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Third and Long - Mailbag zum Draft: Wer wird Rookie des Jahres?

SPOX-Redakteur Adrian Franke beantwortet eure Fragen zum Draft.
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Mailbag: Undrafted Free Agents und Lektionen aus dem Draft

CH for Football, ritratto: Könntest du in einigen Tagen eine kurze Einschätzung der UDFA-Klasse abgeben?

Ich hab mir lange überlegt, wie genau ich das am besten aufziehe, und man muss bei allen Gesprächen über UDFAs (und Late Rounder) im Hinterkopf behalten, dass die meisten dieser Spieler am Ende nicht im Kader stehen werden. Nichtsdestotrotz macht es natürlich Spaß, zu fachsimpeln, welcher Sleeper nicht doch einschlagen könnte!

Ich habe mich dann entschieden, die Undrafted Free Agents aufzulisten, die mir entweder Pre-Draft besonders gut gefallen haben, oder bei denen ich eine halbwegs realistische Chance sehe, dass sie am Ende wirklich eine Rolle spielen könnten:

  • Safety Ar'Darius Washington nach Baltimore: Washington ist Undersized und ich wusste schon vor dem Draft, dass ich ihn verglichen mit der Sichtweise der NFL-Teams zu hoch (Ende Runde 3) auf meinem Board habe. Dass er aber nicht mal in den späteren Runden ausgewählt wurde, hat mich doch überrascht. Ein Safety der mit derart guten Instinkten spielt und permanent in Ballnähe ist, sollte zumindest eine Chance bekommen können. Dass er die jetzt in einer der flexibelsten Defenses der NFL erhält, ist umso besser für ihn.
  • Wide Receiver Cade Johnson und Tamorrion Terry nach Seattle: Die Seahawks hatten so wenige Draft Picks, dass Undrafted Free Agents nochmal eine größere Chance auf einen Kaderplatz haben könnten. Ich mag die beiden Receiver, die sie da geholt haben: Cade Johnson könnte ebenfalls die Jet-Sweep-Rolle übernehmen, die D'Wayne Eskridge auch spielen kann, Terry ist ein Deep Threat und wäre somit ebenfalls ein logischer Fit mit Russell Wilson.
  • Running Back Pooka Williams nach Cincinnati: Das war eines meiner Lieblings-Gadget-Prospect in diesem Draft. Ein reiner Gadget-/Receiving-Back, der nur eine Ergänzung darstellt. Aber in dieser Rolle, als Receiver, im Screen Game, als ein Back, der Yards kreieren kann, mochte ich ihn sportlich sehr. Vielleicht ein Kandidat, um die Gio-Bernard-Rolle zu übernehmen.
  • Wide Receiver Jonathan Adams und Sage Surratt nach Detroit: Die Lions hatten enormen Wide-Receiver-Bedarf - jetzt haben sie zumindest jede Menge Optionen, die sie testen können. Amon-Ra St. Brown ist da für mich fast der sicherste Kandidat, weil man ihn leicht in die Big-Slot-Rolle prognostizieren kann. Tyrell Williams und Breshad Perriman außen sind Durchschnitt, maximal. Mit Adams und Surratt kommen zwei Contested-Catch-Monster als UDFAs dazu, beide waren im College unheimlich dominant am Catch Point. Es ist offensichtlich, dass Detroit Outside Größe und Physis haben will, und angesichts der vielen offenen Fragen in dieser Receiver-Gruppe könnte zumindest einer der beiden am Ende im Team stehen.
  • Linebacker Dylan Moses nach Jacksonville: Moses wäre mit Sicherheit ein Kandidat für die ersten drei bis vier Runden gewesen, aber nach einem Kreuzbandriss 2019 und einer Meniskusverletzung 2020 gab es große medizinische Fragezeichen. Er wird auch in Jacksonville zunächst in der Reha anzutreffen sein, das ist aber eine Verpflichtung, die sich in zwei Jahren auszahlen könnte.
  • Wide Receiver Josh Imatorbhebhe nach Jacksonville: Jump-Ball-Monster, springt irre hoch am Catch Point und hat diese Athletik auch bei seinem Pro Day bestätigt. Davon abgesehen ist er athletisch limitiert, aber zumindest als Red-Zone-Waffe vielleicht eine Option. Dafür müsste er intern vermutlich den ebenfalls gigantisch großen Collin Johnson ausstechen.
  • Guard David Moore nach Carolina: Ich hätte gedacht, dass Moore an Tag 3 ausgewählt wird. Er wird noch Zeit brauchen, aber Moore kann beide Guard-Spots und Center spielen, er bringt eine gewaltige Power mit und bewegt sich dafür gut. Eher ein Kandidat für 2022 vermutlich, aber die Panthers haben in der Interior Line sehr überschaubare Qualität, kurz- und mittelfristig.
  • Wide Receiver Austin Watkins nach San Francisco: Ins Backfield haben die Niners im Draft investiert, Wide Receiver blieb ein wenig auf der Strecke und hinter Deebo Samuel und Brandon Aiyuk beginnt das große Rätselraten. Für einen UDFA wie Austin Watkins könnte das eine spannende Situation sein: athletisch limitiert, aber er ist ein sehr weit fortgeschrittener Route Runner und hat das auch beim Senior Bowl bestätigt. Er hat schon einen guten Release, gewinnt mit Technik. Die Niners haben jede Menge Speedster und physische Spieler, Watkins stellt vielleicht eine interessante Ergänzung dar.
  • Wide Receiver Tre Walker nach Buffalo: Small-School-Prospect mit einem horrend schlechten Pro Day - das lässt einen auch mal aus der siebten Runde fallen. Aber wenn man Walker spielen sieht, muss man sagen, dass das Talent da ist. Er hat Speed, er attackiert den Ball aggressiv, er ist agil und subtil in seinen Routes. Ich würde ihn gerne als Slot-Deep-Threat sehen. In Buffalo sind vier Receiver-Spots fest besetzt (Beasley, Diggs, Davis, Sanders), dahinter ist Spielraum. Und Buffalo spielt mehr 4-Receiver-Sets als fast jedes andere Team.
  • Defensive Tackle Marvin Wilson nach Cleveland: Fiel ähnlich wie Dylan Moses aufgrund von Verletzungen, sah aber außerdem auch 2020 längst nicht so gut aus wie 2019. Athletisch limitiert, aber er hat eine Pass-Rusher-Upside. Die Browns gewannen letztlich ein Wettbieten und zahlen Wilson einen Signing Bonus in Höhe von 30.000 Dollar sowie 162.000 Dollar garantiertes Basisgehalt. Ein aussichtsreicher Kandidat, um in die D-Line-Rotation zu kommen, sofern er fit bleibt.
  • Tight End Cary Angeline nach Arizona: Es ist nicht so sehr, dass ich Angeline höher als der Konsens auf dem Board hatte oder ein großer Fan wäre. Das Thema ist eher, dass Arizona absolut keinen Receiving Tight End im Kader hat. Maxx Williams ist der In-Line-Blocker, die Dan-Arnold-Rolle wurde bisher nicht ausgefüllt. Das gibt Angeline, dessen Stärken ganz klar auf der Receiver-Seite und in seinen Routes liegen, eine realistische Chance, als Undrafted Free Agent am Ende den Kader zu schaffen.

