NFL

Die Miami Dolphins tanken - nach dem Vorbild der Cleveland Browns

Die Miami Dolphins richten ihren Blick bereits fest auf 2020.
© getty

Die Miami Dolphins gehen 2019 mit einem in South Beach ganz ungewohnten Ansatz an: Ein drastischer Umbruch wird angestrebt, und der hätte kaum besser beginnen können. Ein klarer Plan ist ersichtlich, und Parallelen zu den Cleveland Browns werden überdeutlich.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Ob es am Ende ein Jahr dauert, oder zwei, oder drei - wir werden es schaffen." Diese Aussage von Dolphins-Besitzer Stephen Ross nach der Entlassung von Coach Adam Gase zum Jahresbeginn hätte bereits alle Alarmglocken klingeln lassen können.

Sicher, Ross ruderte ein wenig zurück, als mit Brian Flores schließlich der neue Head Coach vorgestellt wurde. Vor einigen Wochen adressierte auch Geschäftsführer Chris Grier das Thema nochmals: "Jeder hat damals Steves Wörter aus dem Kontext gerissen. Wer Steve kennt, der weiß, dass er ein sehr kompetitiver Mensch ist. Wir versuchen nicht, Spiele zu verlieren. Wir versuchen, zu tun, was das Beste ist."

Und weiter: "Wir versuchen nicht zu tanken, oder jedes Spiel zu verlieren. Wir versuchen, das hier auf die richtige Art und Weise aufzubauen und dann werden wir sehen, wo es hinführt."

Tanking in der NFL - Was ist eigentlich Tanking?

Vielleicht hilft es in diesem Zusammenhang, einen Schritt zurückzutreten und sich anzuschauen, was genau Tanking in der NFL eigentlich bedeutet. "Wir versuchen nicht, Spiele zu verlieren", wie Grier es so treffend ausdrückte - das ist per se auch richtig.

Tanking bedeutet nicht zwangsläufig, dass man ein möglichst schlechtes Team aufs Feld führt, auch wenn ein Qualitätsabfall unweigerlich eintritt. Denn nur für gute Spieler erhält man wertvolle Draft Picks, nur indem man sich von guten Spielern trennt, schafft man mittelfristig Cap Space. Es geht letztlich darum, sein Kapital auf dem Markt möglichst zu erhöhen, um das Team neu aufzubauen. Und das funktioniert durch Picks - idealerweise Top-100-Picks - und durch Cap Space. Darum geht es beim Tanking.

Genau das hat Miami über die vergangenen Wochen gemacht. Guard Josh Sitton und Receiver Danny Amendola wurden genauso entlassen wie Defensive End Andre Branch. Running Back Frank Gore, Offensive Tackle Ja'Wuan James sowie die Defensive Ends Cam Wake und William Hayes ließ man als Free Agents ziehen. Weitere Free Agents wie etwa Stephone Anthony oder Brock Osweiler werden ebenfalls nicht zurückgeholt.

Und das vorläufige Highlight war der Trade von Ryan Tannehill zu den Titans; der langjährige Dolphins-Starting-Quarterback bringt Miami immerhin noch einen Viertrunden-Pick im 2020er Draft ein.

Dolphins-Tanking: Nach dem Vorbild der Browns

Ein weiterer Trade könnte schon sehr bald folgen, auch Pass-Rusher Robert Quinn soll abgegeben werden. Berichten zufolge wären die Dolphins bereit, Teile seines 2019er Gehalts zu zahlen, um einen vernünftigen Pick im Gegenzug zu erhalten. Wake und Quinn waren letztes Jahr die einzigen beiden Dolphins-Spieler mit über 35 Quarterback-Pressures (54 und 39) und die einzigen mit mehr als drei Sacks (6 und 7). Rechnet man Branch noch dazu, dann verliert Miami wohl drei seiner vier produktivsten Pass-Rusher aus der vergangenen Saison.

