Hansi Flicks erste "Amtszeit" als Bundestrainer: Zigaretten und Rotwein in der Hirschen-Liga

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Hansi Flick übernimmt nach der Europameisterschaft das Amt des Bundestrainers. Zum zweiten Mal, denn im Sommer 2008 hatte er es schon einmal kurzzeitig inne. Wie war es dazu gekommen?

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Als Hansi Flick erstmals Bundestrainer wurde, da saß er auf einer roten Sitzschale der Ersatzbank des Wiener Ernst-Happel-Stadions und trug ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Es passierte während der EM 2008 und es passierte relativ unverhofft. Nicht so erwartbar wie nun, als Flick schon wochenlang als Favorit auf Joachim Löws Nachfolge galt und die Frage längst nicht mehr lautete: Ob? Sondern nur mehr: Wann?

Als Hansi Flick erstmals Bundestrainer wurde, da lief die 41. Spielminute des dritten Gruppenspiels gegen Österreich und es stand 0:0. Um ins Viertelfinale einzuziehen, durfte Deutschland nicht verlieren. Ein paar Meter vor Flick diskutierten sein damaliger Chef Löw und der österreichische Teamchef Josef Hickersberger wild mit dem spanischen Schiedsrichter Manuel Enrique Mejuto Gonzalez. Alles eine große Ungerechtigkeit, wie sich herausstellen sollte - aber dazu später mehr. Sie diskutierten jedenfalls vergeblich und Gonzalez schickte beide Trainer auf die Tribüne.

Löw klatschte noch freundschaftlich mit seinem Kollegen Hickersberger ab, sprach auf der Tribüne kurz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und setzte sich dann neben den gesperrten und beachtlich blondierten Bastian Schweinsteiger. Interimistischer Bundestrainer war nun Flick, damals 43 Jahre alt, mit Cheftrainererfahrungen bei Viktoria Bammental (Verbandsliga, Oberliga) sowie der TSG Hoffenheim (Oberliga, Regionalliga) und seit zwei Jahren Löws Assistent.

Beim dritten Gruppenspiel zwischen Deutschland und Österreich: Die Trainer Joachim Löw und Josef Hickersberger in Diskussionen mit dem vierten Offiziellen Damir Skomina.
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Beim dritten Gruppenspiel zwischen Deutschland und Österreich: Die Trainer Joachim Löw und Josef Hickersberger in Diskussionen mit dem vierten Offiziellen Damir Skomina.

Hansi Flicks unverhoffter Einsatz als Bundestrainer

Von der Seitenauslinie aus durfte Flick Michael Ballacks wuchtiges Freistoßtor zum entscheidenden 1:0 bejubeln und am Ende Deutschlands Einzug ins Viertelfinale. Löw und Hickersberger wurden für je ein Spiel gesperrt, Flick blieb also auch für das Viertelfinale gegen Portugal Bundestrainer.

Die Aufstellung entschied natürlich Löw, aber ab Betreten des Basler St. Jakob-Parks durfte er keinen Kontakt mehr mit seinem Assistenten und der Mannschaft haben. Explizit verboten wurde auch jeglicher Austausch über Handys oder Mittelsmänner. Aber keine Sorge, betonte Teammanager Oliver Bierhoff vor dem Spiel: "Hansi weiß, wie Jogi tickt."

Flick also unten am Spielfeldrand, Löw oben in der der VIP-Loge. Nach den durchschnittlichen Leistungen in der Gruppenphase (Siege gegen Polen und Österreich, eine Niederlage gegen Kroatien) brillierte die Mannschaft gegen Portugal erstmals im Turnier. Vor allem Schweinsteiger, der nach abgesessener Sperre in die Startelf zurückkehrte, ein Tor schoss, zwei per Freistoß auflegte und Flick somit zwei Flaschen Rotwein bescherte.

Hansi Flick gewinnt Wein - Joachim Löw raucht eine Zigarette

Flicks eigentliche Aufgabe im Trainerstab war nämlich nicht der Bundestrainerposten, sondern das Einstudieren von Standardsituationen. Die Ausführung dieser lief bei der EM zunächst aber gar nicht gut, in der Gruppenphase gelang auf diesem Wege kein einziges Tor. Löw sah also die Chance auf einfachen Rotwein und wettete mit Flick, dass sich daran gegen Portugal nichts ändern werde.

Nun ja: Freistoß Schweinsteiger, Kopfball Klose, Tor. Freistoß Schweinsteiger, Kopfball Ballack, Tor. "Ich war mir vor dem Spiel sicher, dass wir diesmal einen Treffer nach einer Standardsituation erzielen", sagte Flick danach. "Deshalb bin ich diese Wette eingegangen."

