Kommentar zur Blamage des FC Bayern München: Julian Nagelsmann hat sich vercoacht

Julian Nagelsmanns FC Bayern München hat völlig überraschend mit 2:4 beim Aufsteiger VfL Bochum verloren.
© Getty

Der FC Bayern München hat völlig überraschend mit 2:4 beim Aufsteiger VfL Bochum verloren. Eine beträchtliche Mitschuld daran trägt Trainer Julian Nagelsmann. Ein Kommentar.

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Kurzzeitig wurden die Rufe von Herbert Grönemeyers Vereinshymne "Bochum" und einem "Oh, wie ist das schön" unterbrochen, aber dann kehrten sie lautstark zurück. Womöglich sogar noch schmetternder als zuvor: "Wir woll'n den Trainer seh'n, Wir woll'n den Trainer seh'n. Wir woll'n, wir woll'n den Trainer seh'n!" Das Spiel war schon fast eine Viertelstunde vorbei, als Thomas Reis endlich zur Bochumer Fankurve ging und sich feiern ließ.

Zu Dank verpflichtet waren die Fans aber eigentlich nicht nur ihrem eigenen Trainer, sondern gewissermaßen auch dem gegnerischen. Dass der FC Bayern München völlig überraschend mit 2:4 beim Aufsteiger VfL Bochum unterlag, daran hatte Julian Nagelsmann nämlich eine beträchtliche Mitschuld. Wie man das im Fußball-Jargon so schön sagt: Nagelsmann hat sich vercoacht.

Als Konsequenz auf den Ausfall von Alphonso Davies hatte er zuletzt ein ungewöhnliches 3-2-4-1-System etabliert. Es kaschierte das Fehlen eines offensivstarken Außenverteidigers, bot dem formstarken Corentin Tolisso Platz in seiner Paraderolle - und vor allem den fünf herausragenden Offensivspielern. So besiegte der FC Bayern RB Leipzig, so zeigte er beim 4:1 bei Hertha BSC eines seiner besten Saisonspiele. Die Münchner überzeugten mit erdrückendem Pressing, mit schönen Kombinationen und mit vielen Torchancen.

Nagelsmanns System-Umstellung bewährt sich nicht

Statt einfach weiter auf das bewährte System zu setzen, passte Nagelsmann seine Mannschaft in Bochum dem Gegner an. Einem Aufsteiger. Schon bei der Pressekonferenz vor dem Spiel warnte er vor den flinken Bochumer Flügelspielern Gerrit Holtmann und Christopher Antwi-Adjei. Mutmaßlich um ihnen Einhalt zu gebieten, bot Nagelsmann in der Abwehr diesmal eine Viererkette auf. In Ermangelung echter Außenverteidiger bestand sie aus vier gelernten Innenverteidigern.

Weil Nagelsmann nicht auf seine fünf überragenden Offensivspieler verzichten wollte, blieb nur mehr Platz für einen Mittelfeldspieler: Joshua Kimmich. Der zuletzt so formstarke Tolisso musste draußen bleiben. Mit seinem schmächtigen und nur 1,77 Meter großen Körper konnte Kimmich das riesige Loch im Zentrum des Spielfelds alleine nicht stopfen. Kimmich fehlte der dynamische Tolisso an seiner Seite. Der für ihn reinrotierte Innenverteidiger Dayot Upamecano erwischte dagegen seinen nächsten rabenschwarzen Tag und war an allen vier Gegentoren entscheidend beteiligt.

Trotz oder wegen des neuen Systems fand die Mannschaft keine Mittel gegen die Bochumer um Holtmann und Antwi-Adjei, individuelle Fehler rundeten die Abwehr-Misere ab. Dominanz und Selbstverständlichkeit bei eigenem Ballbesitz waren gleichzeitig verflogen.

Nagelsmann sucht die Schuld bei sich selbst

"In der ersten Halbzeit haben wir sehr, sehr schlecht gespielt. Wir hatten einen Plan, der nicht aufging", gab Nagelsmann bei der Pressekonferenz danach zu. Dass er die Schuld in erster Linie bei sich selbst und nicht bei seinen Spielern sucht, ehrt Nagelsmann. "Ich hätte schneller reagieren müssen, schneller umstellen müssen. Das habe ich zu spät gemacht."

Tolisso begab sich beim Stand von 1:1 zum Aufwärmen neben das Tor von Sven Ulreich. Von dort durfte er aus nächster Nähe einen verwandelten Handelfmeter von Jürgen Locadia und die Traumtore von Cristian Gamboa und Holtmann bewundern. Als er zur Pause für Upamecano eingewechselt wurde, war es schon zu spät.

Der FC Bayern spielte nach der Rückkehr zum alten System zwar besser und verkürzte noch auf 2:4, die Niederlage war aber nicht mehr zu verhindern. So stehen die Münchner nach 22 Spieltagen trotz neun Punkten Vorsprung auf Verfolger Borussia Dortmund (Sonntag, 15.30 Uhr bei Union Berlin) schon bei vier Pleiten. Das sind genauso viele wie am Ende der Saison 2018/19, als der FC Bayern unter dem vielkritisierten Trainer Niko Kovac immerhin das Double holte.

Wiederholen kann Nagelsmann dieses Kunststück in dieser Saison nicht mehr, scheiterte seine Mannschaft im DFB-Pokal doch bereits im Oktober mit 0:5 an Borussia Mönchengladbach. Trotz dieses herbstlichen Totalausfalls war das Spiel in Bochum für Kimmich die "schlechteste Saisonleistung".

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