Fußball-Kolumne - Zeit zu handeln: Nationale Ligen spielen, internationale Wettbewerbe verschieben

Vor dem Spiel der Bayern gegen Tigres musste der Torpfosten desinfiziert werden.
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Die Corona-Infektion von Thomas Müller während der Klub-WM zeigt, wie durchlässig die vermeintliche "Blase" im Profisport ist, je größer Wettbewerb und Reisestrecken werden. Die Fußball-Kolumne thematisiert die wichtigsten Fragen und nennt eine mögliche Lösung.

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Der FC Bayern hat seinen historisches Titel-Sixpack teuer erkauft. Die Münchner müssen nicht nur vorerst auf Serge Gnabry verzichten, der sich beim 1:0 im Finale der Klub-WM gegen die Tigres UANL einen Muskelfaserriss zuzog.

Sondern auch auf Thomas Müller, der am Spieltag positiv auf Corona getestet worden war und nach der sofortigen Isolierung von der Mannschaft alleine per Privatjet nach Deutschland zurückreisen wird. Hier wird er sich dann in zehntägige häusliche Quarantäne begeben.

Ansonsten aber hatte Müllers Corona-Ausbruch keine Konsequenzen - weder für das Endspiel der Klub-WM, noch für die gegnerischen Mannschaften, noch für die Mitspieler beim FC Bayern. Der Rekordmeister wird schon am Montag gegen Arminia Bielefeld spielen. Als wäre nichts gewesen.

Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass diese offensichtliche Ungleichbehandlung gegenüber anderen Infizierten und Reisenden die ohnehin schon große Kritik an der Bevorzugung der Profi-Fußballer weiter ansteigen lassen wird.

So stellen sich (mindestens) vier entscheidende Fragen:

  • Warum fand das Finalspiel überhaupt statt?
  • Wieso muss der FC Bayern nicht komplett in Quarantäne?
  • Wird mit zweierlei Maß gemessen?
  • Und vor allem: Wie soll das alles weitergehen?

1. Warum fand das Endspiel überhaupt statt?

Es dürfte kaum jemanden gewundert haben, dass Finale und Spiel um Platz drei am Freitag durchgezogen wurden, als wäre nichts gewesen. Die Gesundheit aller beteiligten Personen habe weiterhin Priorität, erklärte die FIFA zwar und verwies auf ein "umfassendes Programm, das auf dem risikobasierten Ansatz der Weltgesundheitsorganisation basiert."

Details dazu sind allerdings nirgendwo zu finden. Man kann nur rätseln, warum trotz des direkten Kontaktes von Müller mit den Teamkameraden im täglichen Training und im Halbfinale gegen die Mannschaft von Al-Ahly keine Ansteckungsgefahr bestehen soll. Zudem befand sich die Mannschaft ja während der Klub-WM komplett zusammen in der Bubble, hockte noch mehr zusammen als sonst schon.

In Deutschland müssen sich in der Regel alle Kontaktpersonen der Gruppe 1 "unverzüglich für 14 Tage häuslich absondern (Quarantäne)" begeben. Diese Isolierung darf frühestens nach zehn Tagen und einem negativen Corona-Test beendet werden. Der Verweis der Bayern, dass sämtliche Teammitglieder nach Müllers Diagnose negativ getestet wurden, ist medizinisch wertlos, weil die Tests viel zu früh genommen wurden.

Nicht nachweisbar ist allerdings, ob die Mit- und Gegenspieler tatsächlich Kontaktpersonen der Gruppe 1 waren, denn dafür muss man "länger als 15 Minuten" engen Kontakt haben. Sehr wahrscheinlich ist das aber im Kontaktsport Fußball und der vermeintlichen Sicherheit in der "Blase". Doch selbst den Kontaktpersonen der Kategorie 2 (weniger als 15 Minuten engen Kontakt) empfiehlt das RKI eine Quarantäne von zwei Wochen.

Auf dieser Grundlage hätte die FIFA das ohnehin höchst umstrittene Turnier sofort abbrechen müssen - ohne Sieger und ohne schöne Jubelbilder. Dies kam für den Präsidenten Gianni Infantino aber wenig überraschend nicht in Frage. Vor nicht mal zwei Wochen hatte er bei einem gemeinsamen Termin mit dem Direktor der Weltgesundheitsorganisation noch behauptet: "Es ist wichtig, dass wir nicht vergessen, dass die Gesundheit zuerst kommt."

Der FC Bayern hat die Klub-WM gewonnen.
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Der FC Bayern hat die Klub-WM gewonnen.

2. Wieso muss der FC Bayern nicht komplett in Quarantäne?

Neben der oben bereits thematisierten, höchst fragwürdigen Interpretation der Definition der Kontaktgruppe bleibt zudem die Frage nach der Sonderbehandlung der Münchner bei der Wiedereinreise. Laut den gesetzlichen Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums müssen Einreisende aus einem Risikogebiet, zu dem auch Katar zählt, für zehn Tage in Quarantäne. Diese kann bei einem negativen Coronatest nach fünf Tagen aufgehoben werden - bis zum Heimspiel gegen Bielefeld am Montag (20.30 Uhr im LIVETICKER) sind es allerdings nur drei Tage.

