Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC: Bessermacher oder Blender? Die Rückrunde entscheidet

Jürgen Klinsmann will mit Hertha BSC hoch hinaus.
© getty

Jürgen Klinsmann polarisiert auch als Trainer von Hertha BSC. Während der Wahl-Kalifornier von der Meisterschaft redet, fürchten Kritiker nach der 0:4-Pleite gegen Bayern München einen erneuten Rückrunden-Absturz. Die Fußball-Kolumne.

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Jürgen Klinsmann, so viel steht fest, hat es sich und seinen Mitmenschen nie leicht gemacht. Als Spieler sorgte er bei den Fans mit seinen spektakulären Toren für Begeisterung und trieb erfahrene Vereinsvorstände wie Uli Hoeneß mit seiner unnachgiebigen Verhandlungsweise zur Weißglut. Unbestritten war aber bis zu seinem Karriereende 1998 sein Status als Weltklassestürmer.

Das Urteil über den Trainer Klinsmann fällt dagegen seit inzwischen mehr als 15 Jahren höchst ambivalent aus. Für die einen ist er ein ambitionierter Querdenker, der mit seiner zupackenden und optimistischen Art für Aufbruchstimmung sorgt, für die anderen ein Schönredner ohne fachliche Substanz.

Ich erinnere mich an eine Medieneinladung der FIFA am Tag vor dem Eröffnungsspiel des Confed Cups 2005, dem Probelauf für die Heim-WM 2006. Zu vorgerückter Stunde echauffierte sich damals ein äußerst renommierter deutscher Sportjournalist mit markigen Worten: "Klinsmann ist der größte Blender, den es im deutschen Fußball je gab, mit ihm wird sich die Nationalmannschaft nächstes Jahr blamieren."

In den Wochen danach schoss die neuformierte und stark verjüngte DFB-Auswahl 15 Tore in fünf Spielen und wurde gefeierter Dritter - genauso wie beim "Sommermärchen" zwölf Monate später, einer sechswöchigen großen Party mit "Everybody's Darling" Klinsmann an der Spitze.

"Als Blender wird er in die Geschichte eingehen"

Zwei Jahre später kehrte er aus seinem Wohnort Huntington Beach zurück nach Deutschland, um die Spieler des FC Bayern "jeden Tag ein Stück besser zu machen". Entsprechend vernichtend war die Kritik nach seiner Entlassung am 29. Spieltag. "Groß waren seine Worte, klein die Ahnung von der Materie. Er hätte nie Bayern-Trainer werden dürfen", lautete ein vernichtender Kommentar in der Tageszeitung Die Welt: "Als großer Blender wird er in die Geschichte eingehen."

Wenngleich dieses Urteil bis heute viele Anhänger hat, so spricht Klinsmanns folgende fünfjährige solide Arbeit als US-Nationalcoach gegen diese These. Sein damaliger Co-Trainer Andreas Herzog widersprach kürzlich vehement der weit verbreiteten Meinung, Klinsmann funktioniere nur als übergeordneter "Projektleiter" mit einem fachlich sehr guten Assistenten wie eben Jogi Löw zu DFB-Zeiten.

"Leute, die sagen, dass Jürgen taktische Schwächen hat, das sind Leute von außen, die können mir viel erzählen. Ich sehe das ganz anders", meinte der Österreicher.

Neben der Co-Trainer-Frage, die bei Hertha mit dem zuvor als Chef in 21 Pflichtspielen erfolglosen Alexander Nouri beantwortet wurde, erkennen die Skeptiker auch in Berlin weitere "Klinsmann-typische" Verhaltensmuster: Austausch des Trainerteams mit vielen engen Vertrauten, Umbau des Kaders, Aussortieren oder Degradieren von Führungsspielern (Duda, Kalou, Ibisevic, Stark) und viel heißer Wind, sichtbar geprägt von den langen Jahren in den USA.

