Kommentar zum Bundesliga-Neustart im Mai: Vieles spricht dafür – aber ein Risiko bleibt

Das Go aus der Politik und von Bundeskanzlerin Angela Merkel kam am Mittwoch. Am Donnerstag berät die DFL über den genauen Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Spielbetriebs.
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Die Entscheidung für den Bundesliga-Neustart ist nachvollziehbar, weil es kaum mehr begründbare Gegenargumente gab, sondern vor allem mit falschen Fakten und Gefühlen operiert wurde. Trotzdem wandelt die Liga weiter auf ganz dünnem Eis, denn ein entscheidendes Risiko bleibt. Ein Kommentar von SPOX-Chefredakteur Martin Volkmar.

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Die Erleichterung im deutschen Fußball ist riesig nach der einstimmigen Entscheidung der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten am Mittwoch, dass die Saison in der ersten und zweiten Bundesliga mit Geisterspielen noch im Mai fortgesetzt werden kann. Genauer gesagt am 15. Mai, wie die DFL in einem Rundschreiben an die 36 Profiklubs mitteilte.

Eine Ablehnung hätte die Zukunft der Mehrheit der 36 Vereine in Frage gestellt, denn ohne die auf rund 750 Millionen Euro geschätzten Einnahmen aus den TV-Rechten drohte einem Drittel schon im Juni die Pleite. Auch fast alle anderen Klubs hätten in den nächsten Monaten vor dem Aus gestanden.

Die Krise hat überdeutlich gemacht, dass die meisten Vereine seit Jahren nicht nachhaltig wirtschaften, sondern auf Pump. Gleichzeitig zeigt der Blick auf andere Wirtschaftszweige, dass man auf eine völlig unerwartete, epochale Pandemie wie das Coronavirus auch nicht ausreichend vorbereitet sein kann.

Bundesliga: Abwarten bis zur Impfstoff-Entwicklung ist keine Alternative

Das Werben der DFL an allen Fronten für eine Fortsetzung der Spielzeit war nachvollziehbar und legitim, um die Branche Profi-Fußball zu retten. Der Sportökonom Professor Alfons Madeja etwa spricht von 400.000 Arbeitsplätzen, die direkt oder indirekt am Betrieb der Bundesliga hängen. Daher ist ein Abwarten beim Neustart bis zur Entwicklung eines Impfstoffs, der noch ein Jahr oder sogar länger dauern kann, keine Alternative. Eine Absage der Politik hätte also mutmaßlich das komplette System zerstört.

Aus diesem Grund ist die Entscheidung nachvollziehbar und auch ganz richtig. Einzig das medizinische Argument, dass der zur Infektionsvermeidung nötige Abstand im Kontaktsport Fußball nicht einzuhalten ist und daher permanente Ansteckungsgefahr besteht, ist nicht zu entkräften.

Alle anderen in der sehr unversöhnlich geführten Debatte angeführten Aspekte sind entweder fachlich falsch oder lediglich nicht zu widerlegende Meinung. Dass man den Millionären in kurzen Hosen und der korrumpierten Branche keine Extrawurst braten dürfe, sondern dass der Profi-Fußball angesichts der drohenden Insolvenzen eben selbst schuld sei. Nur um ein Beispiel zu nennen. In den meisten Fällen war offensichtlich auch der Neid der größte Antrieb, sich klar gegen eine Wiederaufnahme zu positionieren.

Wenn man Arbeitsbereiche (z.B. Friseursalons oder Gastronomie) geschlossen lasse, wenn man Kindergärten, Kitas und Schulklassen nicht öffne, wenn man andere Sportarten und sonstige Hobbies nicht erlaube - dann dürfe man auch der Bundesliga nicht die Rückkehr auf den Platz ermöglichen. Frei nach dem Motto: Wenn es mir schlecht geht, dann soll es den anderen wenigstens auch schlecht gehen. Glück für den organisierten Fußball, dass dieser Kritiker-Chor aufgrund der angekündigten Öffnungen fast aller gesellschaftlicher Bereiche viel leiser geworden ist.

BL-Neustart: Fehlende Testkapazitäten sind das falsche Argument

Auch andere Argumente wurden und werden durch permanente Wiederholung nicht richtiger. Etwa der angebliche Missbrauch der von der DFL bis Saisonende benötigten maximal 25.000 Testkapazitäten, die daher den Risikogruppen fehlen würden. Dabei stehen nachweislich mittlerweile mehr als 140.000 Tests pro Tag zur Verfügung und dass davon noch immer nur ein Bruchteil genutzt wird, kann man kaum dem Fußball vorwerfen.

Ebenso wenig stichhaltig sind die angeblichen Gefahren durch hunderte oder tausende sich bei Geisterspielen zusammenrottende Fans - vielmehr haben die organisierten Anhänger entsprechende Mahnung aus Kreisen von Polizei und Politik als populistischen Blödsinn zurückgewiesen.

So bleibt am Ende nur ein wirkliches Risiko, das die DFL-Vertreter tatsächlich nicht widerlegen können: Die Ansteckungsgefahr. Konsequent zu Ende gedacht, hätten alle Mannschaften für die rund sechs Wochen bis Saisonende in komplette Abschottung gehen müssen, um sicher zu gehen. Zu dieser Separierung konnten sich die Verantwortlichen aber aus sozialen und finanziellen Gründen nicht durchringen.

So können die Spieler und Staff-Mitglieder weiterhin von ihren Kindern, die den Virus aus den wieder geöffneten Schulen und Kindergärten mitbringen können, oder durch Freunde und Familienmitglieder, die im Alltag vermutlich häufig Infektionsrisiken ausgesetzt sind, mit Covid-19 angesteckt werden. Gerade dann, wenn auch andere der insgesamt rund 1000 Beteiligten pro Liga so sorglos mit den Gefahren umgehen und das strenge Hygienekonzept der DFL missachten wie es Salomon Kalou und seine Kollegen bei Hertha BSC zuletzt getan haben, ist die Gefahr mehr als reell.

In einem solchen Fall müsste aufgrund des wieder permanent durchgeführten Vollkontakt-Teamtrainings immer der gesamte Kader für zwei Wochen in Quarantäne gehen. Falls das mehrere Mannschaften betrifft, ist ein regulärer Ablauf des ohnehin schon sehr engen Spielkalenders kaum mehr möglich. Scheitert die Liga aber somit an sich selbst, wäre auch ein Neuanfang vor der Entwicklung eines Impfstoffs, also weit ins Jahr 2021, keine sinnhafte Option mehr. Die Liga bewegt sich also auch nach der Zusage der Politik noch über Wochen auf ganz dünnem Eis.

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