BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer im Interview: "Bei adidas oder Audi würden wir kommunikativ unter ferner liefen stattfinden"

Von Niklas König
Gio Reyna wird wohl langfristig beim BVB bleiben.
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Borussia Dortmund hat im Sommer Jude Bellingham verpflichtet, zudem griff die Kaufpflicht für den zuvor von Juventus Turin ausgeliehenen Emre Can. Gleichzeitig wurde durch Spielerverkäufe nicht viel Geld eingenommen. Welches Worst-Case-Szenario droht mit Blick auf den kommenden Sommer?

Cramer: Zunächst haben wir den Can-Transfer ohne jeglichen Corona-Impact getätigt. Dass wir die aktuelle Situation dennoch nicht unendlich lange durchhalten können, ist auch klar. Dem Fußball fehlt nicht nur die monetäre Note, sondern auch die emotionale. Wir können uns über eine gewisse Emotionslosigkeit unserer Mannschaft im Olympiastadion zu Rom beklagen. Es ist aber auch Fakt, dass in Rom insgesamt kein klassisches Champions-League-Feeling aufkam - und das liegt an Corona. Bei all den vordergründigen wirtschaftlichen Nöten dürfen wir nicht vergessen, dass es auch eine Herausforderung sein wird, das wiederherzustellen. Dennoch bin ich dankbar für jeden Spieltag, der stattfinden kann.

Cramer: "Nicht in der Lage, dieses Szenario lange zu überleben"

Nochmal konkret: Wie sieht beim BVB das Worst-Case-Szenario für die nahe Zukunft aus?

Cramer: Nur so viel: Wir sind wie jeder andere Profiklub nicht in der Lage, dieses Szenario über einen langfristigen Zeitraum zu überleben.

In der Champions League standen zuletzt in Rennes oder Salzburg viele Fans dicht an dicht in der Fankurve, während große Teile der übrigen Tribünen leer blieben. Wie blicken Sie auf das Thema der Zuschauerrückkehr?

Cramer: Ich möchte nur über die Stadien in Deutschland sprechen, und hier machten und machen wir es gut. Ich würde mir ohnehin wünschen, dass dieses Thema differenzierter diskutiert wird. Als am 22. Oktober die 11.000 Neuinfektionen in Deutschland kommuniziert wurden, stand im Relativsatz, dass mittlerweile mehr getestet wird. Das ging in die richtige Richtung: Ja, die Positiv-Quote ist gestiegen - aber eben auch die absolute Zahl der Tests. Man sollte häufiger das Verursacher-Prinzip anwenden. Wenn also erkennbar ist, dass von einer Veranstaltung kein überdurchschnittliches Risiko ausgeht, weiß ich nicht, ob man ihr sofort komplett den Stecker ziehen muss. Bitte nicht falsch verstehen: Wir haben vom ersten Tag an alle Beschlüsse der Politik mitgetragen, und so tragen wir sie auch jetzt für den Monat November mit. Trotzdem darf man auch mal enttäuscht sein und das auch artikulieren. Es ist ja nicht der Fall, dass man von heute auf morgen wieder vor 50.000 Zuschauern spielen will. Es geht um die Verhältnismäßigkeit.

Das Stadion des BVB blieb zuletzt nahezu leer.
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Das Stadion des BVB blieb zuletzt nahezu leer.

Inwiefern ist der sportliche Druck beim BVB insbesondere in Bezug auf die Champions League und die damit verbundenen Einnahmen in der aktuellen Situation größer als üblich?

Cramer: Wir spüren eine permanente Drucksituation. Gleichzeitig rücken wir tagtäglich enger zusammen. Das hilft - genauso wie die Rückendeckung von außen. Unsere Fans und Partner sind extrem loyal, und trotzdem ist der Druck immens. Wir versuchen von morgens bis abends, Lösungen herbeizuführen und vor allem Fehler zu vermeiden.

Ob im Stadion oder über Interviews: Während der Corona-Pandemie erreicht Borussia Dortmund über den direkten Weg weniger Menschen als zuvor. Gleichzeitig gibt es viele Möglichkeiten im digitalen Bereich, etwa über die Social-Media-Kanäle. Inwiefern ist das eine Chance?

Cramer: Wir haben im digitalen Bereich unfassbar zugelegt, das hilft uns enorm. Wenn ich sehe, welche und wie viele Inhalte wir zur Verfügung stellen, ist das schon beachtlich. Auch wenn uns allen die Ursache nicht gefällt: In diesem Tempo hätten wir uns im digitalen Bereich ohne Corona definitiv nicht weiterentwickelt.

Cramer: Verluste kann man "online nicht kompensieren"

Inwieweit können Sie durch diesen Zuwachs finanzielle Verluste ausgleichen?

Cramer: Teilweise. Wir haben eine höhere Reichweite und Interaktion. Im E-Commerce-Bereich verzeichnen wir deutliche Zuwächse - das gilt für unsere eigenen Kanäle genauso wie beispielsweise für unseren Amazon-Shop. Unsere Partner nutzen die digitalen Welten wiederum, um Botschaften zu senden, die sie sonst im Stadion gesendet hätten. Das alles hat einen großen Wert. Zudem haben wir uns im Ticketing auf digitaler Ebene weiterentwickelt. Normalerweise haben wir vor jeder Saison 2,5 Millionen Ticketrohlinge bestellt - das haben wir bisher nicht gemacht. Ich will nicht ausschließen, dass das Ticketing der Zukunft durch Corona einen großen Schritt nach vorne gemacht hat.

Wie genau wird das Ticketing der Zukunft beim BVB aussehen?

Cramer: Ich will jetzt noch nicht ankündigen, dass wir unsere Hotline abschaffen, bin mir aber sicher, dass der Ticketing-Vertrieb flexibler, dynamischer und unkomplizierter werden wird. Ich möchte dem Fußballromantiker nicht sein Ticketrohling-Sammelhobby abspenstig machen, kann mir aber sehr gut vorstellen, dass die Plastikdauerkarte oder die Tageskarte in Papierform künftig die Ausnahme bleiben wird.

FCB-Präsident Herbert Hainer sagte zuletzt: "Uns fehlen pro Heimspiel mehr oder weniger vier Millionen Euro bei Ticketing und Catering. Wir machen deutlich weniger Merchandising-Umsätze, weil die Leute keine Trikots kaufen, wenn sie nicht ins Stadion gehen dürfen." Ist die Lage beim BVB ähnlich?

Cramer: Wir können durch den digitalen Bereich vieles kompensieren, aber ganz sicher nicht alles. Ganz entscheidend ist dabei auch für uns die Austragung unserer Heimspiele. Wenn die Fanwelt an einem Spieltag plötzlich nur von 222 Menschen betreten werden kann, normalerweise aber pro Spieltag rund 200.000 Euro Umsatz macht, kann man das online nicht kompensieren.