Christoph Hilgert: Was hast du aus diesem Draft gelernt?

Das ist immer eine spannende Thematik, auch nach der Free Agency oder im Rückblick auf die Saison - und natürlich sollte man nicht überreagieren. Manchmal entwickelt sich eine Situation auf eine Art und Weise, die überhaupt nicht vom entsprechenden Team geplant war und es bleibt eine Ausnahme, kein Trend.

Ich versuche mich mal an zwei Themenkomplexen, die mir aufgefallen sind und die man vielleicht ins nächste Jahr mitnehmen kann.

Teams investieren viel in ihre Baustellen

Es gab einige Teams gerade auch im aktuell oberen Drittel der Liga - also potenzielle Contender -, die mit klaren Baustellen in die Offseason gegangen sind; ich fand es bemerkenswert, zu sehen, wie viele Ressourcen diese Teams investiert haben, um ihre entsprechenden Baustellen zu schließen. Und das ist keineswegs negativ gemeint.

Spieler-Bewertungen, insbesondere natürlich im Draft, sind sehr weit davon entfernt, eine "sichere Sache" zu sein. Mehr Ressourcen zu investieren, um die Chance zu erhöhen, dass man seine größte Baustelle in einem ansonsten starken Kader schließt, ist alles andere als eine schlechte Idee. Insbesondere wenn diese Baustelle in einer wertvollen Positionsgruppe liegt. Und das gab es dieses Jahr mehrfach:

Die Offensive Line der Chiefs: Orlando Brown per Trade mit dem Gesamt-Value eines späten Erstrunden-Picks, Joe Thuney für sehr viel Geld, Kyle Long aus dem Ruhestand geholt, Creed Humphrey in der zweiten Runde, Trey Smith an Tag 3: Kein Team hat in dieser Offseason derartige Ressourcen in die Offensive Line gesteckt. Vielleicht ist es eine Überreaktion infolge des Super Bowls, aber die Line, in der außerdem Lucas Niang und Laurent Duvernay-Tardif nach Opt-Out zurückkehren, sollte in jedem Fall deutlich tiefer und besser sein.

Die Wide Receiver der Ravens: Outside Receiver, um genau zu sein. Das war ein sehr konstantes Problem in Baltimore, die Ravens hatten keine Spieler, die Defenses dazu zwangen, das Feld in der Breite zu verteidigen. Das sollte sich jetzt ändern: Nach Sammy Watkins in der Free Agency kamen Rashod Bateman und Tylan Wallace im Draft noch mit dazu. Eine rundum erneuerte Gruppe, die wesentlich mehr Möglichkeiten bietet.