All das dürfte Browns-Fans nur allzu vertraut vorkommen. 2016 startete Cleveland unter der Leitung von Sashi Brown seinen radikalen Umbruch. Alex Mack, Tashaun Gipson, Mitchell Schwartz, Travis Benjamin, Paul Kruger und Karlos Dansby wurden in der Free Agency ziehen gelassen, zudem wurden Justin Gilbert (nach Pittsburgh für einen Sechstrunden-Pick), Andy Lee nach Carolina (Viertrunden-Pick) und Barkevious Mingo nach New England (Fünftrunden-Pick) getradet.

Es war die erste Phase des Umbruchs, das bestmögliche Nutzen des eigenen Spielermaterials, vor dem Hintergrund des Eingeständnisses, dass man einen radikalen Neustart benötigt. Was folgte waren Pick-Trades in den beiden nächsten Drafts, um sich neben den Trades und den eingesammelten Compensatory Picks weiteres hohes Draft-Kapital zu sichern.

Die Browns tradeten den Nummer-2-Pick 2016 - aus dem Carson Wentz wurde - an die Eagles, wodurch Cleveland je einen zusätzlichen Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertrunden-Pick über die nächsten beiden Jahre einsammelte. Im gleichen Draft ging Cleveland nochmals von Position 8 runter, um einen zusätzlichen Zweit- und Drittrunden-Pick einzusammeln.

Das Spiel wiederholte sich 2017, als Cleveland seinen Nummer-12-Pick an die Texans abgab (Houston wählte hier Deshaun Watson), und im Gegenzug neben Pick Nummer 25 Houstons Erstrunden-Pick 2018 erhielt. Ultimativ endete der Rebuild, indem sich Cleveland mit erneuerter Offensive Line, einem jungen offensiven Waffenarsenal und einem Nummer-1-Pass-Rusher im Team auf seinen Quarterback festlegte und Baker Mayfield draftete. Gewissermaßen lieferte Cleveland die Blaupause für einen radikalen Rebuild.

Dolphins 2019: Die jungen Spieler testen

Das führt zurück zu der anfänglichen Aussage von Grier und einem Zusatz, den er noch hinzufügte: "Ich sehe keinen Weg, wie man so von 53 Jungs fordern könnte, dass sie ihren Körper aufs Spiel setzen. Wir wollen Jungs die hart spielen und alles geben. Es wäre schwierig, zu sagen, dass man auf der einen Seite das haben will, und auf der anderen Seite dann von diesen Spielern fordert, ein paar Gänge runter zu schalten, damit wir möglichst viele Spiele verlieren."

Das ist der wichtige Unterschied. Ein Team geht nicht in eine Saison, mit dem Ziel, möglichst viele Spiele zu verlieren, wenngleich das in einem Rebuild irgendwann zur logischen Konsequenz wird. Gleichzeitig geht es auch darum, den eigenen Kader vollständig zu evaluieren: Welche der jungen Spieler können langfristig eine Rolle spielen?

Genau so sieht Miamis Kader aus, und das erklärt etwa auch, warum die Dolphins DeVante Parker gehalten haben. Offensiv wie defensiv werden nächstes Jahr voraussichtlich mindestens zehn Spieler starten, die 2016 oder später von den Dolphins gedraftet wurden - die 2019er Draft Klasse noch nicht berücksichtigt.

Langfristige Sicherheit für Brian Flores

Man mag unterschiedlicher Meinung sein, was derart radikale Umbrüche angeht; keine zwei Meinung gibt es aber hinsichtlich des Plans in Miami. Die Team-Insider in South Beach berichten seit Januar, dass darum intern gar kein allzu großes Geheimnis gemacht wird und die eingangs zitierten Äußerungen von Team-Besitzer Ross lassen mit den Geschehnissen der vergangenen Wochen im Hinterkopf ebenfalls kaum einen anderen Schluss zu.

Selbst das vermeintliche Wunschziel soll schon ausgemacht worden sein: Alabamas Quarterback Tua Tagovailoa soll im 2020er Draft höchste Priorität bei Ross genießen. Selbst ESPN-Insider Adam Schefter gibt bereits Hinweise in die Richtung.

