Es ist der 22.06.1986, Mexico City: Das Viertelfinale der WM 1986 zwischen Argentinien und England. Das Aztekenstadion ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Spielstand, durch die Hand Gottes persönlich, bei 1:0. Die 114.600 Zuschauer sind immer noch aufgeregt, da holt Diego Maradona sich den Ball auch schon wieder tief aus der eigenen Hälfte ab. Ein Schritt zur Seite und der erste Gegenspieler läuft an ihm vorbei, ehe er den Ball elegant mit der Sohle vor dem zweiten Gegenspieler wegzieht. Und was danach geschah, sollte in die Geschichte eingehen: Mit seiner außergewöhnlichen, Sprintstärke hängt Maradona das gesamte englische Mittelfeld ab, lässt den ersten Verteidiger aussteigen, lässt den zweiten mit einer einfachen Körpertäuschung hinter sich, läuft am falsch positionierten Torwart vorbei und schießt das Tor, das 2002 sogar von der FIFA mit dem Titel WM-Tor des Jahrhunderts geehrt wurde. An solche oder so ähnliche Aktionen, sei es von Maradona, Pele oder Lothar Matthäus, denkt man, wenn man den Begriff Spielmacher hört. Doch die Aufgaben des heutigen Spielmachers sind nicht mehr dieselben wie früher.
Entwicklung des Spielmachers
Was früher der einzelne Star eines Teams war, ist heute aus mehreren, vor allem taktischen Gründen, eine ganze Reihe Spieler. Das Problem eines früheren Spielmachers war die Abhängigkeit von dessen Aktionen: Wurde der Spielmacher gut gedeckt oder gar ganz aus dem Spiel genommen, lief kaum etwas in der Offensive. Eine Mannschaft kam und fiel mit ihrem Spielmacher. Um dem entgegenzuwirken, werden die Rollen des Spielmachers im heutigen System auf mehrere Positionen verteilt. Dies sind vor allem die 10er, Falschen 10er, 6er, sowie Innen- und Außenverteidiger. Doch das heißt nicht, dass Qualität der Quantität gewichen ist, ganz im Gegenteil.
Falscher 10er und 10er
Die klassische Position der früheren Spielmacher ist auch heute noch einer der wichtigsten Bausteine im Angriffsspiel. Doch die Anforderungen sind ganz andere: Während ein Maradona, Zico oder Pele den Ball mit sekundenlangen Dribblings aus der eigenen Hälfte zum gegnerischen Tor brachten, hat der 10er oder Falsche 10er heute eine viel passivere Aufgabe. Er muss vor allem Räume für Mitspieler aufreißen und als Schaltzentrale des Spiels dienen. Da durch das ballorientierte Abwehrverhalten der heutigen Mannschaften nur selten Lücken für einen Pass in die Spitze oder auf die Flügel sind, dient der 10er vor allem als Anspielstation, weil er von fast allen Positionen aus angespielt werden kann. Deshalb ist er auch oft der Spieler mit den meisten Ballkontakten. Wenn der 10er den Ball bekommt, muss er versuchen, die Flügel oder womöglich sogar sofort die Sturmspitze mit einem gekonnten Pass anzuspielen. Aber auch ein guter Schuss aus der zweiten Reihe zeichnet ihn aus. Insgesamt ist die 10er oder Falsche 10er Position viel laufintensiver geworden, was auch aus der Aussage Joachim Löws nach der WM 2010, dass Mesut Özils Spiel ohne Ball Weltklasse gewesen sei, herauszuhören ist. Doch auch eine gute Spielübersicht, eine überragende Pass- sowie Schusstechnik und ganz besonders der Blick für den besser positionierten Mitspieler sind die unverzichtbaren Fertigkeiten eines modernen 10ers. Noch aktive und sehr bekannte Spieler auf der Position sind zum Beispiel Mesut Özil (Bild), Wesley Sneijder, Cesc Fabregas, Juan Mata oder Mario Götze.
6er
Im heutigen System dient der 6er, genauso wie der 10er, als Schaltzentrale und sorgt für schnelles Angriffs- und Umschaltspiel. Somit ist er der Vordenker für jeden Angriff und lenkt das Offensivspiel. Er muss aber auch in der Defensive ran und versuchen die gegnerische Mannschaft unter Druck zu setzen und den Ball zu erobern. Dafür sind wie beim 10er eine gute Übersicht, eine gute Passtechnik, sowie Kreativität und Variabilität von Nöten. Letzteres kann bei einem defensiver spielendem Gegner helfen, da so ein weiterer Spieler mit den gleichen Fähigkeiten in der Offensive wirbeln, jedoch andersherum auch als Abräumer das eigene Team gegen einen sehr offensiven Gegner im Spiel halten kann. Auch der 6er kann den Schuss aus der zweiten Reihe wagen, wenn die Möglichkeit gegeben ist. Dafür sind besonders Bastian Schweinsteiger, Ilkay Gündogan , Sergio Busquets und Arturo Vidal (Bild,r.) bekannt.
