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Tyree Jackson - die größte Quarterback-Wildcard im Draft

Tyree Jackson ist die größte Wildcard im diesjährigen Draft.
© getty

Für die einen ist er das spannendste und interessanteste Quarterback-Projekt im kommenden Draft - andere sehen in dem Hype um ihn einen zentralen Denkfehler in der NFL bei der Quarterback-Bewertung: Tyree Jackson spaltet die Gemüter; und manchmal auch fast die Hände seiner Receiver.

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Steve Smith hat immer noch eine gewisse furchteinflößende Aura. Der ehemalige Wide Receiver ist optisch nicht der physisch eindrucksvollste Spieler aller Zeiten - aber er hat eine Art an sich, mit der er sich Respekt verschafft, ob auf dem Feld oder auch daneben. Manchmal auch ganz und gar nicht subtil.

Wenn Steve Smith also zu einem 21-jährigen Quarterback geht, der gerade inmitten in der stressigsten Zeit seines Lebens ist, und eine Ansage für ihn parat hat, dann kann einen das schon aus dem Konzept bringen - Tyree Jackson kann seit ein paar Wochen von dieser Erfahrung aus erster Hand berichten.

Während des Gauntlet Drills der Wide Receiver - die Draft-Prospects sprinten dabei über das Feld und bekommen je abwechselnd von der linken und rechten Seite Bälle zugeworfen und sollen möglichst viele davon fangen - war Jackson einer der Quarterbacks, die die Bälle zuwerfen. Jackson, selbst als Prospect bei der Combine, feuerte dabei derartige Raketen ab, dass es die Kommentatoren beim NFL Network schnell merkten und während der Übertragung auch darauf hinwiesen.

Es war auch für den Zuschauer offensichtlich: Immer wieder, wenn Receiver bei Jackson ankamen, konnten sie die Pässe nicht kontrollieren. Smith, als Field-Reporter für das Network am Boden im Einsatz, hatte irgendwann genug gesehen. Jackson "koste hier Leute Geld", und jemand müsse "ihm mal den Ball zurückwerfen, dann versteht er die Nachricht", knurrte Smith ins Mikrofon, ehe er sich auf den Weg zu dem jungen Quarterback machte.

Tyree Jackson: Ein Raketenwerfer an der Schulter

Jackson wusste zunächst offensichtlich nicht, wie ihm geschah und nach einem kurzen Lächeln wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu. Der nächste Pass kam dann auch sichtbar langsamer und wurde gefangen, woraufhin er die Faust zum Jubel in die Luft streckte und gemeinsam mit Smith über den Vorfall lachen konnte.

Am Ende also ist es nicht viel mehr als eine kleine Anekdote, von der Jackson irgendwann seinen Freunden erzählen kann, wenn Steve Smith in die Hall of Fame eingeführt wird. Aber es ist auch eine Anekdote, die Jackson als Prospect vor dem kommenden Draft so unheimlich gut auf den Punkt bringt.

In jedem Draft gibt es mindestens einen Quarterback, der den sprichwörtlichen Raketenwerfer an der Schulter trägt - also über eine enorme Armstärke beim Wurf verfügt. Manche dieser Kandidaten erfüllen weitere Checkpunkte, welche Teams bei der Quarterback-Bewertung priorisieren; und schnell katapultiert sie ihr Arm in die Top-10.

Ganz so extrem wird es bei Tyree Jackson nicht sein. Den Arm hat er, um einen Ball unters Stadiondach zu werfen; doch hinter den meisten anderen Checkpunkten steht statt eines Hakens eher ein großes Fragezeichen. Und dennoch gilt er in Expertenkreisen zunehmend als eines der spannendsten Mid-Round-Prospects im diesjährigen Draft.

NFL Draft: Jackson und das physische Potential

Sieht man vom Gauntlet Drill ab, dann hat auch die Combine zu dieser Meinung beigetragen. Jackson lief über 40 Yards die zweitschnellste Zeit aller Quarterbacks, nur Trace McSorley war schneller - McSorley ist rund 18 Zentimeter kleiner sowie 23 Kilogramm leichter. Jacksons 4,59 Sekunden wären mit Abstand die schnellste QB-Zeit im Vorjahr gewesen, zum Vergleich: Bills-Top-Pick Josh Allen brauchte 4,75 Sekunden.

Jackson lieferte zudem den besten Hochsprung unter den Quarterbacks sowie den achtbesten QB-Wert über die letzten fünf Jahre. Sein Weitsprung landete gemeinsam mit Dukes Daniel Jones auf dem geteilten ersten Platz. Kurzum: Jackson legte fantastische athletische Werte auf, während er bei den QB-Passing-Drills mehrere Go-Routes über mehr als 50 Yards anbrachte.

Am besten kann man es wohl so zusammenfassen: In gewisser Weise ist Jackson der Inbegriff des "Tools"-Prospects; ein Spieler, der mit seiner Physis und den Möglichkeiten, die er in der Theorie hat, die Augen von Coaches zum Leuchten bringt.

Tyree Jackson: "Cooler" als Josh Allen?

Als das "coolste Stück Töpferton, das ich jemals in der Hand hatte", hat Quarterback-Coach Jordan Palmer Jackson jüngst gegenüber der Sports Illustrated beschrieben, "und ich habe letztes Jahr Josh Allen trainiert. Ich hatte viele Anfragen, ich habe mich unter anderem für ihn entschieden. Und ich glaube, dass ein Team das auch machen wird - höher, als die Leute denken."

