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Von: Seb_Blah
21.05.2014 | 5036 Aufrufe | 6 Kommentare | 5 Bewertungen Ø 7.8
Bei einem Wunder gibt es auch Verlierer
Wenn die Alm verstummt
"Wunder" geschehen im Fußball selten, in Bielefeld passieren sie sowieso nicht. Ein Bericht von der Alm

Wenn die Fußballwelt auf Bielefeld schaut, dann muss in allen anderen Fußballmetropolen der Welt der Ball ruhen. Auf der Alm geschieht nur selten etwas Spektakuläres, und wenn überhaupt, dann sind irgendwelche Kantersiege vom FC Bayern oder Energieleistungen des BVB trotzdem interessanter. Bielefeld ist halt nun mal nicht so sexy, die großen Erfolge werden woanders gefeiert.

Doch in den letzten Wochen weht ein anderer Wind in Ostwestfalen, das spürte sogar ich im 600 Kilometer entfernten München. Zwecks eines Praktikums bei Spox zog ich Anfang April nach München. Aber mitfiebern mit meiner Arminia, dass geht immer. Statt wie sonst jedes Wochenende im Stadion zu stehen, musste nun der Fernseher als Ersatz hinhalten. Das Auswärtsspiel der Bielefelder bei 1860 München ließ ich mir natürlich trotzdem nicht entgehen, die 1:2-Niederlage schien aber wie das Aus im Rennen um den Klassenerhalt.

Dann kam der furiose 4:1-Sieg in Bochum, ein mutmachendes 0:0 gegen den FSV Frankfurt und schließlich der Wahnsinn von Dresden. Zwischen Fassungslosigkeit und Freude hüpfte ich vor dem Bildschirm umher, Kacper Przybylkos 3:2 ließ mich spontan zum Jubellauf ansetzen. "Gibt's doch nicht", dachte ich, da gewinnen wir doch tatsächlich mal ein entscheidendes Spiel.

Schon am Abend wurde dann mit der Heimat telefoniert, schließlich mussten die Karten für die Relegationsspiele besorgt werden. Glücklicherweise hatte ich nämlich genau für die Duelle gegen Darmstadt frei bekommen. Was dann am Böllernfalltor passierte, war im Vergleich zum Rückspiel nahezu unspektakulär, mit einem 3:1-Auswärtssieg im Gepäck dürfte doch nichts mehr anbrennen, meinte ein Freund im Zug. Alle stimmten natürlich zu, im Hinterkopf spukt bei DSC-Fans aber seit jeher der Gedanke an das doch noch drohende Aus herum. Sicher sein durfte man sich also noch lange nicht.

Dennoch war die Stimmung gut, als es am Montag auf die Bielefelder Alm ging. Rund eine Stunde vor Spielbeginn finde ich mich mit der üblichen Fan-Gruppe in Block drei ein. So wie seit vier Jahren bei fast jedem Heimspiel. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Die Geschehnisse der kommenden drei Stunden werden wir sicherlich nie mehr vergessen.

Als eingefleischter Arminia-Fan habe ich schon viel erlebt. Wie wir 2002 dank Massimilian Porcello die Tabellenführung eroberte, wie Jonas Kamper per Freistoß-Strahl Oliver Kahn überwand. Aber auch wie wir abstiegen, 2009 aus der Bundesliga, 2011 aus der zweiten Liga, es drohte das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Doch wir kamen wieder, dank Stefan Krämer, der uns neue Hoffnung gab.

Jetzt warteten also die finalen 90 Minuten. Nervös war ich höchstens ein bisschen, Darmstadt sollte erstmal drei Tore auf unsere Alm schießen. Die ausverkaufte Alm machte Stimmung, daran änderte auch Dominik Stroh-Engels 1:0 nichts, vor allem, weil es auch bis zum Pausenpfiff dabei blieb. Arminia spielte nicht gut, aber an den Abstieg dachte man noch nicht.


Dann knipste Hanno Behrens, und der Gedanke an den Abstieg breitete sich langsam im Körper aus, wie ein kalter Schauer lief er so langsam über den Rücken von mir und meinen Mitstreitern. "Auf geht's Arminia! Kämpfen und siegen!", skandierten wir sofort nach dem 0:2, und tatsächlich: Felix Burmeisters Kopfball brachte wieder ein wenig Ruhe auf der Tribüne, in den hinteren Reihen nutzte man den Befreiungsschlag, um sich ein Bier zu holen.

