Fußball-Kolumne - Homosexualität im Fußball: Darum liegt Philipp Lahm falsch

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© imago images / Sven Simon / Instagram/11Freunde / SPOX

800 Sportlerinnen und Sportler sagen queeren Profis ihre Unterstützung zu, doch Philipp Lahm warnt vor Coming-outs. Damit hat der ehemalige DFB-Kapitän eine Chance vertan, denn ohne Mut und klare Haltung wird der Fußball weiter hinter der gesellschaftlichen Realität zurückbleiben. Die Fußball-Kolumne.

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Man muss nicht alles gut finden, was die selbst ernannten Gralshüter der deutschen Fußball-Kultur des Magazins 11Freunde machen, aber bei ihrer jüngsten Veröffentlichung ist das viele Lob von allen Seiten berechtigt.

Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe ist die Solidaritätsaktion "Ihr könnt auf uns zählen". Gemeint sind damit homosexuelle Fußballer, denen 800 Sportlerinnen und Sportler ihre Solidarität im Falle eines Coming-outs versichern.

Unter den Unterstützern befinden sich zahlreiche bekannte Profis wie Max Kruse (Union Berlin), Niklas Stark (Hertha BSC), Jonas Hector (1. FC Köln), Lars Stindl (Mönchengladbach), Bakery Jatta (HSV) oder die Nationalspielerinnen Almuth Schult und Alexandra Popp (VfL Wolfsburg).

Einige Vereine wie Gladbach, Köln und Borussia Dortmund haben sich zudem vollständig solidarisch erklärt, vom VfB Stuttgart kamen am Tag der Veröffentlichung zustimmende Nachrichten von Vorstandschef Thomas Hitzlsperger - der sich nach dem Ende seiner aktiven Karriere outete - und Präsident Claus Vogt, die zuletzt sonst eher selten einer Meinung waren.

Unterstützung für queere Fußballer: "Wir sind auf eurer Seite"

"Auch im Jahr 2021 gibt es keinen einzigen offen homo- oder bisexuellen Fußballer in den deutschen Profiligen der Männer. Die Angst, nach einem Coming-out angefeindet und ausgegrenzt zu werden und die Karriere als Profifußballer zu gefährden, ist offenbar immer noch so groß, dass schwule Fußballer glauben, ihre Sexualität verstecken zu müssen", heißt es in der gemeinsamen Erklärung, die eine klare Botschaft enthält: "Wir werden euch unterstützen und ermutigen und, falls notwendig, auch gegen Anfeindungen verteidigen. Denn ihr tut das Richtige, und wir sind auf eurer Seite. "

So weit, so gut - ebenso wie der nachfolgende Beifall von fast allen Seiten in Sozialen und anderen Medien. Auch DFB-Präsident Fritz Keller machte seine Unterstützung öffentlich, die Deutsche Fußball-Liga verwies auf ihr anhaltendes Engagement gegen Homophobie, zuletzt am 27. Januar im Rahmen des Erinnerungstages im deutschen Fußball. "Grundsätzlich begrüßt die DFL jede Initiative oder Aktion, die sich gegen Homophobie richtet", erklärte ein Sprecher auf Nachfrage.

Sorgen vor Ablehnung im "Männersport" Fußball nach wie vor übergroß

Ob sich deshalb allerdings bald etwas am angesprochenen Grundproblem ändert, bleibt abzuwarten. Nach wie vor sind offenbar die Sorgen übergroß, dass eine gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung im angeblichen "Männersport" Fußball zu massiven Beschimpfungen und Drohungen auf den Tribünen und vor allem in den sozialen Netzwerken, zu grellen Schlagzeilen in der Öffentlichkeit sowie zu Ablehnung und Mobbing von Mit- und Gegenspielern führen würde.

Lahm verweist vor allem auf Gefahren eines Coming-outs

Es passte daher ins Bild, dass Philipp Lahm zufällig genau an dem Tag der 11Freunde-Veröffentlichung das Gegenteil empfahl - in einer in der Bild vorabgedruckten Passage seines neuen Buches Das Spiel: Die Welt des Fußballs. Zwar möge es Klubs und Städte wie Berlin, Freiburg oder Hamburg bzw. St. Pauli geben, wo ein Coming-out eher möglich wäre als anderswo. "Aber gegenwärtig schienen mir die Chancen gering, so einen Versuch in der Bundesliga mit Erfolg zu wagen und nur halbwegs unbeschadet davonzukommen", schreibt der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft.

Zwar sei die Akzeptanz in der Gesellschaft für nicht heterosexuelle Sportler deutlich gewachsen, so Lahm: "Aber er wird nicht mit der gleichen Reife bei allen Gegnern im Sport und ganz sicher nicht in allen Stadien rechnen dürfen, in denen er antritt."