Palmer, Bruder von Ex-NFL-Quarterback Carson Palmer, ist seit Jahren einer der Top-Ansprechpartner, wenn es darum geht, Quarterbacks vor dem Draft zu trainieren. In vergangenen Jahren hat er unter anderem auch mit Sam Darnold und Deshaun Watson zusammengearbeitet, in einer Hinsicht ist Jackson aber unter seinen Schülern wohl einzigartig: Jackson hatte, ehe er sich an Palmer wandte, noch nie ein privates Quarterback-Workout und war auch in lediglich einem Elite 11 Camp vor seinem letzten Jahr an der High School.

"Ich arbeite gerne mit ein oder zwei Prospects, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie wirklich meine Hilfe in den verschiedenen Aspekten des Quarterback-Plays brauchen", führte Palmer weiter aus, "weil sie entweder nicht genug gecoacht wurden oder nicht genug gespielt haben. Tyree hatte noch nie einen privaten Coach und war noch nie Teil eines privaten Quarterback Training Programms, er war in keinem der großen All-Star Spiele. Das sind die Jungs, die meine Hilfe brauchen."

Jackson: Via YouTube-Videos zum Quarterback

Auf Jackson trifft das ohne Frage zu. In der High School bestanden seine individuellen Quarterback-Drills zumeist darin, dass er sich auf YouTube Wurf-Tutorials anschaute, um die dann im heimischen Garten nachzumachen. Und das zum Teil während er den beachtlichen Sprung von 1,75 Meter (9. Klasse) auf zwei Meter Körpergröße (heutige Maße) machte.

Er verfügt über eine ungeheure Armstärke sowie über die Athletik, um auch als Runner eingesetzt zu werden; Jackson ist dabei nicht die Art elektrisierender Spieler wie ein Lamar Jackson oder Kyler Murray, aber er kann mit Power und Physis laufen - der vergleich wäre hier wohl eher Richtung Cam Newton.

All das zeichnet aus der Sicht vieler Coaches in der NFL vor allem ein Bild: Das eines Spielers, der sich seiner Fähigkeiten gerade erst bewusst wird, und vermeintlich erst beginnt, an der Oberfläche seines Potentials zu kratzen; der jetzt erst entsprechend gecoacht wird. Der von Palmer angebrachte "Töpferton" also, oder einfach gesagt: Ein Haufen Potential, von dem mindestens ein Coach überzeugt sein wird, ihn formen zu können.

Jackson und der Josh-Allen-Vergleich

Viele der hier angebrachten Charakteristika würden auch auf Josh Allen zutreffen, der im Vorjahr immerhin ein Top-10-Pick war. Jackson ist in mancher Kategorie die in vielerlei Hinsicht - Accuracy, Spielverständnis, Pocket-Verhalten, Wurfbewegung - noch deutlich rohere Variante von Allen, bei dem genau diese Aspekte vor dem Draft letztes Jahr ebenfalls kritisiert wurden.

Das führt zu der spannenden Frage danach, in welchen Bereichen sich ein Quarterback wirklich noch drastisch verbessern kann, wenn er vom College in die NFL kommt?

Wie sehr kann jahrelang angewöhntes Pocket-Verhalten noch umgepolt werden? Was ist mit der Beinarbeit? Was ist mit Ballgefühl und Touch, um nicht jeden Slant-Pass mit 100 km/h rauszufeuern und so den Zorn von Steve Smith auf sich zu ziehen?

Wann wird Tyree Jackson gedraftet?

Gerade für derart große Quarterbacks kann eine konstante Wurfbewegung eine riesige Herausforderung sein - für einen Spieler mit der Reichweite von Tyree Jackson ist es schlicht deutlich schwieriger, permanent eine kompakte Wurfbewegung durchzuführen, als für Baker Mayfield oder Russell Wilson.

Es ist kein Zufall, dass die fünf Quarterbacks, die bei der Combine seit 2000 auf zwei Meter oder darüber gemessen wurden - Jackson, Ryan Mallett, Mike Glennon, Paxton Lynch und Brock Osweiler - in dem Bereich alle Probleme haben.

Umgekehrt lässt sich anführen, dass keiner dieser anderen Kandidaten auch nur ansatzweise das athletische Potential hatte, das Jackson mitbringt. Und alle waren in ihrer Ausbildung deutlich weiter. An welchem Punkt also wird sich ein Coach sagen, dass er diese Wurfbewegung reparieren kann? Die Gerüchteküche pendelt sich zunehmend Richtung Runde 3 im Draft ein.

Und Jackson selbst? Er ist sich zumindest der Tatsache bewusst, dass er noch einiges aufzuholen hat. "Für mich ist es toll, dass ich noch so viel Raum habe, um zu lernen und mich zu verbessern", betonte er jüngst mit Blick auf seine Arbeit mit Palmer. "Ich will hier unbedingt an meinen Mechanics arbeiten. Man sieht bereits seit Januar Verbesserungen. Ich glaube, dass es für mich nach oben keine Grenzen gibt."

Angesichts seines physischen Potentials ist die NFL erfahrungsgemäß geneigt, dem zuzustimmen.

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