Dennoch weiß ich, ein Tor reicht zur Verlängerung. Dann müssen wir wieder um den Klassenerhalt zittern, zumal Darmstadt nicht den Eindruck erweckt, dass sie jetzt aufstecken. Je länger das Spiel läuft, desto öfte erwische ich mich, wie ich kurz einen Blick auf die Spielzeit erhasche. Knapp zehn Minuten vor Schluss dann der Schock: 3:1! Bei den Großchancen von Marco Sailer und Benjamin Gorka saugt das gesamte Stadion beinahe gleichzeitig Luft ein, unbewusst gehe ich ein bisschen auf der Stelle, um mich zu beruhigen. Jetzt bloß kein 4:1, das wäre der Super-GAU. Hätte ich nur gewusst, was noch alle passieren wird.

Als dann klar ist, dass die Verlängerung beginnt, mobilsieren wir noch einmal aller Reserven, kaum war das Stadion jemals so laut, wie in diesem Moment. Stefan Ortega hält uns im Spiel, aber Darmstadt hat das Momentum auf seiner Seite. Dennoch überstehen wir die erste Halbzeit der Extraschicht ohne Gegentor. Dann steckt Patrick Schönfeld auf Jonas Strifler durch. Ich stelle mich immer weiter auf meine Zehenspitzen, als Kacper Prcybylkos Schuss einschlägt, gibt es kein Halten mehr. Alle liegen sich in den Armen. Fans springen sich in die Arme, jeder hofft auf ein gutes Ende.

Jetzt noch zehn Minuten zittern, dann ist das Drama vorbei. Neben mir beginnt ein Kumpel mithilfe seines Smartphones die letzten Minuten zu kommentieren. Immer wieder rennt Darmstadt an, immer wieder schaffen wir es, den Ball am Tor vorbeizulenken. Jetzt sitzt keiner mehr auf den Rängen neben mir, alle bibbern mit Arminia. Ob gedrückte Daumen, unterbewusstes Haareraufen oder Anfeuerungsrufe: Jeder wartet auf den erlösenden Abpfiff.

Dann kommt Elton da Costa. In allen Fan-Köpfen spukt der gleiche Gedanke herum: Bitte geh' vorbei! Bis heute habe ich mir das Tor nicht in der Wiederholung angesehen. Auf einen Schlag ist die Alm still. Geschockt, durch den Wind, einfach sprachlos! Das unsere letzte Chance am Pfosten landet, ist nicht nur tragisch, es bestätigt die Theorie: Es gibt Wunder in Bielefeld, aber nicht für die Arminia.

Als der Abpfiff ertönt, sind die Darmstädter die einzigen, die man vereinzelt überhaupt hört. Der Rest sitzt steht einfach nur da, ich fühle absolute Leere. Ich und meine Kumpels schauen uns wenn überhaupt nur kurz an, keiner sagt ein Wort. Hier ist niemand wütend auf die elf Kicker auf dem Platz, die Situation ist einfach nur tragisch. Man hat das Gefühl, dass nicht nur die Mannschaft, sondern die ganze Alm gerade abgestiegen ist.

Noch 25 Minuten sitzen wir da, fassunglos, dann erheben wir uns so langsam von den Stufen von Block drei, die immer noch gefühlt sind. Niemand hat so wirklich die Kraft, einfach nach Hause zu gehen. Stumm marschieren wir Richtung Bahnhof, der Tritt gegen eine Bierdose vor dem Stadion ist noch der emotionalste Ausbruch auf dem Heimweg. Ich empfinde keine Wut gegenüber dem SV Darmstadt, die sich den Aufstieg im Rückspiel verdient haben. Elton da Costa trifft den Ball nun mal optimal, in 98 von 100 Fällen wäre das vielleicht nicht passiert, aber was will man machen.

Ich habe ein gelernt, was Wunder im Sport angeht: Es gibt immer einen Verlierer. Jetzt weiß ich, wie sich der FC Malaga nach dem "Wunder von Dortmund" gefühlt haben muss. Dieser Blog ist vielleicht auch ein Stück Frustbewältigung. In der Arminia-Hymne heißt es: "Ob man gewinnt, ob man verliert, ganz egal was auch passiert. Wir sind da und halten immer fest zu dir." Und so werde ich auch im kommenden Jahr ins Stadion gehen.

Unsere Sponsoren haben bereits deutlich gemacht, dass sie das Vertrauen in den Verein wiedergefunden haben. Der Wiederaufstieg soll gelingen, auch wir Fans stehen weiter hinter dem Team. Hat der Fußball-Gott ein Herz, lässt er Bielefeld möglichst schnell wieder aufsteigen, hat er den Hang zum Drama, dann treffen sich beide Vereine im kommenden Jahr in der Relegation wieder. Was auch immer passiert, beim DSC weiß man: Leiden schafft Leidenschaft. Wir kommen wieder! Ganz bestimmt!

