Benjamin Köhler im Interview über den Kampf gegen den Krebs: "Ich rief jeden Tag im Krankenhaus an und nervte die Leute"

Benjamin Köhler spielte lange Jahre für Eintracht Frankfurt und Union Berlin.
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Konnten Sie dann überhaupt einen klaren Gedanken fassen?

Köhler: Nein, es war ein riesengroßer Schock. Ich war nicht mehr aufnahmefähig und konnte mir auch keine Details der Erklärungen merken. Ich setzte mich direkt ins Auto und fuhr nach Hause. Meine Frau hat schon gewartet. Dann haben wir ein paar Tage durchgeweint. Wir waren am Boden zerstört. Man denkt ja immer: Krebs ist gleich Tod. Ich wollte dann erst einmal Urlaub machen. Die Ärzte sagten aber: Ist nicht, ich müsse die Chemo direkt beginnen - je schneller, desto besser.

Wurde Ihnen auf der Geschäftsstelle denn gesagt, wie schwer die Krankheit sei und wie die Heilungschancen stünden?

Köhler: Sicherlich, aber ich hatte daran keine Erinnerung mehr. Das wurde mir erst alles bewusst, als man mir ein paar Tage später in der Charite den genauen Ablauf erklärte. Da ich Leistungssportler und noch jung war, standen die Heilungschancen bei 80 Prozent. Ich hatte zwar keine Garantie, aber alle Voraussetzungen, um wieder gesund zu werden. Ich musste insgesamt sechs Mal alle drei Wochen zur Chemo ins Krankenhaus. Ab diesem Zeitpunkt dachte ich: Das ziehe ich jetzt durch und dann wird das schon wieder. Ich habe es wie eine schwere Verletzung genommen und wollte unbedingt wieder auf den Platz zurückkehren.

Der kanadische Eishockeyspieler Mario Lemieux war zu Beginn der Nuller-Jahre der einzige, der seine Laufbahn nach überstandenem Lymphdrüsenkrebs fortsetzte. Woher haben Sie die Überzeugung genommen, dass ausgerechnet Ihnen das auch gelingen wird?

Köhler: Keine Ahnung, das ist wohl mein Naturell. Ich lag zuvor zwar noch nicht derart, aber dennoch gerade im Fußball auch das eine oder andere Mal am Boden und habe mich immer wieder zurückgekämpft. Ich habe es mir als Ziel gesetzt, wieder Fußball zu spielen, denn ich musste ja irgendetwas Greifbares haben, woran ich mich hochziehen konnte.

Was haben die Ärzte zu diesem Vorhaben gesagt?

Köhler: Die im Krankenhaus meinten, ich werde nie wieder kicken können. Ich glaube, am Ende ist es auch Kopfsache und kommt darauf an, wie du damit umgehst.

Benjamin Köhler (rote Mütze) mit seiner Familie auf der Tribüne während des Bochum-Spiels.
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Benjamin Köhler (rote Mütze) mit seiner Familie auf der Tribüne während des Bochum-Spiels.

Einen Tag, nachdem die Diagnose publik wurde, verlängerte Union Ihren zum Saisonende auslaufenden Vertrag um ein Jahr bis 2016. Wie kam das so plötzlich zustande?

Köhler: Sie riefen mich an und sagten, der Vertrag werde verlängert, damit ich mich in Ruhe auf meine Genesung konzentrieren kann. Dann kamen sie bei mir vorbei, der Vertrag wurde mir vorgelegt und ich habe unterschrieben.

Zwei Tage später saßen Sie beim Heimspiel gegen Bochum mit Ihrer Familie auf der Tribüne, als die Partie in Anlehnung an Ihre Rückennummer in der siebten Spielminute unterbrochen wurde. Alle Union-Spieler trugen ein T-Shirt mit Ihrer Nummer und sprachen Ihnen vom Feld aus Genesungswünsche aus. Wie sehr hat Sie diese Aktion überrascht?

Köhler: Ich hatte eine ganz leichte Vorahnung, denn der Präsident rief mich zuvor an und fragte, ob ich nicht ins Stadion kommen möchte, die Jungs würden sich freuen. Ich habe gerne zugesagt, doch dass es dann zu einer solchen Aktion kommen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.

Was hat es mit Ihnen so kurz nach der Diagnose gemacht, diese Solidarität zu spüren?

Köhler: Ich musste schwer schlucken, meine Frau und ich hatten Tränen in den Augen. Ich habe mich schwer zusammenreißen müssen, um nicht einfach nur noch loszuheulen. Das war wirklich hoch emotional. Ich habe während des Spiels eine sehr große Dankbarkeit verspürt, auch danach hat mir die gesamte Unterstützung enorm geholfen und gut getan. Ich bin der Meinung, wenn man eine solche Krankheit hat und dabei allein ist, schafft man das nicht.