Die Bayern können sich aber auf eine der wenigen Ausnahmeregelungen berufen, wenn man sich "zwingend notwendig zum Zweck der Berufsausübung" in ein Risikogebiet begibt. Diese "zwingende Notwendigkeit" ist vom Arbeitgeber zu bescheinigen.

Der FC Bayern bescheinigt seinen Angestellten in kurzen Hosen also, dass sie zum Zwecke des sechsten Titelgewinns "zwingend" nach Katar reisen mussten, und haben damit alles richtig gemacht. Fragwürdig bleibt diese Regelung gleichwohl, zumal sie vermutlich ursprünglich nicht zur Aufrechterhaltung von Profi-Sportevents gemacht wurde.

3. Wird mit zweierlei Maß gemessen?

Dem Image des Profi-Fußballs in der Bevölkerung werden die genannten Ausnahmeregelungen nicht helfen. So müssen beispielsweise Schulkinder in den meisten Bundesländern bei einem Coronafall als Kontaktpersonen der zweiten Kategorie mindestens fünf Tage in häusliche Isolation, Kindergärtnerinnen in Nordrhein-Westfalen selbst bei einem negativen Test sogar zwei Wochen.

Darüber hinaus fühlen sich aber auch andere Sportarten benachteiligt. So erklärten Stefan Holz, Geschäftsführer der Basketball Bundesliga (BBL), und Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL), am Freitag, dass die zuständigen Gesundheitsämtern den Profifußball bevorzugen würden.

"Vielleicht ist da bei einem Gesundheitsamt die Beißhemmung eine andere", sagte Holz dem SID: "Da hängt mehr dran. Da kommen 150 TV-Leute, bei uns eine Handvoll." Die Ämter würden es sich deshalb "vielleicht dreimal mehr" überlegen, "eine Mannschaft in Quarantäne zu schicken und damit ein Fußball-Bundesligaspiel abzusagen als ein Handball-, Drittliga- oder Basketballspiel".

Fakt ist, dass die Behörden in der Bundesliga wegen Corona-Infektionen bislang weder Spiele abgesagt, noch ganze Mannschaften in Quarantäne gesteckt haben. "Die Regularien, die wir uns gegeben haben, sind sehr nah oder identisch zu denen, die die DFL ihren Klubs vorgibt", sagte Holz. "Ich bin mir offen gestanden nicht ganz sicher, ob das zweierlei Maß ist."

BBL-Boss Stefan Holz glaubt, dass die zuständigen Gesundheitsämter den Profi-Fußball bevorzugen.
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BBL-Boss Stefan Holz glaubt, dass die zuständigen Gesundheitsämter den Profi-Fußball bevorzugen.

4. Wie soll das alles weitergehen?

Der Corona-Fall bei Thomas Müller zeigt deutlich: Je größer die vermeintliche Blase wird, desto durchlässiger wird sie. Das war schon bei den Spielen der UEFA Nations League im vergangenen Jahr der Fall, als mehrere Nationalteams regelrechte Ausbrüche zu beklagen hatten. Bei der TSG Hoffenheim fehlten im Zuge der Länderspielreisen insgesamt bis zu elf Spieler. Es setzte sich zuletzt fort bei der Handball-Weltmeisterschaft, als ebenfalls zahlreiche Fälle gab und zwei Mannschaften erst gar nicht teilnehmen konnten.

Je größer die Wettbewerbe und die dafür zurücklegenden Reisestrecken werden, desto größer werden die Infektionsgefahren, weil die Zahl der Kontakte einfach zu groß und die neuartigen Virusmutationen zu ansteckend sind.

Trotzdem scheint es bei den Sportverbänden nicht den Hauch an Bereitschaft zu geben, von ihren streng durchgetakteten Plänen und lukrativen Großveranstaltungen abzurücken oder diese zu modifizieren. Olympia in Tokio soll nach wie vor genauso inmitten der Pandemie stattfinden wie die Fußball-EM in zwölf Ländern, am besten vor vollbesetzten Tribünen.

Fabian Klos, Kapitän von Bayerns nächstem Gegner Arminia Bielefeld, fasste die Situation treffend zusammen. "Überspitzt formuliert kann man den Eindruck gewinnen: Wir leben in einer weltweiten Pandemie, aber selbst wenn jetzt noch zwei Drittel der Welt in Flammen stehen würden, dann würden wir immer noch Fußball spielen müssen."

Dabei bezog sich Klos speziell auf Champions League und Europa League, wo die meisten Teams aufgrund von Einreisesperren ihre Heimspiele tausende von Kilometern entfernt spielen wollen.

Spätestens die Klub-WM hat aber gezeigt, dass es dringend an der Zeit wäre, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Deshalb muss nicht alles stillstehen. Vielmehr sollten sich die Klubs auf ihre nationalen Wettbewerbe fokussieren und die Verbände die anstehenden Europapokal-Wettbewerbe und Länderspiele absagen oder zumindest verschieben.

Das würde den Terminstress sinnvoll reduzieren und wäre vor allem ein starkes Signal, dass man die Zeichen der Zeit verstanden hat. Ansonsten könnte es tatsächlich noch so weit kommen, dass die Regierungen irgendwann noch härter durchgreifen und vielleicht sogar den kompletten Spielbetrieb einstellen. Zweifel sind aber angebracht, ob die jüngsten Entwicklungen bei den handelnden Personen tatsächlich zu einem Umdenken führen werden.

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