BVB nach der Pleite gegen Bochum: Gefangen im eigenen Erfolgsmodell

Von Patrick Brandenburg
Nach der Heimpleite gegen Bochum enttäuscht am Boden: Erling Haaland (l.) und Jude Bellingham.
© getty

Dortmunds Vizemeisterschaft wird wohl selbst nach der üblen Pleite im Revierderby nicht mehr in Gefahr geraten, der Einzug in die Champions League ist ohnehin längst gesichert. Echte Freude über den Verlauf dieser Saison will aber trotzdem nicht aufkommen bei Schwarz-Gelb. Die Ziele des Klubs und die Träume seiner Fans sind zurzeit kaum noch unter einen Hut zu bekommen.

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Sechs einsame Dortmunder Anhänger hielten es bis zum bitteren Ende auf der Südtribüne aus. Noch eine Dreiviertelstunde nach Spielschluss bestaunten sie die wilde, nicht enden wollende Jubelparty des VfL Bochum im früheren Westfalenstadion.

Vielleicht schwang bei den standhaften Borussen auch Wehmut mit, gemeinsam ein echtes Ziel feiern zu können. Und sei es "nur" der Klassenerhalt. Den hatten die Gäste mit dem 4:3-Sieg im Revierderby vorzeitig gesichert.

In der Crunchtime der Saison wird die schwarz-gelbe Gemeinde gerade alle Nase lang ziemlich schmerzhaft daran erinnert, welche emotionale Power der Fußball haben kann. Vom vermeintlich kleinen Reviernachbarn müssen sie sich im eigenen Stadion verhöhnen lassen: "Die Nummer eins im Pott sind wir."

Obwohl das natürlich nicht stimmt angesichts von neun Plätzen Rückstand, die der VfL in der Tabelle hat. Selbst der klassentiefere Erzrivale Schalke 04 entfacht viel mehr Feuer im eigenen Lager: Mit 10.000 Reise-Verrückten auf Auswärtstour in Sandhausen! Dass es bei Königsblau derzeit "nur" um die 2. Liga geht, ist völlig unerheblich angesichts der Wucht, die das irre Aufstiegsfinish rund um den Leid geprüften, anderen B1-Nachbarn aktuell entfacht.

BVB-Blick nach Frankfurt: Respekt und auch Neid

Nicht zuletzt schaut die schwarz-gelbe Gemeinde schon länger mit Respekt - und vielleicht auch einer Prise Neid - Richtung Frankfurt. Diese Erlebnisse und Bilder, die Nähe zwischen Fans und Spielern, das in Eintracht-Weiß getauchte Camp Nou in Barcelona erinnert viele Borussen daran: "Genau so waren wir doch auch noch vor wenigen Jahren": Beim sagenhaften Auswärtsspiel des BVB bei Man City im Herbst 2012. Mit dem Fanmarsch in London vorm Duell mit Arsenal.

Die Sehnsucht ist groß, selbst wieder auf diese Art Europa zu erobern, anstatt doppelt durch Ajax gedemütigt oder von den Rangers sogar zuhause distanziert zu werden - sportlich wie akustisch.

Der BVB scheint im eigenen Erfolgsmodell gefangen. Die Westfalen sind zwar nicht gut genug, um dem FC Bayern das Titelabo zu kündigen. Aber meist zu gut, um den europäischen Wettbewerb zu verpassen. Die absolute Leidenschaft als elementarer Bestandteil der Klub-DNA droht darüber zu verschwinden.

Meist reichen weniger als hundert Prozent, um das Minimalziel zu erreichen. Zur Not richtet es ein energischer Schlussspurt wie vergangene Saison, um die lukrative Königsklasse zu sichern. Gut 50 Millionen Euro ist das in der Regel wert und gibt dem BVB einen Startvorteil gegenüber den meisten Liga-Konkurrenten.

BVB: Die Richtung bleibt unklar

Am Ende dieser Spielzeit wird sich Dortmund wohl zum sechsten Mal seit Beginn der Münchner Dauer-Hegemonie 2013 mit dem Titel Vizemeister schmücken und trotzdem - wie schizophren - etliche treue Fans verprellt haben.

Dem BVB ist die eigene Spielphilosophie flöten gegangen, es geht permanent von Umbruch zu Umbruch. Tuchel sollte moderne taktische Alternativen liefern, Bosz Angriffswirbel. Stöger musste reparieren, Favre erst konsolidieren, dann plötzlich doch oben angreifen. Mit Marco Rose war die Rückkehr zum Überfallfußball geplant.

Mal sollen dabei freche Jungstars helfen, mal Routiniers. Immer mal wieder sind gallige Mentalitätsspieler, gefragt, denn mangelnde Einstellung bleibt ein treuer Begleiter, auch wenn das Problem gerne sprachlich verschleiert wird - aktuell firmiert es beim BVB unter "Haltungsfrage".

