Hertha-Insider ordnet die Klinsmann-Vorwürfe gegen Hertha BSC ein: "Stimmen zu 98 Prozent"

Gingen im Streit und mit ordentlich Getöse auseinander: Ex-Trainer Jürgen Klinsmann und Hertha-Manager Michael Preetz.
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Jürgen Klinsmann hat in einem von der Sport Bild am Mittwoch veröffentlichten Protokoll massiv gegen die Vereinsführung um Manager Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer, sowie gegen die Medizin- und Medienabteilung des Vereins geschossen. SPOX und Goal ordnen einige der schärfsten Vorwürfe ein und sprachen dafür mit Uwe Bremer, dem langjährigen Hertha-Reporter der Berliner Morgenpost.

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Seit 30 Jahren ist Uwe Bremer nun schon Hertha-Reporter in der Hauptstadt, betreibt nebenbei den Blog "Immer Hertha" und widmet sich den wichtigsten Themen rund um den Hauptstadtklub im Immerhertha-Podcast. Aber so etwas wie das, was sich in den vergangenen Wochen zwischen Ex-Trainer Jürgen Klinsmann und der Vereinsführung von Hertha BSC abgespielt hat, hat er noch nie erlebt.

"Die spannenden Tage gehen der Hertha momentan nicht aus", sagt er zu Beginn des Gesprächs. Ein Gespräch über die massiven Vorwürfe von Klinsmann an die Vereinsführung des Bundesligisten, die nach Ansicht von Bremers Kontakten innerhalb des Vereins "zu 98 Prozent" einen wahren Kern treffen. Klinsmann beschädige seine angebrachte Kritik jedoch selbst durch "eigentümliche, sich rechtfertigende Passagen".

Auszug aus Klinsmann-Protokoll: Die Stimmung in der Kabine ist geprägt von Nello di Martino (68), seit 48 Jahren im Club. Alles sehr eingefahren. Er ist der verlängerte Arm von Michael Preetz.

Uwe Bremer: "Nello di Martino ist der Dienstälteste bei Hertha. Er ist fast 70 Jahre alt und gehört sicherlich nicht mehr täglich in eine Gruppe, in der 17- bis 35-Jährige zusammen sind. Dass er aber das von Klinsmann suggerierte Ohr von Michael Preetz in der Spielerkabine ist, glaube ich nicht. Da gibt es andere Kandidaten. Nello tut am Ende des Tages niemandem weh. Dessen Rolle hat Klinsmann nicht korrekt eingeschätzt."

Hertha BSC: Paul Keuter und der Kniefall von Berlin

Auszug aus Klinsmann-Protokoll: Persönliche politische und ideologische Interessen einzelner Verantwortlicher (insbesondere Paul Keuter) werden den Spielern über Großplakate in der Kabine und Küche eingetrichtert, für was sie zu stehen haben bei Hertha BSC. Hinzu kommen absurde Selbstüberschätzungen wie Aktionen zu Vorgängen in den USA.

Bremer: "Paul Keuter ist seit 2016 Mitglied der Geschäftsleitung, zuständig für die Digitalisierung bei der Hertha. Es gibt in der Hertha-Kabine großformatige Leitbilder mit wohltönenden Formulierungen, wofür man bei Hertha steht und wofür man sein möchte. Klinsmann ist aber nicht der erste Hertha-Trainer, der aufgrund der Person Paul Keuter und ihrer Tätigkeiten mit dem Verein aneinandergeraten ist. Im November 2018 gab es ein Spiel gegen RB Leipzig. Im Vorfeld forderte Michael Preetz die Mannschaft dazu auf, aus Solidarität mit dem heftig kritisierten Keuter auf dem Spielfeld gemeinsam mit Mitarbeitern der Geschäftsstelle einen Kreis zu bilden. Mir wurde erzählt, dass die Mannschaft und auch der damalige Trainer Pal Dardai das abgelehnt haben. Preetz war darüber sehr verstimmt. Seitdem Keuter in der Geschäftsleitung sitzt, ist er in Berlin umstritten. Als Beispiel fällt einem da der Kniefall der Mannschaft vor einem Spiel im Oktober 2017 gegen Schalke 04 ein. Solche Aktionen von Sportlern kamen damals durch Colin Kaepernick (Quarterback in der NFL, Anm. d. Red.) aus den USA auf, der mit jenem Kniefall gegen Rassismus und die Unterdrückung der schwarzen und farbigen Bevölkerung protestieren wollte. Von Herthas Seite wurde kommuniziert, dass jener Kniefall vor dem Schalke-Spiel eine Aktion auf Initiative der Mannschaft gewesen sei. Da ist es dann merkwürdig, wenn die Agentur Jung von Matt, die Hertha berät, 2018 die Kniefall-Aktion beim PR-Bewerb "Clio Awards" einreicht und ausgezeichnet wird - in der Liste der Beteiligten wurde auch Paul Keuter genannt."