Die zwei Flaschen Rotwein hatte Flick also schnell sicher, das Weiterkommen aber noch nicht. In der 87. Minute verkürzte Helder Postiga auf 2:3 und Deutschland geriet ins Wanken. Kurz darauf schwenkte die Fernsehkamera auf die VIP-Logen und da sah man Löw hinter einer Glasscheibe in einem durchgeschwitzten Hemd tatsächlich mit einer Zigarette in der Hand.

"Die Situation war schon aufreibender, als wenn man den direkten Kontakt zur Mannschaft hat. Es war eine spannende Phase im Spiel, da habe ich mir eben eine angezündet", sagte Löw nach dem Spiel lapidar. Viele sahen das nicht so locker: Vorbildfunktion und so.

Hansi Flick bejubelt gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger den 3:2-Sieg gegen Portugal im EM-Viertelfinale 2008.
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Hansi Flick bejubelt gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger den 3:2-Sieg gegen Portugal im EM-Viertelfinale 2008.

Die UEFA versorgte Löw mit Aspirin und Baldriantropfen

Löw verstieß damit gegen die Prinzipien seines Arbeitgebers DFB, der just in den Monaten vor dem Turnier für ein Zigaretten-Verbot im Rahmen seiner Spiele eingetreten war. "Unser Ziel ist es, dass bei unseren Heimländerspielen und bei den DFB-Pokal-Endspielen in Berlin möglichst nicht mehr geraucht wird. Der Schutz der Stadionzuschauer vor den Gefahren des Passivrauchens steht dabei für uns im Vordergrund", hieß es in einem Statement.

Schon bei der Heim-WM zwei Jahre zuvor wurde der Slogan "No Smoking, Please" propagiert, in einem entsprechenden Fernsehspot trat sogar Kapitän Ballack auf. Bei all der Anspannung konnte Löw aber nicht widerstehen, obwohl ihm die UEFA in der VIP-Loge vorsorglich Alternativen bereitgestellt hatte. Aspirin und Baldriantropfen seien verfügbar gewesen, erzählte Löw danach. Habe er zwar nicht glauben können: "Aber das war in der Tat so."

Aspirin hin, Baldriantropfen her: Portugal schoss kein drittes Tor mehr, Deutschland erreichte das Halbfinale, Löw kehrte auf die Trainerbank zurück und coachte Deutschland ins Finale, wo es ein 0:1 gegen Spanien setzte. Flicks erste Amtszeit als Bundestrainer war somit vorbei - aber was war jetzt nochmal der tatsächliche Auslöser dafür, dass sie überhaupt erst begonnen hatte, dass Löw beim Spiel gegen Österreich auf die Tribüne geschickt wurde?

Warum Löw und Hickersberger auf die Tribüne mussten

Von der riesigen Ungerechtigkeit berichtete Österreichs Teamchef Hickersberger ein paar Tage später ausführlichst bei Waldis EM-Club in der ARD. Der vierte Offizielle Damir Skomina habe in seinem Bericht behauptet, dass die beiden Trainer "nervös" gewesen seien.

Natürlich waren sie das, erklärte Hickersberger: Es ging ja gegen den großen Rivalen und noch dazu um den EM-Viertelfinal-Einzug und nicht wie von Skomina wohl vermutet "um den Alpen-Adria-Pokal in Slowenien oder irgendeine Hirschen-Liga". Die verständliche Nervosität der beiden Trainer sei also "der Kardinalfehler" gewesen, aber dann gab es noch zwei weitere Probleme.

Zunächst die riesige Coaching Zone des Ernst-Happel-Stadions. "Der Jogi und ich waren mit dem Spiel unserer Mannschaften nicht zufrieden und deswegen sind wir immer vor zur Linie gegangen. Da machst du Meter", erklärte Hickersberger. "Der vierte Mann musste deshalb auch laufen und das ist ihm irgendwann auf den Sack gegangen."

Dazu kamen Verständigungsprobleme, denn Skomina sprach kein Deutsch und konnte somit gar nicht verstehen, was Hickersberger und Löw Richtung eigene Spieler und zueinander brüllten. "Im Bericht steht nur, ich hätte den Jogi angeschrien und er mich", berichtete Hickersberger. Was geschrien wurde? "Ich habe dem Jogi einmal zugerufen: 'Jogi, kannst du dem Eierkopf da hinten sagen, er soll uns coachen lassen?'"

Danach war Skomina aber nicht, stattdessen holte er Schiedsrichter Mejuto Gonzalez zu sich. Er schickte Löw und Hickersberger daraufhin auf die Tribüne und ermöglichte somit Flicks erste Amtszeit als Bundestrainer.

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