Guglielmo Vicario: Warum der Neuer-Zwilling perfekt zum FC Bayern München passt

Von Chris Lugert
Julian Nagelsmann
© getty

Guglielmo Vicario tauchte plötzlich als möglicher neuer Torwart beim FC Bayern auf. Die Zahlen zeigen: Das könnte sehr gut passen.

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Ein wenig hat es etwas von einem Basar, was da beim FC Bayern auf der Torhüterposition in den vergangenen Wochen passierte. Fast jeder gute Torhüter wurde den Münchnern präsentiert, um die durch die Verletzung von Manuel Neuer entstandene Lücke kurz-, mittel- und vielleicht auch langfristig zu schließen. Und da die WM in Katar ja genügend Torhütergeschichten schrieb, geisterten plötzlich auch die Namen Yassine Bounou, Dominik Livakovic und Emiliano Martínez durch die Säbener Straße. Der Berater von Vladan Kovacevic, Torwart beim polnischen Tabellenführer Rakow Czestochowa, bot seinen Schützling zudem einfach mal über die Medien an.

Und inzwischen? Da steht Yann Sommer zumindest als Übergangslösung bis zum Saisonende fest (allerdings Vertrag bis 2025), Gregor Kobel vom BVB soll ab 2024 ein Kandidat sein. Und dann gab es ja noch die interne Lösung Alexander Nübel, der (zumindest vorerst) nach der Saison nach München zurückkehrt. Mitten in dieser ohnehin schon etwas verworrenen Situation kam plötzlich auch noch Guglielmo Vicario um die Ecke. Die italienischen Zeitungen Tuttosport und La Repubblica berichteten, die Bayern würden sich um den 26-Jährigen vom FC Empoli bemühen.

Guglielmo wer? Zugegeben, bei der Suche nach potenziellen Neuzugängen für einen Weltklub, der die Bayern nun einmal sind, würde der aktuelle Tabellenneunte der Serie A vermutlich durch das Raster fallen. Dass Empoli aber auf Platz neun steht und mit dem Abstieg nichts zu tun haben dürfte, hat auch sehr viel mit Vicario zu tun.

Immerhin 8,5 Millionen Euro überwies Empoli im vergangenen Sommer an Cagliari, um Vicario zu holen und sich auf der Torhüterposition langfristig verstärken. Er dankte es seither mit sieben Zu-Null-Spielen in der Liga sowie erst 22 Gegentoren überhaupt. Zum Vergleich: Inter Mailand steht bereits bei 25 gegnerischen Treffern. Beim direkten Aufeinandertreffen setzte sich Empoli am Montag mit 1:0 durch, Vicario war erneut nicht zu überwinden.

Doch es sind weit mehr als nur die absoluten Zahlen an Toren, die er zulässt (oder eben nicht zulässt), die zeigen, wie außergewöhnlich gut Vicario tatschlich ist - und warum sein Spielstil perfekt nach München passen würde.

Guglielmo Vicario: Mitspielender Torwart und Elmeterkiller

Daten von CreateFootball belegen, dass sich Vicario und Neuer in einigen entscheidenden Parametern ziemlich ähnlich sind. Der Italiener antizipiert gegnerische Pässe hinter die eigene Abwehrkette stark und bereinigt Situationen, ehe sie zur Bedrohung werden. Vicario ist also ein mitspielender Torwart, wie er im System der Bayern gebraucht wird. Wenngleich er sich tendenziell eher tiefer positioniert, kann er in derartigen Situationen mit Reaktionsschnelligkeit und Timing beim Herauslaufen punkten.

Auffällig ist, dass der Keeper bei Empoli extrem stark ins Pass- und Aufbauspiel mit einbezogen wird. Vor allem seine Passgenauigkeit und die Qualität, Gegner zu überspielen, stechen dabei heraus und könnten in einem spielstarken Team mit viel Ballbesitz vermutlich noch mehr zur Geltung kommen.

Und auf der Linie? Da ist der 1,94-Meter-Hüne einer der Besten seiner Zunft. Sein Positionsspiel sowie seine Reflexe auf der Linie sind herausragend. Nach der xG-Metrik müsste seine Mannschaft bereits zehn (!) Gegentore mehr kassiert haben, als sie tatsächlich auf dem Konto hat. Das ist die größte Überperformance in den Top-5-Ligen in Europa. Mit durchschnittlich 1,51 Glanzparaden pro Spiel im Kalenderjahr 2022 zeigte er mehr als zweieinhalb mal so viele wie Neuer (0,64) und kam fast an den Wert von Sommer (1,58) heran.

vicario
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Zudem macht Vicario kaum Fehler. Lediglich zwei der letzten 58 Gegentore fielen aus einem spitzen Winkel oder großer Schussdistanz, ein absoluter Top-Wert. Seine Abwehrquote von Schüssen aus maximal zehn Metern erreicht mit 71 Prozent auch nahezu den Wert von Neuer (72 Prozent) und ist etwa deutlich höher als bei Sommer (62 Prozent). Der Schweizer hat dafür Vorteile aus der Mitteldistanz zwischen zehn und 20 Metern: Sommer wehrt 73 Prozent dieser Schüsse ab, Vicario zwei Drittel und Neuer sogar nur 59 Prozent.

Eine Qualität jedoch, die Vicario vielen anderen Torhütern voraus hat, ist die als Elfmeterkiller. Im Kalenderjahr 2022 wehrte er 54 Prozent aller Strafstöße ab, von den vergangenen 13 Elfmetern entschärfte er sieben. Damit ist seine Quote sogar höher als jene von Bochums Elfertöter Manuel Riemann, der bei 17 Elfmetern achtmal das Duell für sich entschied. Zum Vergleich: Neuer hielt 2022 keinen einzigen Strafstoß.

Guglielmo Vicario fehlt die Erfahrung auf Top-Niveau

Doch bei Vicario gibt es auch Fragezeichen, vor allem seine mangelnde Erfahrung in einem Top-Klub ist hier zu nennen. Er spielt überhaupt erst seit 2021 regelmäßig in der Serie A, Partien auf europäischer Bühne hat er noch gar nicht vorzuweisen. Zudem ist er es bislang gewohnt, in jedem Spiel viel Arbeit zu bekommen. Wie es allerdings in einer Mannschaft aussieht, in der er deutlich weniger zu tun hat und bei wenigen entscheidenden Momenten auf den Punkt da sein muss, kann niemand wirklich beurteilen. Genau diese Qualität zeichnet aber die absoluten Spitzentorhüter aus.

Mit seinen 26 Jahren ist Vicario für einen Torhüter noch sehr jung und verfügt entsprechend noch über reichlich Entwicklungspotenzial. Das macht ihn zu einer interessanten Alternative zu Kobel, sollte der Schweizer zu teuer sein. Seine Spielweise erinnert stark an Neuer, Klubs wie Juventus, AC Mailand und AS Rom sind bereits an Vicario dran. Bei Hasan Salihamidzic und Co. könnte es allerdings noch Zweifel geben, ob der Schritt von Empoli zum FC Bayern samt Ablösesumme in Höhe von kolportierten 15 Millionen Euro nicht doch zu groß ist. Diesen Zwischenschritt hin zu einem regelmäßigen Champions-League-Teilnehmer hat Kobel Vicario voraus.

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