Auszug aus Klinsmann-Protokoll: Das Klima, das während dieser 7 Tage im Team-Hotel in Orlando herrschte, [...] war auf jeden Fall total kontraproduktiv und nicht leistungsfördernd. Es gab eine "Urlauber"-Gruppe, die dies weintrinkend und zigarrenrauchend auf der Terrasse des Hotels demonstrierte - und es gab eine "Arbeiter"-Gruppe, die intensiv trainierte. Die Kluft war so riesig wie die Undiszipliniertheiten außerhalb der Mannschaft.

Bremer: "Ich war in Orlando nicht dabei. Es ist aber Usus, dass Teile der Geschäftsleitung mitreisen und es sich gutgehen lassen. Das ist seit Jahr und Tag bei Hertha-Trainingslagern zu beobachten. Klinsmanns Betonung, dass da Leute "zigarrenrauchend" auf der Terrasse saßen, ist wohl als Spitze gegen Präsident Werner Gegenbauer zu verstehen, der Zigarrenraucher ist. Klinsmann will vermutlich herausstellen, dass es bei der Hertha Leute gibt, die sich im Licht der Prominenz der Spieler sonnen, aber letztendlich wenig beitragen."

Oktober 2017: Die Spieler von Hertha BSC knien vor dem Spiel gegen Schalke 04, um gegen Rassismus zu protestieren. Eine Marketingaktion, wie sich später herausstellt.
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Oktober 2017: Die Spieler von Hertha BSC knien vor dem Spiel gegen Schalke 04, um gegen Rassismus zu protestieren. Eine Marketingaktion, wie sich später herausstellt.

Hertha BSC: "Klinsmann nicht der erste Trainer, der sich gegängelt fühlt"

Auszug aus Klinsmann-Protokoll: Michael Preetz und Paul Keuter haben Umkleide-Spinde in der Trainerkabine - eigentlich für ihre eigenen sportlichen Aktivitäten. Somit sind sie auch hier immer nah bei der Mannschaft, sehen alle Aufzeichnungen an der Wand, alle Überlegungen und bewegen sich im Kabinenbereich, als wäre es ihr Terrain. Die Trainer haben keinen einzigen unbeobachteten Raum oder Platz im gesamten Trainerbereich. Weil das Umfeld sehr nervös auf Veränderungen reagiert, hält sich der Trainerstab mit seinen Wünschen hier komplett zurück.

Bremer: "Ob der Spind von Preetz direkt in der Kabine ist, weiß ich nicht. Grundsätzlich ist es aber so, dass Klinsmann nicht der erste Hertha-Trainer ist, der sich gegängelt fühlt, dadurch dass Preetz und seine Leute, die für ihn berichten, immer sehr nah dran sind und so gut wie nichts intern bleibt. Das war auch schon bei Pal Dardai und anderen Vorgängern so. Grundsätzlich muss man sagen, dass bei es bei Hertha kein einzelnes Cheftrainer-Zimmer gibt, sondern dass die Trainercrew in einem Raum zusammensitzt. Kurze Wege der Kommunikation wurden als Fortschritt angesehen. Natürlich hat Klinsmann nicht Unrecht damit, dass man als Vorgesetzter manchmal Vier-Augen-Gespräche zu führen hat, ohne dass es jemand mitbekommt, einfach um auch mal Klartext zu reden. So wie er es geschildert hat, ist das bei der Hertha nicht möglich. Aber wenn man dort irgendwo einen Raum für sich haben will, um ein Gespräch zu führen, ist das sicherlich möglich. Ich glaube nicht, dass das ein unüberbrückbares Hindernis war."

Auszug aus Klinsmann Protokoll: Es gibt keinerlei Lobbyarbeit des Vereins bei den Schiedsrichtern, nur niveaulose Beleidigungen während des Spieles von der Bank von Michael Preetz.