Ein nachvollziehbarer Punkt, dennoch greift er zu kurz. Denn wenn man immer vor dem möglichen Widerspruch zurückweicht, würde es vermutlich gar keinen gesellschaftlichen Fortschritt geben. So waren beispielsweise rassistische Entgleisungen lange Zeit in den Stadien an der Tagesordnung und kommen auch heute noch vor.

Aber deshalb haben sich weder die Gesellschaft noch der Fußball (wenngleich etwas verspätet), davon abhalten lassen, klar und vehement gegen jegliche Form der Fremdenfeindlichkeit Stellung zu beziehen. Man wird den harten Kern der Verblendeten und Verblödeten dadurch nicht überzeugen können, aber die große Masse der Mitläufer wird mit einer klaren Haltung zum Nachdenken und hoffentlich auch zum Umdenken gebracht.

Philipp Lahm
© getty

Kein Fußbreit der Homophobie in den Stadien

Das Gleiche muss beim aktuellen Thema ebenfalls gelten: Kein Fußbreit der Homophobie in den Stadien - klare Ansagen und harte Strafen bei Zuwiderhandlung inklusive. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben von Verbänden, Vereinen und Verantwortlichen, um zwei Jahrzehnte nach Klaus Wowereits "Ich bin schwul, und das ist gut so" und dem damit verbundenen ersten öffentlichen Coming-out eines deutschen Ministerpräsidenten auch im Fußball endlich in der gesellschaftlichen Realität anzukommen. Frei nach dem Kölner Motto: "Jeder Jeck ist anders."

Auch wenn Philipp Lahm in der Vergangenheit mehrfach seine Solidarität mit homo- und bisexuellen Sportlern deutlich gemacht hat: Im aktuellen Fall hat er mit seiner passiven Herangehensweise eine Chance vertan, denn er spricht ja nicht als Privatperson, sondern als ehemaliger Kapitän des FC Bayern, Organisationschef der Heim-EM 2024, DFB-Präsidiumsmitglied und Vorbild für junge Menschen. "Ermutigen ist besser als warnen", kommentierte die Süddeutsche Zeitung dazu treffend.

Dafür ist die öffentliche Unterstützung der 800 Sportlerinnen und Sportler eine wichtige Hilfe. "Wenn sich einer meiner Kollegen outen würde, würde ich ihn vor den Idioten draußen schützen", sagte Union-Profi Max Kruse. Und dennoch bleibt die entscheidende Frage offen, welche Rahmenbedingungen am besten geeignet wären, um Spielerinnen und Spieler zu einem Coming-out zu bewegen.

Bei der 11Freunde-Aktion haben beispielsweise der FC Bayern, Bayer Leverkusen und der SV Sandhausen nicht mitgemacht. Und das natürlich nicht, weil sie die Aktion ablehnen.

FC Bayern: "Größter Kampf gilt Rassismus und Homophobie"

Im Gegenteil: Gerade der FC Bayern hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Aktionen sehr klar Position gegen jegliche Form der Ausgrenzung bezogen und etwa durch die regelmäßige Einfärbung der Allianz Arena in Regenbogen-Farben bewusst und aus Überzeugung Hass und Häme in den sozialen Medien in Kauf genommen. "Unser größter Kampf gilt neben dem Rassismus der Homophobie", heißt es beim Rekordmeister.

Vielleicht ist sich der ein oder andere aber nicht sicher gewesen, ob der auffordernde Charakter der 11Freunde-Aktion neben der unterstützungswerten Solidarisierung nicht zu viel Druck auf die angesprochenen Fußballerinnen und Fußballer ausüben könnte, sich doch endlich zu bekennen. So wie es auch im Kommentar des Berliner Tagesspiegel von den betroffenen Spielern beinahe schon verlangt wurde: "Es wird Zeit für ein kollektives Coming-Out!", titelte die Zeitung.

Dagegen sagte Bayern-Präsident Herbert Hainer am Freitag, es sei nicht die Aufgabe der Klubs, "eine Spielerin oder einen Spieler zu ermutigen, ihre und seine sexuelle Orientierung öffentlich zu leben". Diese Entscheidung müsse jede und jeder für sich selbst treffen, so Hainer in der Rheinischen Post: "Wir müssen es in der Gesellschaft hinbekommen, dass ein Klima entsteht, in dem man niemanden ermutigen muss. "

Auch Thomas Hitzlsperger outete sich bewusst erst nach dem Karriereende 2014. Dass seine sexuelle Orientierung seitdem nie in seinem jetzigen Job als Sportvorstand des VfB Stuttgart thematisiert wurde, zeigt allerdings auch, dass der Fußball offenbar zum Glück 2021 weiter ist als Lahm und manch anderer denken.

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