Kommentar zur Bayern-Meisterschaft: Trotz Bayern-Dominanz - Bundesliga so aufregend wie lange nicht mehr

David Alaba und die Bayern feierten ihre achte Meisterschaft in Serie.
© getty

Der FC Bayern ist wieder Meister, von einem Fotofinish war die Bundesliga wieder so weit entfernt wie in den vergangenen Jahren. Dennoch war die Saison so aufregend wie lange nicht mehr. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Filippo Cataldo.

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Bayerns achte Meisterschaft in Serie kam am Ende doch wieder ungefähr so überraschend wie ein Geniestreich von Lionel Messi.

Hansi Flicks Kulturwandel machte die Bayern sofort wieder zu den Bayern. Der Trainer, die individuelle Klasse der Spieler und die Weitsicht der Bosse, einen geeigneten Nachfolger für Niko Kovac vorsorglich schon im Sommer 2019 als dessen Assistent zu installieren, sorgten wieder einmal für eine ungefährdete Meisterschaft. Vor allem nach der Coronaunterbrechung enteilten die Bayern der Konkurrenz, nach dem 25. Spieltag waren es zwischen Platz 1 (Bayern) und 4 (Leverkusen) nur sechs Punkte Unterschied gewesen.

War der Meisterkampf also langweilig? Sind einem bei diesem Titelkampf mal wieder die Füße eingeschlafen? Wäre so ein richtig schönes Fotofinisch nicht mal wieder was Schönes? Ja, klar!

War diese Saison aber für alle, die nicht auch der 23. Bayern-Titel hintereinander eskalieren lassen würde, enttäuschend? Auf keinen Fall!

Bundesliga hat sich von der Diktatur des Konterfußballs gelöst

Nüchtern betrachtet war diese 57. Bundesligasaison eine der aufregenderen und unvorhersehbareren der letzten Jahre. Und damit sind jetzt nicht die coronabedingte längste Unterbrechung und die folgenden Geisterspiele gemeint.

Sportlich, weil sich die Liga endlich wieder von der Diktatur des immer gleichen, wenig überraschenden und letztlich austauschbaren Konterfußballs gelöst hat. Aggressiv anrennen, Ball erobern und ab geht die Post gehört natürlich weiter dazu, den meisten Trainern reicht das aber nicht mehr.

Lucien Favre, Julian Nagelsmann, Peter Bosz und Marco Rose haben Borussia Dortmund, RB Leipzig, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach - ähnlich wie Flick bei den Bayern - Spielstile beigebracht, die zur Mannschaft passen und unverwechselbar sind. Würde man den Spielern Ganzkörperanzüge und Masken ins Gesicht ziehen, würde man immer noch erkennen, welche Mannschaften auf dem Platz stehen.

Aber es sind nicht nur die Spitzenklubs, die sich um spektakulären Fußball bemühen: Wo in den vergangenen Jahren meist der SC Freiburg mit Trainer Christian Streich oft der einzige Klub außerhalb der Spitzengruppe war, der sich noch um Ballbesitz sorgte, legt nun die halbe Liga Wert auf kultiviertes Passspiel.

Die TSG Hoffenheim hat Alfred Schreuder wohl auch deswegen auf Platz sieben liegend entlassen, weil der Trainer den Verantwortlichen und Spielern zu defensiv agieren ließ. Der SC Paderborn und Trainer Steffen Baumgart haben sich große Sympathien erspielt, weil sie lieber mit wehenden Fahnen untergehen, als ihre fußballerische DNA zu verraten. Werder Bremen und Fortuna Düsseldorf spielen - jeweils auf ihre Art - auch nicht unbedingt wie Absteiger.

Bundesliga wird die meisten Stars halten können - auch Haaland und Sancho

Mittelmäßige Durschnittskicks hängen, so scheint es, mittlerweile nicht nur den Fans zum Hals raus. Mangelnden Mut und fehlende Kreativität kann man in dieser Spielzeit jedenfalls kaum einem Bundesligaverein vorwerfen. Fehlendes Spektakel sowieso nicht: Die meisten Tore fielen in der Bundesliga auch schon, bevor sich die Klubs auch noch um schönen Fußball bemühten. Das wird sich auch diese Saison nicht ändern.

Bis auf Timo Werner werden die meisten Torjäger auch in der kommenden Saison noch in der Bundesliga spielen - ebenso wie wahrscheinlich die meisten anderen Stars. Jadon Sancho und Erling Haaland werden wohl beim BVB bleiben, Alassane Plea und Marcus Thuram in Gladbach und womöglich kann Leverkusen sogar Kai Havertz halten.

Mindestens für ein Jahr dürfte die Coronakrise den Trend der jüngeren Vergangenheit aufhalten, dass die Bundesliga mehr und mehr zu einer Ausbildungsliga für die noch reicheren Ligen gerät.

Bundesligastars nehmen gesellschaftliche Verantwortung ernst

Abseits des Rasens sorgte die Liga sogar für noch mehr Furore und vertrieb die Langeweile.

Wer hätte sich vor einem Jahr etwa vorstellen können, dass ausgerechnet Hertha BSC über weite Strecken mit die Schlagzeilen bestimmen würde? Lars Windhorst mag anderes im Sinn gehabt haben, als er bei seiner Vorstellung als Investor mitteilen ließ, einen Big-City-Club aus der Hertha machen zu wollen. Aber der langweiligste Hauptstadtklub Europas ist Hertha - nicht nur dank Jürgen Klinsmanns und Salomon Kalous Eskapaden auf Facebook-Live und Klinsmanns Tagebuch - sicher nicht mehr.

Abgesehen von diesen eher komödiantischen Versuchen aus der Hauptstadt oder Schalkes immer verzweifelter (aber auch erfolgreicher) wirkenden Lust am Untergang gab es genug, das Freude machte: In einer Zeit, in der die Gesellschaft zunehmend gespalten wirkt, nehmen immer mehr Fußballer ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst: Leon Goretzkas klare und frühe Positionierung gegen die AfD, Thurams Kniefall gegen Rassismus und Polizeigewalt, Joshua Kimmichs und Goretzkas Solidaritätskampagne "We kick Corona" sind da nur einige wenige Beispiele.

Womöglich führt dies sogar dazu, dass die Liga bald nicht nur nach geschmacklosen Beleidigungen aus der Kurve gegen einen Investor über Spielabbrüche diskutiert, sondern auch nach rassistischen oder homophoben Entgleisungen.

Der Gesellschaft würde dies einen größeren Dienst erweisen, als wenn zur Abwechslung endlich mal wieder ein anderer Klub als Bayern Meister werden sollte.

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