Sie nannten ihn Beckham: Als Atletico Yannick Carrasco nach China verstieß - und das Interesse des FC Bayern verpuffte

Yannick Carrasco tritt am Mittwoch mit Atletico beim FC Bayern an.
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Wenn der FC Bayern Atletico Madrid am Mittwoch zum Champions-League-Auftakt empfängt (21 Uhr im LIVETICKER), dann auch Yannick Carrasco. Der belgische Außenstürmer stand vor drei Jahren im Fokus des deutschen Rekordmeisters, wechselte aber überraschend nach China. Eine nicht ganz freiwillige Entscheidung, die sich finanziell aber auszahlte.

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Leroy Sane, Serge Gnabry, Kingsley Coman und Douglas Costa. "Unsere Außenbahnen", pflegt Hasan Salihamidzic dieser Tage zu sagen, "sind jetzt top besetzt".

Die Zeiten, in denen die Verantwortlichen des Quintuple-Gewinners aus München noch händeringend nach neuen Spielern für die Außenbahnen suchten, um Arjen Robben und Franck Ribery allmählich abzulösen, sind aber noch gar nicht so lange her. Während der Saison 2017/18 zum Beispiel, als Gnabry noch auf Leihbasis für die TSG Hoffenheim stürmte und nicht jeder an der Säbener Straße von seinem Durchbruch überzeugt war, erkundigten sie sich nach mehreren Spielern.

Ein Name, der nach Informationen von SPOX und Goal intern diskutiert wurde: Yannick Carrasco. Ein schneller, trickreicher, auf dem höchsten internationalen Niveau erprobter Spieler. Und mit 24 im besten Alter. Auch der FC Arsenal war zu jenem Zeitpunkt an dem Belgier interessiert. Aus einem Wechsel nach München oder London wurde für Carrasco bekanntlich aber nichts. Dalian Yifang, ein Vertreter aus der chinesischen Super League, sicherte sich im Februar 2018 zur allgemeinen Verwunderung für rund 30 Millionen Euro die Dienste des Spielers.

"Die chinesische Liga boomt. Die Arbeitsbedingungen sind fantastisch, die Spieler und Fans können eine moderne Infrastruktur nutzen und das Spielniveau wird jede Saison besser", erklärte Carrasco nach seiner Ankunft in Dalian und versicherte: "Ich bin hier, weil mich das Projekt überzeugt."

Carrasco-Wechsel nach China nicht ganz freiwillig

Zweifelhafte Worte. Natürlich, die Chinesen lockten ihn mit einer verlockenden Jahresgage von zehn Millionen Euro netto. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass der Deal von Spielerseite aus nicht ganz freiwillig ablief. Wang Jianlin, der Chef des eng mit Atletico verbandelten chinesischen Wirtschaftskonglomerats "Wanda Group", fungierte nebenbei als Hauptanteilseigner bei Dalian und wollte unbedingt einen neuen Superstar für seine Mannschaft.

Dass die Wahl auf Carrasco fiel, war kein Zufall. Der Spieler hatte damals trotz seiner unbestrittenen technischen Fähigkeiten einen schweren Stand im Team von Diego Simeone. Ihm wurde nachgesagt, die auf viel Laufarbeit basierende Spielidee Simeones nicht zu verinnerlichen, zu lasch zu trainieren und generell: zu extravagant aufzutreten. Der spanischen Zeitung El Pais zufolge sei er ob seiner Allüren von manchen Mitspielern "Beckham" genannt worden.

"Es ist wahr, dass Carrasco mit seiner Art bei einigen Mitspielern aneckte und Probleme bekam", sagt der belgische Sportjournalist Sacha Tavolieri, der einen engen Draht zu Carrasco hat, im Gespräch mit SPOX und Goal.

Yannick Carrasco tritt am Mittwoch mit Atletico beim FC Bayern an.
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Yannick Carrasco tritt am Mittwoch mit Atletico beim FC Bayern an.

