Fußball-Kolumne - Florian Kohfeldt: Endspiel für den entzauberten Hoffnungsträger

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Florian Kohfeldt wurde vor kurzem noch als eines der größten Trainer-Talente gehandelt, nun gilt sein Aus bei Werder Bremen spätestens am Saisonende als ausgemacht. Als Nachfolger wird ein Klubidol gehandelt, an dessen Ära der aktuelle Trainer eigentlich anknüpfen sollte. Die Fußball-Kolumne.

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Knapp zwei Jahre liegt der letzte Sieg von Florian Kohfeldt gegen Julian Nagelsmann zurück. 1:0 gewann Werder Bremen am 11. Mai 2019 bei der TSG Hoffenheim und versaute dem künftigen Trainer von RB Leipzig damals den Abschied vor heimischem Publikum.

"Die Stimmung ist schon verhagelt, da bin ich ehrlich", gab der frustrierte Nagelsmann danach zu. Nun könnte Kohfeldt seinem Kollegen an diesem Freitag erneut den Abschied versauen, diesmal den seit dieser Woche feststehenden Wechsel aus Leipzig Richtung FC Bayern.

Doch ein Bremer Sieg im Halbfinale des DFB-Pokals gegen den Tabellenzweiten (20.30 Uhr im LIVETICKER) käme zumindest einem kleinen Werder-Wunder gleich. Denn seit der damaligen Pleite hat Nagelsmann mit RB alle vier Begegnungen gegen Kohfeldt bei einem Torverhältnis von 12:1 klar für sich entschieden, erst vor drei Wochen gab es einen 4:1-Erfolg im Weserstadion.

Werder Bremen nach sieben Niederlagen in Folge abgerutscht

Auch sonst gibt es wenig Grund zum Optimismus für die Hanseaten, vielmehr stehen sie in der Bundesliga nach dem Negativrekord von sieben Niederlagen in Folge wie schon im Vorjahr ganz tief im Abstiegskampf. Und Kohfeldt, der im Juni 20 Jahre bei Werder tätig wäre, steht vor dem sofortigen Rauswurf.

Praktisch jeder, mit dem man rund um den Verein spricht, rechnet bei einem Aus gegen Leipzig mit der raschen Trennung vom Trainer.

Schon am vergangenen Wochenende nach dem 1:3 bei Union Berlin war dies als letzte Option in den Gremien diskutiert worden und erst nach 48 Stunden voller Diskussionen und Spekulationen wurde Kohfeldt schließlich eine letzte Chance gegeben. Sein persönliches Finale im Halbfinale sozusagen.

Florian Kohfeldt einst mit Julian Nagelsmann auf einer Stufe

Gerade mit Blick auf seinen Rivalen Nagelsmann wird deutlich, wie weit sich die Entwicklung der beiden vor kurzem noch als größte Trainer-Talente Deutschlands gepriesenen Übungsleiter seit dem Duell in Hoffenheim auseinanderbewegt hat. Damals gab es manche Skeptiker bei RB, die sich nicht sicher waren, ob Kohfeldt auch aufgrund der erfolgreicheren Saison nicht doch der bessere Nagelsmann gewesen wäre.

Der Jahrgangsbeste des Trainerlehrgangs 2015 hatte die Bremer mit einer Serie von zwölf ungeschlagenen Heimspielen als Nachfolger von Alexander Nouri in seiner ersten Saison 2017/18 souverän zum Klassenerhalt geführt und war mit dem DFB-Trainerpreis ausgezeichnet worden.

Im Jahr darauf begeisterte sein Team mit attraktivem Offensiv-Fußball und verpasste als Achter nur ganz knapp die Europa League. Während es seitdem aber für den fünf Jahre jüngeren Nagelsmann, der schon 2016 mit dem DFB-Trainerpreis ausgezeichnet worden war, in Leipzig nur noch nach oben ging, stürzte Werders großer Hoffnungsträger ab.

Kohfeldts krasse Fehleinschätzung vor der letzten Saison

In die vergangene Spielzeit ging der frühere deutsche Meister mit dem erklärten Ziel, wieder nach Europa zurückzukehren. "Ausschließen kann ich nur zwei Dinge: dass wir um die Meisterschaft spielen und dass wir mit dem Abstieg zu tun bekommen", sagte Kohfeldt vor Saisonbeginn und wiederholte letzteres noch mehrfach, als seine Mannschaft schon immer tiefer nach unten rutschte.

"Der große Verlierer", betitelte Zeit Online damals ein Porträt des Coaches, und schrieb: "Florian Kohfeldt galt als Deutschlands Trainer der Zukunft, nun könnte er mit Bremen absteigen. Weil er die Mannschaft überschätzt hat und vielleicht auch sich selbst."

