Kolumne: Warum Geisterspiele in der Coronakrise die einzige Hoffnung für den Profifußball sind

Geisterspiele sind die einzige Option für den Profi-Fußball.
© getty

Die Corona-Pandemie bringt die Welt zum Stillstand, weshalb es auch für den Profi-Fußball ums Überleben geht. Daher sind die bisher verpönten Spiele ohne Fans für viele Klubs die einzige Rettung. Allerdings bleibt völlig unklar, wann es weitergehen kann. Die Fußball-Kolumne.

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Achtung: Dieser Text könnte beim Erscheinen schon wieder veraltet sein. Denn die Gewissheiten von gestern erweisen sich in diesen Tagen nicht selten wenig später als größte Dummheit. Vor acht Tagen wurde noch in der Europa League Fußball gespielt, in vielen Fällen vor Zuschauern. Vor einer Woche, am Freitagmorgen, entschied die Deutsche Fußball-Liga, den 26. Spieltag wie geplant durchzuführen, wenngleich hinter verschlossenen Türen.

Wenige Stunden später erfolgte die Absage, seitdem ruht nahezu weltweit nicht nur der Ball, sondern das gesamte öffentliche Leben. Von Normalität war die Menschheit seit Jahrzehnten nicht mehr so weit entfernt wie im Moment, an so etwas Banales wie Profi-Fußball verbietet sich angesichts des Grauens der Corona-Pandemie eigentlich jeder Gedanke.

Und doch gibt es viele Menschen, die sich seit Tagen Gedanken darüber machen, wann und wie es mit dem Fußball in diesen Zeiten weitergehen kann. Das gilt nicht nur für Medien oder Fans, die sich ohne ihr liebstes Hobby langweilen, sondern vor allem für die Verantwortlichen bei Vereinen und Verbänden. Und das liegt weniger am Fehlen des sportlichen Wettbewerbs, sondern an den gravierenden wirtschaftlichen Folgen, die die Saisonunterbrechung schon jetzt für alle Beteiligten hat.

Es geht einzig und allein ums Überleben

Es gehe für die 36 Profiklubs einzig und allein ums Überleben, sagte DFL-Boss Christian Seifert nach der Krisensitzung am Montag. Noch mehr gilt das für die 3. Liga, in der bereits nach wenigen Tagen mehrere Vereine wie Braunschweig, Kaiserslautern oder Jena Kurzarbeit für ihre Angestellten beantragt haben.

Das liegt zum einen daran, dass die meisten Klubs in diesem System praktisch von der Hand in den Mund gelebt haben. Einnahmen wurden sofort wieder ausgegeben, so dass in den seltensten Fällen Rücklagen für schwere Zeiten angelegt wurden. Auch wenn derzeit nur spekuliert werden kann, welche Vereine am meisten von einer Insolvenz bedroht sind, so sprechen Seiferts Aussagen für sich. Deshalb wollen alle Ligen die Saison unbedingt irgendwie zu Ende spielen, weil nur dann die zwingend benötigten Einnahmen wieder fließen würden.

Laut einer Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG würde die Premier League mit Einnahmeverlusten von 1,15 bis 1,25 Milliarden Euro am härtesten getroffen, bei den 18 Bundesligisten wird der Verlust zwischen 650 und 750 Millionen Euro berechnet. Davon entfallen geschätzt 140 Millionen auf Zuschauereinnahmen, rund 240 Millionen auf Sponsoringeinnahmen und der größte Anteil von etwa 370 Millionen Euro auf die ursprünglich im Mai fällige letzte Tranche der Einnahmen durch die TV-Rechte - die aber nur fließt, wenn wieder gespielt wird.

Rund 600 Millionen Euro stehen auf dem Spiel

Von den Einnahmen durch die Fans an den Spieltagen haben sich die Klubs daher gedanklich schon verabschiedet, denn ein regulärer Betrieb wie vor Corona ist auf Monate hinaus unwahrscheinlich bis unmöglich. "Geisterspiele sind die einzige Überlebenschance", erklärte Seifert deshalb. Denn nur so wären zumindest die verbliebenen gut 600 Millionen Euro gesichert.

