Ex-DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig im Interview: "Die Bayern haben das Rattenrennen nicht mitgemacht"

Andreas Rettig hält das Verhalten des FC Bayern auf dem Transfermarkt für "wohltuend".
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Haben Sie das Gefühl, dass sich durch Modifizierungen beim Financial Fairplay die Dinge in die richtige Richtung bewegen?

Rettig: Mir fehlt jeglicher Glaube dafür, dass diejenigen, die uns in diese Misere gebracht haben, plötzlich aus Überzeugung den Kurs wechseln und zu einer gerechteren Wettbewerbssituation beitragen.

Weshalb wir also den Fokus auf die Bundesliga legen sollten?

Rettig: Das Brot- und Buttergeschäft ist nun einmal der nationale Wettbewerb. Wir müssen andere Anreize schaffen. Das meine ich mit der Allianz der Vernünftigen und das gilt auch auf internationaler Ebene. Nicht alles ist dem Diktat des sportlichen Erfolgs zu unterwerfen, der dann auch noch überproportional belohnt wird. Je höher der Jackpot, desto höher die Einsätze. Dies fördert eine Hasardeur-Mentalität, die ungesund ist, wie bei Barcelona erkennbar. Diese Kette muss unterbrochen werden. 50+1 hat dazu geführt, dass eine stärkere emotionale Bindung der Fans zum Verein entstanden ist. Dieses Wir-Gefühl zeigt sich in Corona-Zeiten auch deutlich bei den Spielern beim Thema Gehaltsverzicht: Während in Deutschland mein Verein unterstützt wurde, war die Bereitschaft in der Premier League bei 16 Milliardärsklubs geringer. Die Spieler fragen sich: Soll ich den Reichtum des Milliardärs noch mehren? Eine Branche, die mit und durch die Öffentlichkeit ihr Geld verdient, braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Und diese schwindet.

Was folgern Sie daraus?

Rettig: Wollen wir einen Mehrwert gesellschaftlicher Art schaffen oder wollen wir Henkelpötte? Ich hätte überhaupt kein Problem damit, wenn man nicht Champions-League-Sieger wird. Lasst doch die Investorenklubs ihren Wettbewerb fortsetzen und weiter Geld verbrennen.

Zurück zum Thema 50+1: Als DFB-Geschäftsführer waren Sie nach dem Aufstieg von RB Leipzig in die 2. Liga auch damit beauftragt, deren Lizenzantrag zu bearbeiten ...

Rettig: Für die Lizenzierung habe ich das so bewertet, dass ich einen Umgehungstatbestand gesehen habe, der dem Geist von 50+1 widerspricht. Den Lesern sollte man nochmal sagen: RB steht für RasenBallsport.

Der Fall landete letztlich beim Lizenzierungsausschuss, der Ihre Entscheidung einkassierte, da es sich um rechtlich nicht eindeutiges Terrain handelte. Gibt es auch andere Vereine mit positiven Entwicklungen in diesem Kontext?

Rettig: Ja, Hannover 96 ist eine Blaupause. Dort ist es gelungen, Mitbestimmung und Teilhabe an einem demokratischen Prozess zu sichern. Dies wurde über die Mitgliederversammlung durch die Auswahl der Personen geregelt, die für das entsprechende System ein klares Votum abgegeben haben.

Was ist Ihnen in diesem Kontext noch wichtig?

Rettig: Ein klares Bekenntnis zu den ESG-Regeln, also Environment, Social und Governance. Alles wird in der Lizenzierung reglementiert, ob es die Lux-Zahlen vom Flutlicht, die Anzahl der Medienarbeitsplätze oder der Einfallswinkel der Kamerapositionen sind. Zu diesen Themen gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung

finden sie gar nichts. Jahre später, nachdem ich es bereits beim FC St. Pauli gefordert hatte, wurde nun zart reagiert.

Reicht Ihnen das aus?

Rettig: Ich bin gespannt, was daraus konkret wird. Es würde auf das System einzahlen, denn wir sind dabei, die Generation Z zu verlieren, die für soziale und ökologische Themen auf die Straße geht.

Woran machen Sie diesen Prozess der emotionalen Entfremdung vom Fußball fest?

Rettig: Früher war der Stadionname ein Zeichen der regionalen Herkunft, ob Waldstadion, Neckarstadion oder Dreisamstadion. Wenn wir uns mit Kumpels getroffen und gesagt haben, wir gehen ins Wedaustadion, wusste jeder, was gemeint ist. Wenn ich ihnen heute sage, wir treffen uns im easycredit-Stadion, wissen Sie gar nichts mehr. Das geht weiter mit den Ausgliederungen. Bei der Bundesliga-Gründung gab es nur eingetragene Vereine, zu 100 Prozent gehörten die Klubs den Mitgliedern. Durch neue Gesellschafter wurden die Mitgliederrechte verdrängt, es gab neue Strategien. Durch die fortschreitende Kommerzialisierung war es gefühlt nicht mehr mein Verein.

Ein entscheidender Punkt für viele Anhänger.

Rettig: So ist es. Wenn die Fanbeziehung zur Kundenbeziehung wird, hat der Fußball sein großes Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Realwirtschaft verloren. Jeder in der Wirtschaft wünscht es sich, einmal eine Fanbeziehung zu haben, denn die hält in der Regel ein Leben lang.

Sie legen einen großen Wert auf das Gemeinwohl und setzen das auch bei Ihrem Klub aktuellen Viktoria Köln um. Wie geschieht das?

Rettig: In allen Arbeitsverträgen von Entgeltbeziehern bei der Viktoria ist eine solche Gemeinwohlklausel integriert. Das heißt: Mindestens eine Stunde im Monat muss sich jeder für das Gemeinwohl oder sinnstiftend engagieren. Dafür haben wir drei Bereiche identifiziert: Nachhaltigkeit, Soziales und Bildung. Überall haben wir Partnerschaften und Projekte, die wir mit den Spielern besprechen werden. Dann erwarten wir ein Commitment, das Engagement soll mit Leben gefüllt werden.

Abschließend, wo wir gerade schon in der 3. Liga sind: Auch dort leiden viele Traditionsklubs unter finanziellen Problemen und können an frühere Erfolge nicht mehr anknüpfen. Woran machen Sie das fest?

Rettig: Das Problem ist die Aussicht, durch einen Aufstieg an die Millionen-Fleischtöpfe der 2. Liga zu kommen. Dies führt zu wirtschaftlich unvernünftigen Entscheidungen. Nach dem Abstieg bestehen 80 bis 90 Prozent der Kosten weiter, die Erlöse brechen aber signifikant ein. Dieses Szenario kann nicht lange aufrechterhalten werden. Die Verschuldungsspirale beginnt und geht oft mit Personalrochaden auf den Schlüsselpositionen einher. Schnell stecken die Klubs mit einem Bein in der Insolvenz und müssen auf den weißen Ritter hoffen.

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