Das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft bei einer Fußballweltmeisterschaft ist seit Mitte der 70er Jahre vor allem eine Frage der musikalischen Vorbereitung. Mit Inbrunst, absurder Choreografie und fremdschämtauglichen Texten sang man sich fit für das große Turnier. Bis in den 90er Jahren plötzlich Schluss war. Leider, denn womöglich hätte das Nationalteam längst wieder einen Titel errungen, wenn man denn vorab richtig die Stimmbänder gedehnt hätte. Ein Blick zurück auf die WM-Songs der Nationalmannschaft und das, was uns erspart/vorenthalten wurde:
1974: Fußball ist unser Leben
"Fußball ist unser Leben,
denn König Fußball regiert die Welt.
Wir kämpfen und geben alles,
bis dann ein Tor nach dem ander'n fällt.
Ja, Einer für alle, alle für Einen.
Wir halten fest zusammen,
und ist der Sieg dann unser,
sind Freud' und Ehr für uns alle bestellt."
Klingt wie die Präambel der Vereinssatzung des Kölner Dackelclubs KTC 1871 e.V. oder jedenfalls wie der Begleittext zum Defiliermarsch des Deutschen Burschenschaftstreffens. Botschaft? Fragwürdig. Die Welt zu Gast bei Freunden? Gab's 1974 nicht. Hier galten noch deutsche Tugenden. Zusammenhalt, Disziplin, Ordnung das altbekannte Wertetrias, wenn es für Deutsche darum geht, einen Sieg einzufahren. Lauthals intoniert von Franz, Berti, Sepp & Co. zweifelsohne der Schlüssel zum Gewinn des Weltmeistertitels im eigenen Land.
1978: Buenas dias, Argentina (mit Udo Jürgens)
"Buenos Dias Buenos Aires!
Wenn die rote Sonne glüht,
rauscht von ferne der La Plata
und er singt mit mir ein Lied."
Noch immer der schlagkräftigste Beweis für die alte Verschwörungstheorie, nach der Udo Jürgens Gründungsmitglied der Flippers ist. Eine seicht-samtig-schnulzige Melodie mit ebenso weichgespültem Text, der das gesamte Elend einer Weltmeisterschaft auf den Punkt bringt. Kein Wunder also, dass Helmut Schöns lustloses Bundesliga-Sammelsurium das Turnier mit dem Impetus eines abgehalfterten Schlagersängers bestritt. Die Schmach von Cordoba war da fast eine logische Konsequenz. Buenas noches, Argentina es wird Zeit für uns zu geh'n.
1982: Ole Espana (mit Michael Schanze)
Der Gesundheitsminister warnt: Fortwährendes Ploppen führt zu schwerwiegenden Schädigungen des Großhirns und verursacht heimtückischen Text-Schwachsinn. Mr. 1-2-3 sang übelsten 0-8-15. Beispiel gefällig?
"Das Herz hat einen Namen,
in Spanien nennt man es 'El Coracon'.
Wenn sich zwei Herzen finden,
dann wissen sie genau, wovon das kommt.
Es kommt vom Vino und vom Flamenco,
von den Canciores und von Amor."
Viva Vorurteil! Spanier, die notorischen Säufer mit dem ewigen Jucken in den Lenden. Außer Saufen und Sex nix im Sinn. Tatsächlich passte das zitierte Image vor allem auf die Einstellung der deutschen Kicker, die statt Dehnung der Muskulatur lieber auf Befeuchtung der Kehle setzten und ihr Zweikampverhalten in der Horizontalen mit Gegenspielern des anderen Geschlechts erprobten. Was zweifelsohne ausschließlich an der aphrodisierenden Wirkung des hocherotischen WM-Songs lag. Ein Schanze für die Liebe. Knick knack! Trotz allem reicht es aus unerklärlichen Gründen noch zum Einzug ins WM-Finale. Womit man sich freilich keinen Zacken aus der Jackett-Krone brach.
1986: Mexiko, mi Amor (mit Peter Alexander)
Die Schande von Gijon blieb eben doch nicht folgenlos. Vier Jahre später schloss sich die deutsche Nationalmannschaft abermals mit einem Österreicher zusammen und produzierte die musikalische Umsetzung des beschämenden Nichtangriffspakts. Ein Lied mit der Dynamik von Baldrian und der Aussagekraft von Toastbrot:
"Sombreros verbergen den Stolz in den Augen der einsamen Männer.
Zärtliche Mädchen verschenken die Sehnsucht im Dunkel der Nacht."
Hm, ja. Kann man so sagen. Aber wohl doch besser nicht singen. Die deutschen Nationalkicker samt Suppenkasper taten es gleichwohl und verpassten völlig zu Recht den WM-Titel. Für Peter Alexander nach dem infernalischen Duett mit Heintje ohne jeden Zweifel tiefster Tiefpunkt seiner Karriere. Meinte auch Rudi Völler.