Wie schnell mancher daher seine Meinung ändert, zeigt das Beispiel Thomas Röttgermann. Noch am Montag bei der DFL-Versammlung war der Vorstandschef von Fortuna Düsseldorf nach Teilnehmerangaben zunächst als einziger gegen Spiele hinter verschlossenen Türen, beugte sich dann aber der Mehrheit und den Fakten. Am Donnerstag erklärte Röttgermann schließlich in einem Interview, Spiele ohne Zuschauer seien "unter den besonderen Umständen sogar das Wunschszenario".

Wie in allen anderen Ländern setzt man also voll auf die bis vor kurzem noch völlig verpönten Geisterspiele. Die Hoffnung dabei ist, dass kein Lizenzspieler mehr an Corona erkrankt (oder den Virus bereits überstanden hat) und die Infektionsgefahr aufgrund einer maximal reduzierten Anwesenheit sonstiger Personen so gering wie möglich ist. Stecken sich die Akteure allerdings dennoch an, bricht dieser theoretische Plan zusammen wie ein Kartenhaus.

Zumal die bittere Realität momentan allen Planspielen einen dicken Strich durch die Rechnung macht. Derzeit ist völlig unklar, wann eine zumindest teilweise Besserung der angespannten Lage auch wieder so etwas wie Fußballspiele ermöglichen kann. Der April scheint ausgeschlossen, Italiens Sportminister Vincenzo Spadafora hat nun für die Serie A den 3. Mai als mögliches Datum für den Wiederbeginn genannt. Woher er ausgerechnet im am stärksten in Europa vom Coronavirus betroffenen Land diese Zuversicht nimmt, ist unklar.

"Im Best Case frühestens im Mai/Juni"

Realistischer klingt dagegen das Szenario, das Jürgen Wehlend, Geschäftsführer von Zweitligist VfL Osnabrück, aufgeworfen hat. "Im Best Case können wir die Saison frühestens im Mai/Juni fortsetzen. Dann allerdings ohne Zuschauer, was zumindest die TV- und Werbeerträge sichern würde", sagte Wehlend der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Das deckt sich ungefähr mit der Meinung mancher Experten, die sich eine Besserung der Situation nach einem konsequenten Shutdown von etwa zwei Monaten vorstellen können, zumal die im Frühsommer erhoffte Wärme und UV-Strahlung die Ausbreitung zumindest verringern sollen. Selbst in diesem Fall wird es aber äußerst schwierig, die Saison bis zum eigentlich spätest möglichen Zeitpunkt 30. Juni zu Ende zu bringen.

Zwar würde die Bundesliga bei einem Rhythmus von Spielen alle drei Tage bei noch verbleibenden neun Spieltagen ziemlich genau einen Monat benötigen, könnte also sogar erst Anfang Juni wieder loslegen. Dieses Szenario würde allerdings nur funktionieren, wenn wiederum Champions League und Europa League abgebrochen oder extrem verkürzt würden. Fraglich, ob die UEFA hier mitspielt, nachdem sie schon mit der Verlegung der EM auf 2021 den nationalen Verbänden weit entgegengekommen ist.

Verlängerung der Saison immer realistischer

Daher wird eine andere Option immer realistischer: Eine internationale Verlängerung der Saison durch die FIFA bis mindestens 31. Juli, wodurch alle Ende Juni auslaufenden Verträge - in der Bundesliga sind das rund 200 - automatisch verlängert würden. Eine solche Sonderregelung wäre nach Meinung von Arbeitsrechtlern durchaus möglich, es blieben aber viele offene Fragen.

Zumal sich nach den Entwicklungen der vergangenen Tage eigentlich jegliche realistische Planung verbietet. Deshalb ist nach wie vor auch eine Pleitewelle im Profi-Fußball keineswegs ausgeschlossen, wenn der von Wehlend beschriebene "Best Case" nicht eintritt. Zumindest dem Osnabrücker Funktionär ist das bewusst: "Im Worst Case", sagte er, "werden auf absehbare Zeit gar keine Fußballspiele mehr ausgetragen."

Ein anerkannter Fachmann glaubt sogar, dass dieses Jahr gar nicht mehr Fußball gespielt wird - mit all seinen negativen Konsequenzen. "Man muss sich davon verabschieden. Es ist nicht realistisch, dass die Saison zu Ende geführt werden kann", sagte der Virologe Prof. Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg dem NDR-Sportclub.

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