FC Bayern München vor dem Bundesliga-Topspiel gegen den BVB: Flicks Statikfrage

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© imago images / FC Bayern München

Der 4:0-Sieg vor einem Jahr gegen Borussia Dortmund war das Erweckungserlebnis für Hansi Flicks triplesiegenden FC Bayern München und dessen neue Defensivformation. Vor der Neuauflage des Duells am Samstag (18.30 Uhr im LIVETICKER) kämpfen damalige Protagonisten mit Problemen - und Trainer Flick stellt sich womöglich die Statikfrage.

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Alles begann mit einem 1:5 gegen Eintracht Frankfurt im vergangenen Oktober. Diese krachende Niederlage legte die seit Monaten schwelenden Probleme des FC Bayern unter Trainer Niko Kovac so gnadenlos offen, dass dieser anschließend entlassen wurde.

Zum Abschied aber schenkte Kovac seinem Co-Trainer und Nachfolger Hansi Flick noch die Defensivformation, die diesem einige Monate später das Triple bescheren sollte. Oder hatte sie ihm Flick damals ohnehin selbst eingeflüstert? Links hinten jedenfalls verteidigte gegen Frankfurt Flügelstürmer Alphonso Davies, innen Mittelfeldspieler David Alaba, rechts Innenverteidiger Benjamin Pavard und davor Joshua Kimmich.

Sie machten es schlecht und kassierten fünf Gegentore (begünstigt auch durch den Platzverweis von Alabas Nebenmann Jerome Boateng), Flick aber vertraute dem Konstrukt trotzdem weiterhin und es sollte sich lohnen. Auf einen 2:0-Sieg in der Champions League gegen Olympiakos Piräus folgte ein spektakuläres 4:0 gegen Borussia Dortmund, bei dem der damals gerade 19-jährige Davies seinen Gegenspieler Jadon Sancho so sehr entnervte, dass ihn Dortmund-Trainer Lucien Favre bereits während der ersten Halbzeit auswechselte.

Dieser Sieg gegen Dortmund war einerseits Davies' erster großer Auftritt und andererseits das Erweckungserlebnis von Flicks FC Bayern und dessen neuer, fortan meist äußerst stabilen Defensivformation. Es war der wahre Ausgangspunkt des Siegeszugs zum Triple.

Der FC Bayern München kassiert zu viele Gegentore

Ziemlich genau ein Jahr später trifft der FC Bayern wieder auf Dortmund, mit jeweils 15 Punkten führen die beiden Topklubs die Bundesligatabelle an. Dank einer fast schon unglaublichen Menge an Toren liegt der FC Bayern aktuell mit der besseren Tordifferenz vorne. Was aber auffällt: Während Dortmund in den erstens sechs Saisonspielen erst zwei Gegentore hinnehmen musste, sind es beim FC Bayern bereits neun.

In der vergangenen Bundesligasaison kassierte der FC Bayern ab der Amtsübernahme von Flick in 24 Spielen nur 16 Gegentore, beim Champions-League-Finalturnier im August waren es drei in vier Spielen. Die einstige Stärke droht aktuell zum Problem zu werden; die vor einem Jahr etablierte Defensivformation zeigte in den vergangenen Wochen aus verschiedensten Gründen Zerfallserscheinungen.

Abgesehen von Kimmich, der sich im defensiven Mittelfeld immer mehr zum absoluten Führungsspieler mit schier übermenschlichen Fähigkeiten entwickelt, haben alle anderen Vertreter zu kämpfen.

Debatten um Alaba, Davies verletzt, Pavard außer Form

Alaba beschäftigt aktuell seine unklare Zukunft, seit dem zurückgezogenen Vertragsangebot des FC Bayern am Sonntag debattiert er mit den Verantwortungsträgern öffentlich über die Deutungshoheit in dieser Thematik. Wer wusste wann von wem was? Und warum eigentlich? Beim 6:2-Sieg am Dienstag beim FC Salzburg zeigte Alaba genau wie sein Nebenmann Boateng einige Schwächen und war an beiden Gegentoren beteiligt - seinen Platz als Abwehrchef hat er aber trotzdem sicher.