1990: Wir sind schon auf dem Brenner (mit Udo Jürgens)
...wir brennen schon darauf! Ein Wortspiel, für das sich selbst Gerhard Delling und der SPOX-Twitterer zu schade wären. Doch noch lange nicht das lyrische Highlight des Bockelmann-Fanals:
"Drum nichts wie hin, hinter uns liegt der Inn und vor uns liegt der Po!
Die Welt spielt sich frei und auch wir sind dabei Hollahi hollaho!"
Ginge durchaus auch als O.S.T. von Beim Jodeln juckt die Lederhose reloaded durch, war aber die offizielle Losung für das WM-Turnier in Italien, welches trotz schwerwiegender Versündigung an der deutschen Poesie am Ende gewonnen wurde.
Die Zumutung für Hirn und Ohr wurde durch die Choreografie des dazugehörigen Musik-Videos auch noch auf das Auge erstreckt. Apropos Auge, man beachte die Kartoffelreibe, mit der der Libero der Nationalmannschaft taktsicher den Rhythmus vorgab (ab 1:20). Optischer Leckerbissen: Klinsis Trompetensolo (ab 1:35) ein Meisterwerk der blasenden Playback-Kunst, bei der es selbst Stefan Mross die Freudentränen in die Augen treiben dürfte. Auch wenn es irgendwie mehr nach Saxophon klingt.
1994: Far Away in America (mit den Village People)
Für alle, die sich noch immer fragen, wo die nervigen Gerüchte über die vermeintliche Homotruppe Nationalmannschaft herrühren. Insofern eine durchaus löbliche Offensive im Kampf gegen platte Homophobie im Fußball. Wenn da nicht diese furchtbare Musik gewesen wäre. Und der Text. Und das Video.
Loddar, Klinsi und Effe schwingen beschwingt die Hüfte und schwenken euphorisiert die Hände. Was bei Letzterem zu einem hartnäckigen Krampf im rechten Mittelfinger führte. Auch bei der restlichen Mannschaft hinterließ das musikalische Intermezzo schwerwiegende Folgen, weshalb man bereits im Viertelfinale über den Yordan ging. Unmittelbare Konsequenz: Go East!
Aus ästhetischen Gründen entschloss man sich beim DFB, fortan auf musikalische Einlagen der Nationalmannschaft zu verzichten. Zweifelsohne eine der wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes. Und gleichwohl bedauerlich, blieben uns so doch einige Perlen anmutiger Akustik vorenthalten. Und zwar
1998: Bertis Buben vs. Bata Ilic Oh France, mon amour
Wenn gar nichts mehr hilft, im Zweifel 'Back to the Roots'. Denkt man sich auch am Ende der nennen wir es "Ära" Vogts und beschließt eine Kooperation mit dem Barry Manilow von Belgrad, dessen musikalische Genialität ausgewiesen ist durch so unvergessene Klassiker wie "Ich hab noch Sand in den Schuhen von Hawaiiiiii" und "Ich möchte der Knopf an deiner Bluse sein". Das skurrile Duett mit Bertis unmotiviertem Haufen geht genauso wie die sportliche Mission komplett in die Hose. Immerhin liefert man uns einzigartige Bonmots wie "Ich weiß, wenn ich Pariser seh, warum ich auf Französisch steh" oder "Im Louvre und am Eiffelturm, der Klinsi spielt im Zweifel Sturm".
2002: Rudis Resterampe feat. Roland Kaiser Sayonara heißt Grüß Gott
Nach dem Ilic-Debakel gelobt man beim DFB Besserung. Es soll nun doch wieder alles jugendlich, hip und modern wirken. Mit Schmalzlocke Kaiser wird ein Star verpflichtet, der laut Präsident Mayer-Vorfelder "bei allen Generation super ankomme und über eine integrative Kraft verfüge, wie sie sonst nur von einer ausgiebigen Weinprobe ausgehe". Musik und Text gehen auf das Konto von Ralph Siegel und Bernd Meinunger. Frei nach dem Motto: Wer den Grand-Prix Eurovision de la Chanson geholt hat, der gewinnt auch die Weltmeisterschaft. Die Rechnung geht nicht auf.
2006: Capitano & Co. mit den Söhnen Bergheims Dieser Keks wird kein weicher sein
WM im eigenen Land - das schreit nach Förderung des eigenen Nachwuchs. Kultkicker Poldi, seines Zeichens immer um die Unterstützung seines Heimatvereins bemüht, akquiriert kurzerhand acht Idötzchen aus der E-Jugend des 07 Bergheim. Die an sich geplante Zusammenarbeit mit Sarah Connor kommt wegen akuter Textunsicherheit der Interpretin nicht zustande. Aus der Not heraus wird über die Shuffle-Funktion von Asamoahs Ipod ein Lied ausgewählt und in einer Nacht- und Nebelaktion kindergerecht umgedichtet. In den Charts floppt das unkonventionelle Joint Venture erwartungsgemäß, ist als neuer Titelsong der Sesamstraße aber gleichwohl fortan in aller Ohren.