Innen- und Außenverteidiger
Auch die Verteidiger stecken in der Spielmacher-Rolle. Sie sind verantwortlichen für ein sicheres Aufbauspiel. Wenn das Aufbauspiel nicht sauber gespielt wird, kann der Ball ganz schnell beim Gegner landen und man fängt sich schnell ein Gegentor. Um dies zu verhindern, sollte ein guter Verteidiger über viel Ruhe am Ball, aber auch über eine saubere Passtechnik verfügen. Da der Angriff schon in der Abwehr beginnt zählen die Verteidiger mit den 6ern zu den Vordenkern einer offensiven Aktion. Sie bestimmen auch gegebenenfalls über welche Seite Druck gemacht wird. Darüberhinaus sollte ein stark in das Offensivspiel eingespannter Außenverteidiger gut Flanken schlagen können. Hierzu zählen Spieler wie zum Beispiel David Alaba, Philipp Lahm, Lukasz Piszczek (Bild,l.) und Dani Alves. Dazu kommen noch die typischen Merkmale eines Verteidigers: Größer gewachsen, kräftig gebaut, kopfball-, sowie zweikampfstark. Torgefährlich werden die Verteidiger höchstens bei Standardsituationen, wodurch die Präzision beim Abschluss nicht im Vordergrund steht.
Komplett andere Spielweise
Insgesamt ist am auffälligsten, dass das Spiel mehr auf Pässen als auf Dribblings und Übersteigern aufgebaut ist. Nur durch diese Rollenverteilung auf DIE Spielmacher ist zum Beispiel das vom FC Barcelona vor-, und von vielen anderen Vereinen nachpraktizierte Tiki-Taka-Spiel möglich. Natürlich kann man, besonders in den südamerikanischen Ligen, noch die Ansätze eines früheren Spielmachers erkennen, doch in den europäischen Top-Ligen sind diese wenig bis gar nicht mehr vorhanden. Doch das ist auch gut so, denn so erlebt der Fan schnelles Kombinationsspiel und nicht nur ewig lange Dribblings, die auf Dauer langweilig werden würden.
Danke für´s Lesen. Ich hoffe es ist mir mit diesem Beitrag zur Themenwoche gelungen, euch einen kleinen Einblick in die Anforderungen an einen modernen Spielmacher zu gewähren. Ich würde mich über Kritiken und Bewertungen freuen.
Bildquellen: Spox.com
und selbst 10er mit aussenordentlich hoher partizipation wie zb özil dominieren in diesem kriterium eher, wenn sie sich tiefer oder auf die flügel fallen lassen.
mir wird hier auch die differenzierung aus 10er/falscher 10er nicht klar. sowieso ist dieser zur wm2010 aufgetauchte modebegriff "falscher zehner" eher eine oberflächlich-plakative umschreibung der tatsache, dass ein zehner wie özil oder kagawa damals strategisch bedingt aus kompakter staffelung auf konter lauernd zwischen den verteidigungslinien sehr hoch um den stoßstürmer herum agiert und dazu die laufleistung intensiviert hat...
...also ein kurzes "term-dropping"-phänomen, denn heute zb gilt özil wiederum als klassischer zehner, weil er mittlerweile durch geänderte spielstatik (-anteile seiner teams) mehr partizipation benötigt, um einfluß zu haben, somit seinen aktionradius mit ball sogar erhöht hat, jedoch weder in sachen torgefahr noch robustheit und zweikampfstärke mit den nachbarpositionen 9 und 6 "verwandt" ist.
sowieso sollten notwendigkeiten wie omnipräsente laufleistung, partizipation und ballfertigkeit als normale entwicklung des modernen fussballs nicht dafür herhalten, positionen wie 9 und 10 mit dem attribut "falsch" zu versehen.
grundsätzlich waren für mich die 10er der früheren jahre noch eher die dominante anspielstation als heute. ebenso zeichnete sich der typ 10er meiner auffassung nach NICHT unbedingt als der klassische dribbler aus, sondern vor allem als spielgestalter, wie ein netzer, riquelme, balakov oder rui costa zb. die hatten nicht immer den speed für maradoneske dribblings, gelten aber als geniale 10er im klassischen sinne.
Früher gab es den Regista, den tiefen Spielmacher. Maradona war genaugenommen auch kein Spielmacher, sondern ein Stürmer. Er war einfach so gut, dass er auch den Spielmacher geben konnte und alle kreativen Freiheiten hatte (gleiches kann man über Cruyff sagen).
Özils Spiel ohne Ball war so gut, weil er für andere Räume erzeugte (daher ergänzt er sich gut mit Müller).
Früher war es einfach so, dass man mehr Zeit am Ball hatte und durch regelmäßige Manndeckung konnten die Individualisten natürlich im 1 gegen 1 glänzen oder übers halbe Feld dribbeln. Wobei man Dribbler besonders auf den Außenpositionen findet und Passspieler im Zentrum gefragt sind.
Das Barcaprinzip ist, dass der Spieler mit dem Ball der Spielmacher ist.
Dass aber Spielmacher die meisten Ballkontakte haben ist mir neu. Eher die Innenverteidiger oder defensiven Mittelfeldspieler. Vidal ist auch kein echter 6er, gerade weil Pirlo so tief spielt ist Vidal oft davor. Er ist eher ein agressiver 8er, Typ Neeskens.
PS Matthäus war ja auch kein Spielmachertalent, sondern kam über seine Energie. Zuerst als defensiver Mittelfeldspieler, dann auf der 10, dann als Libero. Eigentlich eher ein Torgefährlicher Box-to-Box Spieler. Ballack war ähnlich.
Und früher waren die Spiele auch nicht auf Übersteigern und Dribblings aufgebaut.
Denn früher war das ja fast wie beim Basketball wie die Teams in der Schlussphase auf ihre 10er gebaut haben.
Da wurde ausschließlich ein Cruyff zum Beispiel gesucht, so wie heute ein Nowitzki wenn die Uhr runter läuft.