Bremer: "Seit der Relegation von Hertha im Mai 2012 in Düsseldorf (2:2/Anm.d.Red.), die unter skandalösen Umständen zu Ende gegangen ist, hat Hertha bei den Schiedsrichtern einen schlechten Ruf. Klinsmann hat recht, wenn er sagt, dass es sinnvoll wäre, würde Hertha bei den Unparteiischen einen positiven Eindruck hinterlassen. Wenn es so ist, wie Klinsmann schildert, dass auf der Bank von Manager Preetz Beleidigungen los gelassen werden, ist das natürlich kontraproduktiv. Und unabhängig von Klinsmanns Aussagen ist es mein Eindruck, dass das Verhältnis von Hertha zu Schiedsrichtern nach wie vor ein schwieriges ist. "

Hertha BSC: "Profifußballklub ist kein Familien-Versorgungs-Unternehmen"

Auszug aus Klinsmann-Protokoll: Nach dem letzten Spieltag Gespräch Klinsmann mit Gegenbauer. Erwartung: Bilanz der Vorrunde, positive Stimmung. Und u. a. auch mit der Bitte, dass Jonathan Klinsmann als dritter Torwart nach Berlin zurückkehren soll, weil der zweite Torwart Thomas Kraft ständig krank ist und der dritte Torwart Dennis Smarsch kein Bundesliga-Niveau hat. Gegenbauer erklärt unmissverständlich, das käme nicht in Frage, er wolle kein Vater-Sohn-Verhältnis mehr im Klub nach den Jahren mit Dardai, Covic und Köpke. Und dies in einer absolut respektlosen und unverschämten Art und Weise. Michael Preetz hatte keinerlei Anmerkung in diesem Gespräch.

Bremer: "Ich kann nichts über die Art und Weise des Gesprächs sagen. Aber das ist eine Passage, die Klinsmann schlecht aussehen lässt. Ein Profifußballklub ist kein Familien-Versorgungs-Unternehmen. Jonathan Klinsmann ist zweiter Torhüter in St. Gallen und der soll in Berlin als Bundesligatorhüter aufgebaut werden? Das ist ebenso wenig überzeugend wie die Rubrizierung von Pascal Köpke (Sohn von Bundestorwarttrainer Andreas Köpke) als ein ‚großes Talent'. Mit solchen Sachen schadet Klinsmann dem grundsätzlichen Anliegen, dass es tatsächlich eine Reihe von Punkten gibt, die er zu Recht kritisiert: Dass es bei der Hertha vielen Leuten um Besitzstandswahrung geht. Dass Innovationen im Sport skeptisch beäugt werden. Obwohl die Hertha immer größere Summen bewegt, ist der Verein in Sachen Wettbewerbsfähigkeit seit Jahren nicht aus dem Quark gekommen. Diese grundsätzliche Kritik, die Klinsmann äußert, ist richtig. Aber er beschädigt sein Anliegen mit seinen eigentümlichen, sich selbst rechtfertigenden Passagen."

Auszug aus Klinsmann-Protokoll: Medizinische Abteilung ohne jegliche Dynamik, zerstritten, inkompetent, den Anforderungen des modernen Profifußballs nicht gewachsen. Chef ist seit 22 (!) Jahren der Orthopäde Ulli Schleicher. Keinerlei Innovationen. Man versucht ständig, Spieler krank oder verletzt zu reden, damit die eigene Wichtigkeit unterstrichen wird und mit irgendwelchen Geräten (MRT, etc.) Geld gemacht werden kann.

Bremer: "Leute, die mehr als zehn Jahre bei Hertha gearbeitet haben, sagen mir: Die Klinsmann-Lobhudelei auf sich selbst beiseitegelassen, stimmen 98 Prozent der Sachen, die Klinsmann anspricht. Davon ausgenommen sind der eingangs erwähnte Nello di Martino und die Vorwürfe gegen die medizinische Abteilung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mannschaftsarzt Dr. Uli Schleicher die Spieler in den Kernspinthomographen steckt, um seine Geräte auszulasten."

Jürgen Klinsmanns Bilanz bei Hertha BSC

WettbewerbGegnerErgebnis
BundesligaBorussia Dortmund (H)1:2
BundesligaEintracht Frankfurt (A)2:2
BundesligaSC Freiburg (H)1:0
BundesligaBayer Leverkusen (A)0:1
BundesligaBorussia Mönchengladbach (H)0:0
BundesligaBayern München (H)0:4
BundesligaVfL Wolfsburg (A)1:2
BundesligaSchalke 04 (H)0:0
DFB-PokalSchalke 04 (A)3:2
BundesligaMainz 05 (H)1:3

 

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