus dem Geschehen und torpedierte damit gleichzeitig das komplette Spiel der Bialo-Czerwoni. Die Folge: Lewandowskis Arbeitsnachweis bestand laut Opta-Daten aus 39 Ballaktionen, den wenigsten aller in der polnischen Startelf beginnenden Feldspieler, und keinem einzigen Torschuss.

"Er spielt eine entscheidende Rolle im letzten Drittel, daher war es enorm wichtig, ihn zu neutralisieren", sagte Slowakei-Coach Stefan Tarkovic, während Skriniar erklärte, sich als Team gut auf "den besten Stürmer der Welt" vorbereitet zu haben.

Zusammengefasst könnte man sagen: Ist Lewandowski aus dem Spiel, hält sich die Gefahr für den Gegner in Grenzen.

Robert Lewandowski gilt in Polen als Volksheld trotz magerer EM-Bilanz.
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Robert Lewandowski gilt in Polen als Volksheld trotz magerer EM-Bilanz.

Polen: Lewandowskis omnipräsenter Einfluss

Fragte man polnische Fans in St. Petersburg nach den Ursachen für die Niederlage gegen die Slowaken, so wurde Sousa als Hauptschuldiger auserkoren. Er habe es schließlich nicht geschafft, seine Mannschaft so auf- und einzustellen, dass Lewandowski seine bestmögliche Leistung abrufen konnte. Ein Anhänger nannte zusätzlich den unglücklichen Eigentorschützen Wojciech Szczesny, während ein anderer den vom Platz gestellten Grzegorz Krychowiak wählte. In einem Aspekt waren sie sich absolut einig: Der im Spiel blass gebliebene Lewandowski trug keine Schuld.

Vielmehr genießt der Rechtsfuß in seiner Heimat den Status eines Volkshelden, kann tun und lassen, was er will - Sündenböcke sind die anderen. Gewinnt Polen, ist Lewandowski auch ohne Tor der entscheidende Faktor. Verliert man, wird der Stürmer meist von der Kritik ausgenommen.

Lewandowskis Einfluss geht dabei über die Grenzen des Spielgeschehens hinaus. So musste Sousas Vorgänger Jerzy Brzeczek aufgrund eines ihm nachgesagten schlechten Verhältnisses zum Torjäger seinen Platz räumen. Kein Wunder also, dass Sousa es nicht wagt, Kritik an seinem Superstar zu üben und die Leistung stattdessen mit der seiner Mitspieler begründet.

Dass diese allerdings nicht die Qualität der Bayern-Mitspieler besitzen, die Lewandowski stets in Szene setzen und mit Vorlagen füttern, wird dabei oftmals gerne vernachlässigt. "Es ist alles sehr einfach: Die Hauptaufgabe der polnischen Mannschaft ist es, Lewandowski in jedem Spiel zwei oder drei Torchancen zu ermöglichen", schrieb der polnische Journalist Mateusz Miga in seinem Kommentar bei TVP Sport und konstatierte: "Das können wir nicht. Wir sind eine Karikatur, eine komische Mannschaft, die nicht in der Lage ist, mit dem besten Stürmer der Welt umzugehen."

"Lewandowski kann kein Spiel alleine entscheiden"

Marek Wawrzynowski von der Zeitung Sportowe Fakty sieht den letztjährigen Weltfußballer allerdings nicht in der Lage, die Last einer gesamten Nation zu tragen.

"Lewandowski besitzt nicht die technischen Fähigkeiten wie Cristiano Ronaldo, Lionel Messi oder Neymar, um Spiele alleine zu entscheiden", betont er im Gespräch mit SPOX und Goal. Er bringe zwar viel Qualität mit und habe in den Qualifikationsspielen oft getroffen, doch "bei den Turnieren selbst ist das Niveau höher, da benötigt er mehr Unterstützung".

Diese ließ zuletzt zu wünschen übrig, denn Lewandowskis Bilanz im Nationaldress bei großen Turnieren ist dabei ernüchternd: In seinen vergangenen zwölf EM- beziehungsweise WM-Auftritten erzielte der Bundesliga-Torschützenkönig lediglich zwei Tore, von seinen letzten 31 Versuchen fand laut Opta nur einer den Weg ins Netz (EM 2016 gegen Portugal).

Polen gegen Spanien mit dem Rücken zur Wand: Alle Augen erneut auf Lewandowski

Nach der Niederlage gegen den "theoretisch schwächsten Gegner der Gruppe" (Lewandowski) steht Polen nun ausgerechnet gegen EM-Mitfavorit Spanien am Samstag (21 Uhr im LIVETICKER) bereits mit dem Rücken zur Wand.

Es wartet eine Herkulesaufgabe, die Erwartungshaltung an Lewandowski wird gegen die Furia Roja trotz der Erkenntnisse aus dem ersten Auftritt aller Voraussicht nach nicht geringer. Spaniens Pablo Sarabia kündigte im Vorfeld bereits an, es dem "gefährlichsten Mann im Angriff so unangenehm wie möglich" machen zu wollen.

Im Falle einer Niederlage und dem damit verbundenen Gruppen-Aus wird es in den Augen der Polen sicherlich mindestens zehn andere geben, die die Schuld tragen.

Mit zusätzlicher Recherche von Michael Yokhin.

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