KOMMENTARE
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Diavollo
22.05.2014 | 23:52 Uhr
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Diavollo : ich bewerte deinen Blog...
22.05.2014 | 23:52 Uhr
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Diavollo : ich bewerte deinen Blog...
...mal als erstes.
Als gebürtiger Heiner (Darmstädter) gehöre ich natürlich zu denen die vor Freude ausgeflippt sind und auch Tage danach von nichts anderes schwärmen können als von dieses für die Lilien Jahrhundertspiel.
Auch deshalb weil ich überzeugt war, dass Darmstadt nächstes Jahr wieder eher um den Abstieg spielt, egal in welcher Liga.
Wo es Gewinner gibt, gibt es leider auch immer Verlierer und ein Fan wie du beweisst einfach sehr gut, was es bedeutet seinen Verein leidenschaftlich zu lieben. In dem Wort Leidenschaft, steckt das Wort LEIDEN und das ist genau der große Unterschied zwischen Fans eines Traditionsvereines und Eventies. Jedefalls wünsche ich dir, deiner Stadt (auch wenn ich den Mythos, dass es Bielefeld gar nicht gibt witzig finde) und deinem Verein alles Gute in Liga 3. So viel Tradition hat einfach einen höheren Stellenwert verdient.
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Fabsian
23.05.2014 | 04:15 Uhr
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Fabsian : 
23.05.2014 | 04:15 Uhr
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Fabsian : 
Wenn man sagt "De Glubb isch a Debb" dann kann man ergänzen "Die Arminia isch da noch besser"

Vor fünf Jahren noch in Liga eins, nun in Liga drei, jeder Anhänger seines Vereins hat Tiefen erlebt, aber diesen Fall erleben nur wenige, ich kann nur vermuten wie bitter sich dieses 2-4 anfühlt,

ich wünsche Arminia alles Gute und das ihr schnell wieder nach oben kommt.

Warum?

Weil ihr gekämpft habt um Liga zwei und die Region neben dem BVB und Paderborn eine weitere Stütze im Profifussball gebrauchen kann, vom hübschen Stadion mal abgesehen,

Auf gehts Arminia, ein BVBler drückt euch die Daumen
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yummycandy
23.05.2014 | 04:15 Uhr
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yummycandy : 
23.05.2014 | 04:15 Uhr
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yummycandy : 
Oh, das gefällt mir sehr sehr gut. Gerade das Emotionale ist toll. Ich wünsche Dir für dich und deinen Verein alles Gute.

Und Bielefeld gibts gar nicht, aber das wußtest du ja schon.
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Forlan23
23.05.2014 | 08:48 Uhr
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Forlan23 : 
23.05.2014 | 08:48 Uhr
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Forlan23 : 
http://www.spox.com/myspox/blogdetail/Interview-mit-Forlan23,208372,10.html?COMORD=2

einfach mal reinschauen!
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TaiKahar
23.05.2014 | 10:06 Uhr
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TaiKahar : 
23.05.2014 | 10:06 Uhr
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TaiKahar : 
Hat mir sehr gut gefallen und gibt mal einen Blick auf die andere Seite :)
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Bernd_Schmitt
23.05.2014 | 20:34 Uhr
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Bernd_Schmitt : Hm...
23.05.2014 | 20:34 Uhr
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Bernd_Schmitt : Hm...
Ihr seid wirklich sehr freundliche Gastgeber, da können sich einige Vereine (uns eingeschlossen) mehrere Scheiben abschneiden. Die Einladung zur Gästeverpflegung, der Umgang seitens der Polizisten und des Stadionpersonals war sehr angenehm.
Es tut mir leid, dass ein paar Idionen Pyros gezündet haben und nach dem Spiel Bielefelder angepöbelt haben - es gibt halt immer wieder welche, die bei zuviel Alkohol und zuvielen Emotionen außer Kontrolle geraten. (Das Feuerwerk auf dem Fanbus fand ich trotzdem cool - hoffe es hat die Polizisten nicht zu sehr gestresst ;)

Spiel und Fankulisse habe ich natürlich anders wahrgenommen - auch in der Aufzeichnung, liegt wohl daran, dass ich die Aufnahme des HR gezogen habe (die Mikros sind wahrscheinlich anders abgemischt).

Wünsche Euch alles Gute (finanziell und sportlich).


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