Davies, der in der vergangenen Saison phasenweise rauschhaft spielte, legte einen durchwachsenen Saisonstart hin und verlor seinen Stammplatz an Lucas Hernandez. Als ihm Flick vor zwei Wochen gegen Frankfurt (5:0) eine Bewährungsprobe gab, verletzte er sich kurz nach Anpfiff ohne gegnerische Einwirkung am Sprunggelenk. Seitdem fällt er aus.

Pavard, der seinerseits das Champions-League-Finalturnier verletzungsbedingt verpasst hatte, spielte in dieser Saison zwar meist mit, überzeugte dabei aber selten. Von seiner defensiven Stabilität aus der vergangenen Saison war wenig zu sehen. Gegen Salzburg leistete er sich vor dem 0:1 einen Stellungsfehler und fiel auch in der Folge mit Unkonzentriertheiten und Ballverlusten auf.

Beim Stand von 2:2 wechselte ihn Flick in der 74. Minute für Neuzugang Bouna Sarr aus. Rund 20 Minuten und vier Tore später hatte der FC Bayern souverän mit 6:2 gewonnen. Sarr selbst hatte daran zwar keinen entscheidenden Anteil, seine Einwechslung zu diesem Zeitpunkt und bei diesem Spielstand zeigte aber Flicks Wertschätzung für ihn. Pavards Ersatzmann aus der vergangenen Saison, Alvaro Odriozola, etwa versuchte Flick in wichtigen Situationen tunlichst nicht einzuwechseln.

Offensivverteidiger Bouna Sarr, Fighter Lucas Hernandez

Genau wie Davies ist Sarr ein gelernter Flügelstürmer, dessen Stärke als Außenverteidiger das Offensivspiel ist. Sportdirektor Hasan Salihamidzic erfand für ihn neulich sogar ein neues Wort: "Offensivverteidiger". Bei seinen ersten Auftritten für den FC Bayern wirkte Sarr zwar teilweise etwas übermütig und hektisch, fand zuletzt aber immer besser rein und steht nach 377 Einsatzminuten bereits bei drei Assists.

Einen davon lieferte er bei seinem Startelfdebüt in der Bundesliga gegen Frankfurt. "Bouna hat ein gutes Spiel gemacht", lobte Flick danach. "Es ist wichtig, dass alle anderen merken: 'Hey, da ist noch einer, der auch richtig gut ist.' Das kitzelt vielleicht das eine oder andere Prozent raus." Beim folgenden Spiel beim 1. FC Köln (2:1) verteidigte Sarr überraschend links, wo es in Abwesenheit des verletzten Davies aktuell keine ernsthafte Alternative zu Hernandez gibt.

Er kam im vergangenen Sommer als Rekordeinkauf für 80 Millionen Euro von Atletico Madrid und war zunächst eigentlich für die Innenverteidigung eingeplant. Einen Stammplatz eroberte sich Hernandez dort aber keinen, stattdessen gibt er mit seiner Aggressivität und Zweikampfstärke in dieser Saison einen guten Linksverteidiger. Hernandez interpretiert seine Rolle ganz anders als Davies oder Sarr, ist ähnlich wie Pavard auf der anderen Seite frei nach Salihamidzic ein Defensivverteidiger. Flick lobte ihn neulich als "absoluten Fighter".

Bringt Hansi Flick gegen Dortmund die bewährte Statik zurück?

Während Hernandez seinen Platz links hinten aktuell sicher hat, scheint der Konkurrenzkampf auf rechts durchaus offen. Es käme nicht allzu überraschend, würde Flick Sarr demnächst bei einem wichtigen Spiel in der Startelf testen. Vielleicht sogar am Samstag in Dortmund?

Mit einem solchen Manöver würde Flick die ab ihrem Erweckungserlebnis gegen Dortmund bewährte (und durch das Duo Pavard/Hernandez zuletzt aufgegebene) Abwehrstatik aus der vergangenen Saison zurückbringen: Ein Außenverteidiger mit seinen Stärken im Offensivspiel, einer mit seinen Stärken im Defensivspiel - nur eben spiegelverkehrt.

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