"Es ist doch das normale Verhalten von jedem neuen Trainer, dass er Dinge in Frage stellt und anders macht. Wenn alles so weiterginge wie bisher, bräuchte man ja keinen Trainerwechsel", meint dagegen einer aus der erweiterten Führungsriege des Vereins und verweist auf die Zustimmung bei den Profiteuren des Wechsels. "Seine Ausstrahlung ist ungewöhnlich, er hat eine unglaubliche Präsenz in der Kabine", sagte etwa der wieder gesetzte Marvin Plattenhardt.

Klinsmanns Dreistufen-Plan zur Meisterschaft

Dass diese offensive Art bei Klinsmann oft an der Grenze zum Übermut wandelt, ist ebenfalls nicht neu. So sprach er beinahe erwartungsgemäß bei seiner Vorstellung von Hertha als "Mega-Klub" und "schlafendem Riesen", und konkretisierte vor einer Woche seinen ambitionierten Dreistufen-Plan: "Erster Schritt: Weg vom Tabellenkeller, durchatmen. Zweiter Schritt: Nächste Saison die Europa League erreichen. Dritter Schritt: In drei bis fünf Jahren um die Meisterschaft mitspielen und in die Champions League kommen."

Der letzte, der bei Hertha solche großen Ziele verkündete, war Ex-Manager Dieter Hoeneß ("mit der Schale durchs Brandenburger Tor fahren") - nach seinem Scheitern hinterließ er einen Schuldenberg, in der Folgezeit stieg der Hauptstadtklub zweimal aus der Bundesliga ab. Entsprechend alarmistisch war die Berichterstattung in Teilen der Berliner Medien nach der mutlosen Vorstellung beim 0:4 gegen Bayern, schließlich hat der Abstiegskandidat in den vergangenen sechs Jahren immer eine schlechtere Rück- als Hinserie gespielt.

Die aktuelle Tabelle der Fußball-Bundesliga

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.RB Leipzig1851:213040
2.Bayern München1850:222836
3.Borussia M'gladbach1833:201335
4.Borussia Dortmund1846:271933
5.Schalke 041831:211033
6.Bayer Leverkusen1827:22531
7.SC Freiburg1829:24529
8.TSG Hoffenheim1826:30-427
9.Wolfsburg1819:21-224
10.FC Augsburg1831:36-523
11.Eintracht Frankfurt1829:30-121
12.1. FC Union Berlin1821:27-620
13.1. FC Köln1822:33-1120
14.Hertha BSC1822:33-1119
15.1. FSV Mainz 051826:41-1518
16.Werder Bremen1824:41-1717
17.Fortuna Düsseldorf1818:37-1915
18.SC Paderborn 071821:40-1912

"Natürlich müssen er und die Mannschaft jetzt liefern", heißt es aus dem Klub. "Am Ende zählt nur der Erfolg, auch und gerade für den Investor. Lars Windhorst will mit seinem Investment natürlich Geld verdienen."

Deshalb werde sich der neue Geldgeber, der seit Sommer 49,9 Prozent an der Fußball AG besitzt, im Zweifel auch nicht gegen eine Entlassung seines Vertrauten und sportlichen Beraters Klinsmann stellen, den er ursprünglich in den Aufsichtsrat entsandt hatte.

Schafft der Übergangscoach allerdings mit seinem defensiven "Pal-Dardai-Gedächtnisfußball" den Klassenerhalt, wäre nicht nur seinem Ruf gedient. Der 55-Jährige, dem Windhorst und Hertha-Sportchef Michael Preetz im November völlig unerwartet die Chance zur Bundesliga-Rückkehr gaben, hat offensichtlich Blut geleckt und will es, einmal mehr, seinen Kritikern beweisen. Im Erfolgsfall ist daher auch eine Dauerlösung Klinsmann auf der Hertha-Bank alles andere als ausgeschlossen.

Wende oder Ende, beides ist möglich. Die Frage "Blender oder Bessermacher" werden zumindest die Besserwisser nach dieser Rückrunde beantworten können.

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