Sogar bei der Suche nach einem neuen Head Coach soll der drastische Umbruch ein Thema gewesen und bei den Interviews möglicher Kandidaten zur Sprache gebracht worden sein. Dieser Ansatz könnte auch erklären, warum Flores letztlich einen komplett garantierten Fünfjahresvertrag erhielt - ein ungewöhnlich langer Deal für einen Rookie-Head-Coach, der Flores aber eine gewisse Sicherheit gibt, wenn das Team in der kommenden Saison sportlich einbricht.

Miami tankt - wie geht es weiter?

Für Miami geht es jetzt vor allem darum, weiteres Draft-Kapital zu sammeln. Der kolportierte Quinn-Trade wäre hier die nächste Option, Miami könnte sich zudem abermals an den Browns orientieren. Cleveland schockte die NFL während der Free Agency, als man für den in Houston gescheiterten und dennoch sehr teuren Brock Osweiler tradete. Der Hintergrund? Die Browns schluckten einen Großteil des Cap Hits, wofür Houston einen Zweit- und Sechstrunden-Pick (ein Viertrunden-Pick ging dafür noch an die Texans) bezahlte.

Eine vergleichbare Gelegenheit könnte sich für Miami bieten: Es scheint ein offenes Geheimnis zu sein, dass Alex Smith nach seiner schweren Verletzung 2019 nicht für die Redskins spielen kann. Dennoch steht er mit über 20 Millionen Dollar in den Redskins-Büchern, und eine Entlassung würde Washington noch viel mehr kosten. Was wäre aber, wenn man sich mit den Dolphins auf einen Trade einigen würde?

Washington müsste für 2019 nahezu die gleiche Summe an Dead Cap akzeptieren, die Smith auch kosten würde, wenn er im Kader wäre - aber für 2020 wäre er aus den Büchern. Zum Vergleich: Sollte Washington nach der kommenden Saison zu dem Schluss kommen, dass Smith nicht mehr zurückkommen wird, würde eine Entlassung die Redskins 2020 32,2 Millionen Dollar an Dead Cap kosten.

Fitzpatrick, Ungewissheit - und der richtige Weg

Miami hätte Stand jetzt 2020 bereits zusätzliche Draft Picks in der 3. (James/Compensatory), 4. (Tannehill/Trade) und 5. Runde (Wake/Compensatory) und die Verträge von Tannehill und von Ndamukong Suh sind 2020 endgültig aus den eigenen Büchern verschwunden; Miami könnte nächstes Jahr mit über 100 Millionen Dollar an Cap Space in die Free Agency gehen.

Und natürlich gibt es ein gewisses Maß an Ungewissheit. Kein Team kann prognostizieren, wie die Saison verläuft. Kann Ryan Fitzpatrick eventuell heißlaufen und ein, zwei Spiele zu viel gewinnen? Möglich, doch sollte man nicht vergessen, dass er während des furiosen Starts in Tampa Bay ein um Welten besseres Waffenarsenal um sich herum hatte - und nach zwei Siegen fünf Spiele verlor, ehe schließlich Winston endgültig übernahm.

Genauso wenig weiß irgendwer, wie die College-Saison verläuft und wer hier vielleicht noch abstürzt. Für Miami geht es im Hier und Jetzt aber darum, sich für 2020 und darüber hinaus in eine bestmögliche Position zu bringen. Dann kommt erst der schwierige Part, nämlich das Identifizieren von Top-Spielern im Draft und in der Free Agency, allen voran der Quarterback. Nur dann bringt das Draft-Kapital auch etwas, doch die ersten richtigen Schritte sind getan.

Die Dolphins haben über die vergangenen 17 Saisons zwei Mal die Playoffs erreicht, beide Male setzte es in der Wildcard-Runde Prügel gegen ein AFC-North-Team (9:27 gegen die Ravens 2008, 12:30 in Pittsburgh 2016). Zu lange hat Miami sich mit teuren Verpflichtungen vom unteren ins obere Mittelmaß gekämpft, um dann wieder abzurutschen.

Der jetzt eingeschlagene Weg ist radikal, keine Frage. Die langfristige Aussicht aber ist die eines Plans, um wirklich mal wieder oben anzugreifen, statt auf neun bis zehn Siege und vielleicht einen Auftritt in der Wildcard-Runde zu hoffen.

Artikel und Videos zum Thema