Der Pass-Rush der Bills: Eines der konstanten Probleme der Bills-Saison 2020, die erst im AFC Championship Game endete, war die Tatsache, dass Buffalo nicht konstant genug mit dem 4-Men-Rush zum Quarterback kommen konnte. Es fehlte an Alternativen hinter Jerry Hughes, hier hat Buffalo gleich doppelt angesetzt und den Großteil seines Draft-Kapitals investiert: Gregory Rousseau in Runde 1, Carlos Basham in Runde 2.

Die Linebacker Browns: Zugegeben, etwas gemogelt bei dieser Wahl. Aber Fakt ist, dass die Browns ganz offensichtlich daran arbeiten, eine extrem flexible Defense aufs Feld zu bringen. Wir werden vermutlich ligaweit mit die meisten 3-Safety-Sets von den Browns sehen, und so interpretiere ich auch die Free-Agency-Verpflichtung von John Johnson, zusätzlich zu den bereits vorhandenen Grant Delpit und Ronnie Harrison. In der fünften Runde kam noch Safety Richard LeCounte dazu, und dann fällt natürlich auch Hybrid-Linebacker Jeremiah Owusu-Koramoah in diese Rechnung. Linebacker war eine Problemzone, ich vermute, dass Cleveland eine kreative Lösung im Hinterkopf hat und die in dieser Offseason intensiv adressiert hat.

Die Offensive Line der Chargers: Die zentrale Story rund um Justin Herberts Rookie-Saison war die Tatsache, dass er exzellent gegen Pressure spielte. Dennoch musste es das Ziel des neuen Regimes in L.A. sein, den Druck auf Herbert zu minimieren - und in der Folge werden wir vermutlich vier neue Starter in der Line sehen. Die Free-Agency-Neuzugänge Corey Linsley, Matt Feiler und Oday Aboushi innen sowie Left Tackle und Erstrunden-Pick Rashawn Slater als Rookie-Starter.

Umso auffälliger ist es dann im Umkehrschluss, wenn andere Teams zaghafter vorgehen. Wie die Packers über die letzten Jahre bei den Wide Receivern, oder die Colts dieses Jahr auf Tackle, oder die Steelers in der Offensive Line.

Neue GMs, zurückhaltende Strategie?

Es war schon spannend zu sehen, wer in der ersten Runde des Drafts - trotz vermeintlichem kurz- oder mittelfristigen Need - auf einen Quarterback verzichtete: Die Falcons, die Lions, die Panthers, die Broncos, Washington.

Was haben diese Teams noch gemeinsam? Sie alle haben einen neuen GM. Terry Fontenot in Atlanta, Scott Fitterer in Carolina, George Paton in Denver, Brad Holmes in Detroit, Martin Mayhew in Washington.

Einzig Trent Baalke in Jacksonville mit dem No-Brainer-Nummer-1-Pick, sowie Houstons Nick Caserio wählten in diesem Draft unter den neuen GMs einen Quarterback. Ich halte das für keinen Zufall: All diese GMs sind nicht kurzfristig unter Druck, sie können diese letztlich für jeden GM alles definierende Frage mehr vor sich herschieben - im Gegensatz etwa zum Regime in Chicago, das unbedingt etwas machen musste.

Das macht es wesentlich einfacher, sich erst einmal auf die Umstände zu fokussieren und dann in ein bis zwei Jahren über einen Quarterback nachzudenken. Aus Team- und Value-Sicht mag das nicht der sinnvollste Weg sein, aber als GM müsste man schon extrem von einem Quarterack-Prospect überzeugt sein, damit man dieses mit dem ersten Pick der eigenen Amtszeit auswählt - und sich so natürlich, rein "egoistisch" betrachtet, eine Bürde auflastet. Denn wenn der Top-10-Quarterback floppt ist das Image deutlich eher angekratzt als wenn ein Top-10-Cornerback nicht vollends einschlägt. Und die Quarterback-"Trumpfkarte" behält man noch für ein späteres Jahr in der Hinterhand.

Dafür sahen wir etwas, das in der NFL gerne als "identitätsstiftender" Draft bezeichnet wird. Also ein Draft, der gewissermaßen sportlich das widerspiegelt, wofür der neue Head Coach oder das gesamte neue Regime stehen wollen.

Die Lions mit ihrem Fokus auf Physis und Toughness wären hier klar das Musterbeispiel, die ersten drei Picks gingen allesamt in die Trenches (Penei Sewell, Levi Onwuzurike, Alim McNeill), gefolgt vom großen, schweren Cornerback Ifeatu Melifonwu und einem der physischsten Slot-Receiver im Draft in Amon-Ra St. Brown.

Selbst Teile der UDFA-Klasse (Jonathan Adams, Sage Surratt) passen in diese Richtung.

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