Am Tag nach diesem Spiel haben Sie sich eine Glatze geschnitten.

Köhler: Ich wollte nicht dabei zusehen, wie mir nach und nach die Haare ausfallen. Ich fand diesen Fakt an sich nicht schlimm, ich hatte mir eh schon einmal eine Glatze geschnitten. Ich wollte dem schlicht zuvorkommen. Es wäre ja sowieso passiert.

Anschließend ging es mit der ersten Chemotherapie los. Was ist da genau geschehen?

Köhler: Ich kam in ein Zimmer im Krankenhaus und wurde an einen Tropf gehängt. Es dauerte eineinhalb Stunden, bis die erste Dosis durch war. Dann kurze Pause und danach das nächste Ding. Gegen Abend habe ich es richtig gemerkt. Ich war total müde und bin ganz früh eingeschlafen. Am nächsten Tag bekam ich noch einmal eine Dosis und konnte anschließend nach Hause. Nur bei der ersten Chemo war ich sechs Tage lang drin, damit man sieht, wie ich es verkrafte.

Wie erging es Ihnen nach dem ersten Mal?

Köhler: Es war der Horror. Als ich nach Hause ging, war noch alles halbwegs in Ordnung. Dann jedoch bekam ich schlimmere Bauchschmerzen als vor der Diagnose. Kein Spaß: Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie solche Schmerzen. Ich dachte, ich muss jetzt sterben. Das waren unglaubliche Krämpfe. Ich habe mich nur noch gekrümmt. Ich lag im Bad oder auf dem Boden im Wohnzimmer, weil ich nicht mehr wusste, wohin mit mir.

Wie lange hielt das an?

Köhler: Eine ganze Woche. Ich bin natürlich auch kurz ins Krankenhaus gegangen, doch dort wusste man auch nicht so recht. Man gab mir eine Schmerzmittel-Infusion, was mir zwar Erleichterung verschaffte, aber am nächsten Tag ging es wieder von vorne los. Auch die Schmerzmittel, die ich schon vor der Diagnose zu Hause nahm, schmiss ich mir morgens, mittags und abends rein, doch sie halfen auch nicht. Nach einer Woche waren die Schmerzen wie von Geisterhand verschwunden - und ich hatte Schiss, dass das jetzt nach jeder Chemo so ablaufen wird. Tat es aber zum Glück nicht.

Wie lief es sonst in der Regel ab?

Köhler: Es war immer derselbe Ablauf: Ich wurde am ersten Tag abends sehr müde und als ich wieder zu Hause war, hatte ich sofort kein Hungergefühl und auch keinen Durst mehr. Man soll ja eigentlich viel essen und trinken, um die Chemo heraus zu spülen, aber ich hatte auf nichts Lust, keine Chance. Mir war zwar ein bisschen komisch, aber nie schlecht und ich musste mich auch nicht wie viele andere übergeben. Ich hatte einfach keinerlei Appetit - von ein paar seltenen Heißhungerphasen abgesehen. Nach ungefähr zehn Tagen war mein Körper wieder halbwegs gereinigt, aber dann ging es auch bald mit der nächsten Sitzung weiter.

Wie sah denn Ihr Alltag zwischen den Chemotherapien aus?

Köhler: Es hieß, ich solle zu Hause bleiben, aber ich wollte mich nicht einsperren lassen. Ich habe versucht, meinen Alltag so normal wie möglich zu gestalten. Ich war im Kino, in Restaurants und Cafes oder habe Freunde getroffen. Natürlich war ich dabei meist schlapp, aber langweilig wurde mir nicht.

Und womit haben Sie sich die Zeit vertrieben, wenn Sie in Behandlung im Krankenhaus waren?

Köhler: Ich war nicht einmal alleine, von morgens bis abends war immer jemand da. Meine Frau hatte vorab bei allen nachgefragt und eine Art Schicht-Betrieb erstellt, so dass neben ihr meine Verwandten und Freunde ein- und ausgingen. Als alle weg waren, habe ich noch ein bisschen den Fernseher angemacht und bin schnell eingeschlafen.

Wann gab es die erste ärztliche Rückmeldung, ob das alles auch anschlagen würde?

Köhler: Nach der dritten Chemo musste ich noch einmal eine Computertomographie machen. Ich wollte das schon früher haben, weil es mich ja auch interessierte, ob alles passt. Es hieß aber, meine Blutwerte seien in Ordnung und so gesund wäre es nicht, ständig in diese Röhre gesteckt zu werden. Meine Hoffnung war, dass alle Krebszellen so gut wie verschwunden sind, aber es war dann nur eine minimale Veränderung zu sehen.