Am Ende retteten sich die Bremer auf den allerletzten Drücker mit einem Heimsieg am 34. Spieltag gegen Köln und zwei glücklichen Unentschieden in der Relegation gegen Heidenheim. Die schwer in der Kritik stehenden Klubbosse um Sportchef Frank Baumann und Aufsichtsratschef Marco Bode konnten sich in ihrer ungewohnten Nibelungentreue für Kohfeldt bestätigt fühlen.

"Letztes Jahr hat man am Trainer festgehalten und es hat geklappt", sagte der frühere Werder-Vorstandsvorsitzende Jürgen L. Born zu SPOX und Goal. "Ich gestehe aber, dass es nur mit sehr viel Glück und durch Mithilfe der anderen Vereine passiert ist."

Kohfeldt: Mehrfach bei BVB und Gladbach gehandelt

Trotzdem wurde Kohfeldt bis vor wenigen Wochen noch als Kandidat bei fast allen ambitionierten Vereinen genannt, die einen Trainer suchten. So war der 38-Jährige mehrfach bei Borussia Dortmund und bei Borussia Mönchengladbach im Gespräch, auch nachdem der Wechsel von Marco Rose zum BVB perfekt war. Wie konkret er aber tatsächlich gehandelt wurde, ist mit Blick auf seine bescheidene Statistik die andere Frage.

Denn in dieser Saison wurde es eigentlich nur auf dem Papier besser, fußballerisch ist von der Anfangseuphorie unter Kohfeldt nichts mehr übriggeblieben. Defensiv, passiv, beinahe ängstlich und oft ohne nachvollziehbares Konzept agierte das Team in den meisten Begegnungen, was bei der Anwesenheit von Zuschauern wohl zu größerem Unmut geführt hätte. "Ein Spiel wie ein Steinbruch", beschrieb die Süddeutsche Zeitung eine der vielen dürftigen Vorstellungen.

Dennoch hangelte sich Werder mit der Eichhörnchen-Taktik durch die Saison und stand immerhin bislang kein einziges Mal auf einem direkten Abstiegsplatz. "Das hätte vor der Saison jeder unterschrieben", behauptete Kohfeldt noch am Donnerstag, auch mit Verweis auf den Halbfinal-Einzug im Pokal.

Florian Kohfeldt: Alle Beobachter gehen von Trennung aus

Das allein dürfte dem einstigen Torwart der dritten Werder-Mannschaft aber ohne schnelles Erfolgserlebnis nicht mehr helfen. Selbst bei einer Überraschung gegen Leipzig rechnen nahezu alle Beobachter mit einer Trennung am Saisonende, trotz noch bis 2023 laufenden Vertrags.

Trotzdem haben die Bremer in den vergangenen Tagen noch Dinge gefunden, die Hoffnung machen. Zum einen, dass Kohfeldt seit seinem Amtsantritt im Pokal immer mindestens bis ins Viertelfinale gekommen ist und dabei unter anderem zweimal hintereinander in begeisternden Partien die hochfavorisierten Dortmunder schlagen konnte.

Zum anderen der Blick zurück in die glorreiche Historie. Immerhin sechsmal wurden die Norddeutschen Pokalsieger, das sind die zweitmeisten Titel hinter Rekordgewinner Bayern. Und für drei Triumphe in den vergangenen 22 Jahren war ein Mann zuständig, der am Freitag seinen 60. Geburtstag feiert: Thomas Schaaf.

Einige haben in diesem Zusammenhang auf dessen Debüt als Werder-Trainer im Mai 1999 verwiesen, als Schaaf den Verein binnen wenigen Wochen vor dem Abstieg rettete und dann zum unerwarteten Pokalsieg über den FC Bayern führte. Dahinter steckt aber offenbar nicht nur bei Nostalgikern der Wunsch, das Klubidol könne es noch einmal machen.

Werder: Thomas Schaaf gilt als logischer Kohfeldt-Nachfolger

Tatsächlich sollte Schaaf, der 14 Jahre SVW-Coach war und 2018 als Technischer Direktor zurückkehrte, nach dem Willen zahlreicher Werder-Verantwortlicher schon nach der Niederlage in Berlin als "Feuerwehrmann" bis Saisonende übernehmen und gilt nach wie vor auch aufgrund der knappen Kassen als logischer Kandidat auf die sofortige Nachfolge.

Sollte es tatsächlich so kommen, würde sich Werder nicht nur endgültig von der Vision verabschieden, mit Kohfeldt eine ähnliche Ära begründen zu können wie unter Schaaf oder Otto Rehhagel. Sondern man hätte auch noch relativ fahrlässig eine Woche verloren, um den neuen Mann die Mannschaft auf die letzten drei Bundesliga-"Endspiele" vorbereiten zu lassen.

Noch aber hat Kohfeldt nicht aufgegeben. Er habe schon bei seinem Antritt vor vier Jahren "gezeigt, dass ich von der mentalen Verfassung als auch von der Art und Weise der Arbeit her in der Lage bin, solche Situationen zu bewältigen", sagte er: "Ich werde garantiert nicht weglaufen."

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