Wenig erlösend

Von Dominik Geißler
Sebastian Vettel hat nun 47 Siege auf seinem Formel-1-Konto
© getty

Sebastian Vettel hat mit seinem Sieg beim Großen Preis von Brasilien eine langanhaltende Durststrecke beendet. Der Ferrari-Pilot zeigte sich im Anschluss erleichtert und ist auf dem besten Weg, nach dem verlorenen WM-Titel Schadensbegrenzung zu betreiben. Doch wirkliche Euphorie sollte - auch aufgrund von Lewis Hamiltons Aufholjagd - nicht aufkommen.

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30. Juli 2017, Glutofen Ungarn. Bei Temperaturen jenseits der 30 Grad Celsius steht Sebastian Vettel auf der Pole Position, neben ihm Ferrari-Kollege Kimi Räikkönen. Der Start verläuft nach Plan, alles sieht nach einem souveränen Sieg aus.

Dann aber bekommt Vettel Probleme mit seiner Lenkung. Pro Runde verliert er mehrere Zehntelsekunden auf die Konkurrenz. Nur weil sich Räikkönen hinten anstellt und abermals als großer Teamplayer beweist, behält der Heppenheimer bis zur karierten Flagge die Führung. Auf seinen WM-Rivalen Lewis Hamilton, der an diesem Sonntag lediglich Vierter wird, baut er seinen Punktevorsprung vor der Sommerpause auf 14 Punkte aus.

Wir springen dreieinhalb Monate weiter. Die Formel 1 ist mittlerweile über sieben Zwischenstationen in Brasilien angekommen. Vettels angenehmes Punktepolster hat sich inzwischen zu einem Rückstand von 56 Zählern umgekehrt. Zu einem Rückstand, den er in den letzten beiden Saisonrennen nicht mehr aufholen kann. Bereits zwei Wochen zuvor in Mexiko krönte sich Hamilton zum Weltmeister.

Warum? Weil sich der Engländer in Mercedes-Diensten seit der Sommerpause in der Form seines Lebens befand. Und, weil Vettel und Ferrari einen Herbst voller Desaster erlebten.

Sebastian Vettel: "Das ist eine große Erleichterung"

In Sao Paulo ging es für die Roten daher nur noch darum, einen weiteren Schritt Richtung Vizeweltmeisterschaft zu machen. Das gelang: Vettel siegte - zum ersten Mal seit eben diesem Julitag in Ungarn vor dreieinhalb Monaten. Der neue Hauptkonkurrent, Valtteri Bottas, wurde Zweiter. Vor dem Finale in Abu Dhabi hat Vettel damit 22 Punkte Vorsprung und ist kaum noch einzuholen.

"Das ist eine große Erleichterung", frohlockte der 30-Jährige nach seinem fünften Saisonerfolg und erinnerte an die dunkle Vergangenheit: "Es liegen harte Wochen und Monate hinter uns. Das gibt uns ein bisschen was zurück."

Vor dem Rennen sagte Vettel, man wolle nicht erneut versagen und wenigstens den zweiten WM-Platz ins Ziel bringen. Schadensbegrenzung sozusagen.

Dass diese nun aller Voraussicht nach gelingt, zeichnete sich bereits am Start ab. Da schnappte sich Vettel die Führung von Polesitter Bottas. "Im ersten Moment dachte ich: 'Yes! Jetzt habe ich ihn'", beschrieb er die Situation aus seiner Sicht: "Dann war ich aber etwas zu euphorisch und hatte etwas Wheelspin. Da dachte ich 'Oh nein, jetzt zieht er doch weg'."

Allerdings: Auch Bottas absolvierte die ersten Meter nicht perfekt. Seine Räder drehten noch mehr durch, sodass er wieder an Boden verlor und seinen deutschen Widersacher auf der Innenseite der ersten Kurve ziehen lassen musste.

Lewis Hamilton mit Aufholjagd

Anschließend gab es für den Nachfolger von Nico Rosberg keinen Weg vorbei. Die Lücke von ein paar wenigen Sekunden blieb nahezu über die gesamte Renndistanz, an eine Attacke war nicht zu denken. "Das ist ziemlich enttäuschend", gab Bottas später geknickt zu.

Dass Mercedes die Pace zum Siegen hatte, bewies Hamilton. Der amtierende Weltmeister, der nach einem haarsträubenden Fehler im Qualifying aus der Boxengasse startete, fuhr nach einer famosen Aufholjagd bis auf Platz vier vor.

Sicher, in einem Silberpfeil auf einer Motorenstrecke wie in Interlagos an einem Sauber, Renault oder Toro Rosso vorbeizufahren, ist keine Wunderleistung. Sich aber nach 71 Runden nur fünfeinhalb Sekunden hinter dem Sieger wiederzufinden, verlangt Anerkennung.

"Es hat Spaß gemacht", sagte Hamilton und dachte an seine Anfänge im Motorsport: "Es war eine Reminiszenz an meine alten Karttage - die ersten ein oder zwei Jahre, als ich weit hinten starten musste."

Vorbild Rosberg glaubt nicht an Vettel und Ferrari

Hamilton durfte die massige Motorleistung seines Mercedes voll aufdrehen, um so weit wie möglich nach vorne zu kommen. Vettel und Ferrari haben im Gegenzug sicherlich nicht alle Reserven herausgeholt, gecruist ist der Wahl-Schweizer aber dennoch nicht. "Wir haben das ganze Rennen über gepusht. Es war ziemlich anstrengend und hart", erklärte er.

Entsprechend ist der langersehnte Sieg daher auch keine Erlösung für Vettel. Er weiß, dass Mercedes nach wie vor das Maß der Dinge ist - und auch im nächsten Jahr sein könnte. "Ich glaube nicht, dass Sebastian nächstes Jahr eine größere Chancen haben wird", macht Rosberg seinem Landsmann wenig Hoffnung: "Mercedes ist als gesamtes Team einfach eine Macht. Deshalb bin ich mir nicht so sicher, ob die Lücke zu Ferrari in der kommenden Saison nicht eher wieder größer wird."

Solche Gedanken darf sich ein Vettel freilich nicht machen. Er braucht den Optimismus und die positive Energie, um Ferrari weiter nach vorne zu bringen. Was ihm dabei helfen könnte? Die jüngste Vergangenheit.

Nachdem Rosberg vor zwei Jahren den Titel in den USA gegen Hamilton verloren hatte, gewann er sieben Rennen in Folge. Am Ende der 2016er-Saison krönte er sich schließlich zum Weltmeister. Für Vettel, der nun auch das erste Rennen nach Hamiltons erneutem WM-Triumph siegreich gestaltete, vielleicht ein gutes Omen.

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