Die Richtung bleibt unklar, die Suche danach die einzige große Konstante. Auch Dortmunds Story stößt an ihre Grenze. Die Rolle als Durchlauferhitzer für Europas Top-Talente ist ja eigentlich keine schlechte, aber wenn die Verweilzeit der künftigen Superstars immer kürzer wird, leidet auch die Bindung.

BVB: Elf Jude Bellinghams müsst ihr sein!

Wie bei Erling Haaland: Wohl jeder beim BVB hat es genossen, diese Urgewalt eines Ausnahmespielers im schwarz-gelben Trikot gesehen zu haben. Aber seit Wochen sind alle vom schleichenden Abschied des Norwegers nur noch genervt.

Dabei würden wohl nicht nur Hardcore-Fans sogar einen harten Fight um Rang fünf oder darunter akzeptieren - führte der BVB ihn wieder mit einer sympathischen Rasselbande oder gleich mit elf Jude Bellinghams - längst der neue Goldstandard für alle, die es mit der Borussia halten. Mit dem Versprechen auf viel Leidenschaft und der Rückkehr zum Marketing-Versprechen "Echte Liebe".

Auch der Umbruch unter Rose ist bislang nicht in Schwung gekommen. Das unfassbare Pech mit Verletzungen ist Teil der Erklärung. Aber selbst der Trainer will das nicht allein als Rechtfertigung gelten lassen. Der BVB-Fußball ist zu selten spektakulär, beizeiten sogar ganz schwere Kost. Der Spaßfaktor hält sich jedenfalls in engen Grenzen.

Rose hat jüngst sehr offen zugegeben, nicht im erhofften Maße Euphorie rund um seinen neuen Klub entfacht zu haben. Das viel zu frühe Aus in den Pokalwettbewerben hat Zuneigung gekostet. Die deftigen Heimpleiten in der Liga gegen Leverkusen und das verhasste RB Leipzig waren mehr als ernüchternd. Nach der Blamage gegen Bochum gab es nun sogar ein Pfeifkonzert und viele Mittelfinger für die eigenen Lieblinge.

BVB: Großbaustelle Defensive in Arbeit

Die Rückkehr zur wilden Balljagd der Marke Klopp braucht viel Zeit, der künftige Sportdirektor Sebastian Kehl hat schon um mehrere Spielzeiten Geduld gebeten. Aber über etwas deutlichere und früher sichtbare Ansätze hätte sich die schwarz-gelbe Gemeinde wohl nicht beschwert. Vor allem defensiv, der Basis für diese Art von Fußball.

Bislang setzt Rose aber die fürchterliche Klub-Tradition fort: Im sechsten Jahr in Folge kassiert die Borussia 40 oder mehr Gegentore. Für ein Topteam zu viel, für einen designierten Vizemeister allemal. Nach vier Treffern gegen Bochum ist der BVB nun schon bei 50 (!) angekommen - obwohl das Team mit Gregor Kobel sogar ein echtes Upgrade auf der Torwartposition bekommen hat.

"Die Kernthematik ist klar", sagte Trainer Rose nach dem Derby - mal wieder - und gab in sportlicher Hinsicht einen Wink auf die nächste Spielzeit. In der Abwehr und davor ist weiterhin die meiste Arbeit nötig.

Das Problem ist adressiert, erste Transfers und Wechselgerüchte deuten darauf hin: In Niklas Süle vom FC Bayern und aller Voraussicht nach auch Nico Schlotterbeck vom SC Freiburg bekäme Dortmund eine Innenverteidigung von internationalem Format. Ob die Borussia neben sportlicher Klasse auch frisches Herzblut einkauft, bleibt die spannende Frage.

BVB: Eigener Nachwuchs ein Hoffnungsschimmer

Immerhin bekommen inzwischen einige Top-Talente aus der erfolgreichen U19 des Klubs ihre Chance, Außenverteidiger Tom Rothe etwa, oder Flügeldribbler Jamie Bynoe-Gittens. Dass sie erst jetzt, im sportlich wenig bedeutsamen Saisonfinish Einsatzzeiten sammeln, hat gute Gründe.

Die Youngster sollen behutsam an die Aufgabe herangeführt werden. Aber: Ihnen verzeiht man Fehler, sie sind Sympathie- und Hoffnungsträger: Schon jetzt deutet sich an, dass sie bereits früher ein Schlüssel hätten sein können, um die Bindung zwischen Fans und Team zu stärken.

Bundesliga: Tabelle nach dem 32. Spieltag

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München3293:336075
2.Borussia Dortmund3280:503063
3.Bayer Leverkusen3172:442855
4.Freiburg3256:401655
5.RB Leipzig3166:333354
6.Köln3251:46552
7.Union Berlin3243:41251
8.Hoffenheim3255:51446
9.Mainz 053246:42442
10.Eintracht Frankfurt3142:44-240
11.Bochum3234:48-1439
12.Wolfsburg3240:52-1238
13.Borussia M'gladbach3145:58-1338
14.Augsburg3237:51-1435
15.Hertha BSC3235:67-3233
16.Stuttgart3237:56-1929
17.Arminia Bielefeld3225:50-2527
18.Greuther Fürth3226:77-5118