Carrasco: Probleme mit Atletico-Führungsspielern

Allen voran der mittlerweile in Katar aktive Ex-Kapitän Gabi habe sich häufig mehrere Wortgefechte mit dem Angreifer geliefert. "Irgendwann war der Druck auf Carrasco zu groß. Auch andere Führungsspieler wie Diego Godin oder Koke waren nicht gut auf ihn zu sprechen und am Ende setzte sich selbst Simeone, der ihn lange in Schutz genommen hatte, für einen Verkauf ein", so Tavolieri.

Der für den monegassischen Radiosender RMC Sport tätige Reporter berichtet auch von einer großzügigen Provision, die der China-Klub Carrascos Berater Christophe Henrotay und dem als zusätzlichen Vermittler in die Verhandlungen eingeschalteten Jorge Mendes unterbreitet habe. "Carrasco wollte diesen Wechsel nicht. Er wurde dazu gedrängt", behauptet Tavolieri.

Aus finanzieller Sicht schadete ihm das Abenteuer China gewiss nicht. Gleichwohl verschwand Carrasco, auch wenn er immerhin noch regelmäßig zur belgischen Nationalelf eingeladen wurde und an der WM 2018 teilnahm, fast zwei Jahre lang von der Bildfläche. In dieser Zeit erzielte er in 52 Spielen 24 Tore für Dalian.

Carrasco: Schlägerei im Training

Viele Freunde gewann er im Reich der Mitte aber nicht. In Erinnerung blieb vor allem eine Schlägerei im Training mit seinem Mannschaftskollegen Pengxiang Jin im Dezember 2018. Carrasco brach Jin mit einem Fausthieb die Nase, woraufhin ihn dieser anzeigte. Chinas Justiz verdonnerte den Täter angeblich zu einem Schmerzensgeld von 150.000 Euro und entzog ihm für ein paar Wochen den Reisepass.

Ein paar Monate später gab es erneut Ärger mit einem Mitspieler - diesmal aber verbal. Ziqian Yu, ein Torhüter, widmete Carrasco im sozialen Netzwerk Weibo einen ausführlichen Post mit schweren Anschuldigungen: "Du stehst während des Spiels nur rum, greifst nicht an und verteidigst nicht - die Atmosphäre beim Training ist total vergiftet! Egal wie wichtig ein Spieler ist, er kann sich nicht über das Team stellen."

Carrasco reagierte darauf mit mehreren Interviews, in denen er ankündigte, schnellstmöglich nach Europa zurückkehren zu wollen. Ausgerechnet Atletico tat ihm im Januar 2020 diesen Gefallen.

Carrasco nutzt seine zweite Chance bei Atletico

Simeone wollte ihm - zunächst auf Leihbasis - eine zweite Chance geben. Die nutzte Carrasco, indem er sich auf Anhieb in die veränderte, mit einer neuen Hierarchie ausgestattete Mannschaft von Atletico einfügte und speziell nach der Corona-Pause starke Leistungen wie beispielsweise beim 2:2 gegen den FC Barcelona Ende Juni zeigte. "Über seine fußballerische Qualität brauche ich nichts zu sagen", so Simeone. "An der Idee, ihn zurückzuholen, gefiel mir, dass er richtig Lust darauf hatte, sich neu bei uns zu beweisen."

Das Resultat: Anfang September hob "El Cholo" den Daumen für eine feste Verpflichtung des Rückkehrers. Medienberichten zufolge wurden 27 Millionen Euro fällig - also in etwa genauso viel, wie die Chinesen 2018 nach Madrid überwiesen hatten. "Ich bin während meiner Zeit in Dalian ein reiferer Mensch geworden", sagt der mittlerweile 27-jährige Carrasco. Sein Karriereweg hätte ohne diesen dubiosen Transfer dennoch anders verlaufen können - möglicherweise ja sogar mit einem Engagement in München.

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