2010: Jogis Jungs with Unheilig Geboren um zu siegen
Die ursprünglich angedachte Neuauflage des alten David-Hanselmann Klassikers mit dem hübschen Titel "Go get the Cup am Kap" scheitert in letzter Sekunde aus rechtlichen Gründen. Oli Bierhoff, als Team-Manager auch für die musikalische Repräsentation der Nationalmannschaft zuständig, weiß sich nicht anders zu behelfen als mit einem Blick auf die Charts. Der Graf lässt sich nicht lange bitten und textet seinen Überhit in einer Nachtsession um. Das Ergebnis sorgt indes für allgemeine Irritation und steht einem erfolgreichen Abschneiden bei der WM in Südafrika offensichtlich entgegen:
"Wir sind geboren, um zu siegen,
mit den Spielern unsrer Zeit,
dauert's, bis wir den Titel holen,
wohl noch ne Ewigkeit."
2014: Dreamteam 2014 com Helene Fischer Ein süßer Traum am Zuckerhut
Nachdem die musikalischen Experimente in der Vergangenheit nicht zu dem gewünschten Titel geführt haben, geht man bei der Nationalmannschaft jetzt auf Nummer sicher und verpflichtet mit der heißen Helene die Erfolgsgarantin schlechthin. Immerhin war die ja schon beim Champions-League-Finale 2013 zugegen und performte für den BVB. "Ganz egal", wischt Manager Bierhoff alle Zweifel vom Tisch, "auf sowas geben wir nichts es kommt auf die musikalische und textliche Qualität an. Und die stimmt!". Was man wohl kaum bestreiten kann angesichts so hübscher Textzeilen wie
"Wir tanzen Samba de Janeiro
sind so heiß wie ein Torrero,
hol'n die Copa an der Cabana,
spielen Fußball tropicana."
Die Verkaufszahlen der Single lassen sich sehen. Zu Gold langt es aber gleichwohl nicht - doch immerhin zu Silber(eisen). Und vielleicht ja auch zum WM-Titel. Schaun mer mal...
Schaue mal in das Forum hier bzw Auswerteblog, da steht alles
wo ist steven_gerrard?
Diese Woche ist echt komisch. Passt aber irgendwie.
Bis morgen war ja noch Zeit für die Abstimmung, also bin ich ja noch nicht zu spät.
Aus meiner Sicht, eher schwaches Triell, dass ja nun auch noch zum Duell degradiert wurde. Wahrscheinlich hat Dawizzle schlechtes Karma, vielleicht wäre das mal einen Blog wert.
Beide Ideen zwar ganz nett, aber keine schlägt damit so richtig durch.
Liegt vielleicht auch daran, dass ich die Zeit der Nationalmannschafts-Soundtracks verpasst habe. Bin erst seit 1994 Halbfinale der WM mit der Fussball infiziert und in der Zone hat man nicht so alles mitbekommen. Erst recht nicht als Kleinkind.
Voegi sein Blog gab am Ende für mich nochmal ein bisschen Gas und kriegt dafür von mir den 1 Punkt.
Dawizzle dann halt 0 Punkte, aber trotzdem Glückwunsch zum Weiterkommen.
als barry manilow-fan gibts von mir 2 punkte. could it be magic?
dawizzle bekommt folglich einen punkt.
Voegi: 2 Punkte
Dawizzle: 1 Punkt
1 Punkt für Voegi, 0 für Dawizzle
Es ist wirklich wahnwitzig, wie man seinerzeit auf die Idee kam, ausgerechnet auf die Village People zurückzugreifen. Jetzt unabhängig von möglichen Homophobie-Schnittstellen sei die Frage erlaubt, was man sich davon versprach, eine Gruppe an Künstlern zu verpflichten, die als Cowboy und Indianer verkleidet mit Michael Schulz und dem Kopf hin- und herschwingenden Klinsi durch die absurde Szenerie tanzen.
Von mir gibt es 2 Punkte.
Ich fühlte mich nicht nur bestens unterhalten - ich konnte zudem auch noch feststellen, dass meine Plattensammlung komplett ist. Nun ja, nicht dass ich den Driss hören würde, aber haben musste ich die Scheiben dann doch.
Falls sich also mal jemand gefragt haben sollte, wer so etwas eigentlich kauft. Dann könnte die Antwort lauten: gerosimo. Auf Flohmärkten.
2 Punkte.
Glückwunsch an die beiden Kontrahenten und allen ein schönes Wochenende!