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NBA Above the Break: Der Mythos vom verbotenen Wurf - das ist das größte Missverständnis der NBA

Chris Paul und Devin Booker gehören aktuell zu den besten Midrange-Schützen.
© getty

Wie so oft in den vergangenen Jahren wird in der NBA eine Debatte über die Mitteldistanz geführt, die eigentlich keine ist. Warum der vermeintlich "verbotene" Wurf nichts von seinem Wert verloren hat - insbesondere in den Playoffs.

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Vorhersehbarkeit kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Es kann faszinierend sein, etwa wenn Chris Paul sich die Denver Nuggets zurechtlegt, in einem Angriff nach dem anderen zum Elbow marschiert und es von dort Midranger regnen lässt wie in seiner zweiten Halbzeit von Spiel 4 gegen die Nuggets. Es kann aber auch ein wenig ermüdend sein, blickt man auf den Diskurs zu dieser Partie.

Immer wieder folgen auf solche Spiele auf Social Media, teilweise aber auch während der Übertragungen selbst triumphale Aussagen a la "Und sie wollten die Midrange verbieten!" oder "Er dominiert aus der Mitteldistanz, obwohl die Analytics etwas anderes sagen!" Über die letzten Jahre ist das zu einer Art Evergreen geworden.

Jamal Crawford etwa schrieb auf Twitter während Spiel 4 etwas, das er so oder so ähnlich auch schon zum dominanten Playoff-Run von Kawhi Leonard in Toronto vor zwei Jahren hätte schreiben können, nur als Beispiel: "Seht auch all diese Midrange-Würfe an, die jemandem das Spiel gewinnen. Der gleiche Wurf, von dem sie euch alle überzeugen wollten, dass er schlecht ist."

Wann immer ein Spieler aus der Mitteldistanz dominant auftritt, wird das heutzutage als Triumph der "echten Basketballer" gegen die Nerds stilisiert, die das Spiel kaputtmachen wollen. Dabei geht es häufig um nicht viel mehr als Strohmann-Argumente - "Analytics" sind kein fixer Begriff, einen Stein der NBA-Weisen gibt es nicht.

Und einen Versuch, die Mitteldistanz abzuschaffen oder zu verbieten, den gibt es auch nicht. Es gibt nur ein Missverständnis und damit eine Debatte, die eigentlich niemand führen müsste.

Nichts spricht gegen Midrange-Jumper von Paul oder Leonard

Kein "Nerd", der sich analytisch mit dem Spiel auseinandersetzt, würde einem Paul, oder Leonard, oder Kevin Durant verbieten wollen, aus der Mitteldistanz abzuschließen, ganz unabhängig davon, dass ohnehin niemand diese Autorität besitzt. Alle drei sind sehr effizient darin, ihre Mitteldistanzwürfe sind also mitnichten "schlecht", auch wenn Crawfords Strohmann das denkt.

Sie sind stattdessen überaus Analytics-freundlich - womit sie sich von den meisten anderen Spielern abheben. Für "gewöhnliche" Spieler sind rein rechnerisch Korbleger und Dreier die ertragreichsten Würfe, was naheliegend ist: Am Korb ist die Distanz nicht so groß, von draußen gibt es einen Punkt mehr. Wer 40 Prozent von der Dreierlinie trifft, bringt seinem Team unterm Strich mehr als jemand, der diese Würfe alle einen Schritt innerhalb der Dreierlinie nimmt und mit 42 Prozent trifft.

Das ist eine simple Gleichung, die über die vergangenen Jahre vermehrt Einzug in der Liga gehalten hat und die dazu führte, dass viele Teams diese Abschlüsse bevorzugen. Nicht alle gehen dabei so rigoros vor wie die Houston Rockets unter Daryl Morey, aber die Shotcharts sehen mittlerweile durchaus oft ziemlich ähnlich aus.

NBA: Ein neuer Rahmen wird geschaffen

Das hat jedoch wenig mit Verboten zu tun. Eher geht es darum, den Spielern und insbesondere den Rollenspielern ein Konstrukt an die Hand zu geben, in dem sie bestmöglich erfolgreich sein können. Auch individuell haben viele Spieler davon profitiert, exzellente Distanzschützen wie Joe Harris oder Davis Bertans etwa wurden in den letzten Jahren steinreich, weil ihre größte Stärke - über eine große Stichprobe wie etwa mehrere Saisons - im Durchschnitt einen hohen Mehrwert bringt.

Auch das ist ziemlich simpel: Wer draußen eng verteidigt werden muss, schafft automatisch Platz für den Spieler, der den Ball in der Hand hält und penetrieren will. Wer sich zudem auch noch ohne Ball in der Hand permanent bewegt (wie etwa Duncan Robinson in Miami), beschäftigt die gegnerische Defense umso mehr und taucht folglich auch schnell weit oben auf dem Game-Plan auf, ohne einer der besten Spieler seines Teams zu sein.

Der Wert seiner größten Stärke ist so hoch, dass es zur Priorität wird, diese aus dem Spiel zu nehmen. Womit wir beim Missverständnis wären.

Midrange als Konter gegen Drop Coverage & Co.

Dass Dreier und Layups besonders wertvoll sind, weiß jeder. Also auch Defensiv-Coaches. Jedes Team setzt etwas unterschiedliche Präferenzen, aber die allermeisten Schemes sind darauf ausgelegt, Abschlüsse am Korb zu minimieren und Dreier zumindest nicht offen zuzulassen, vor allem Eckendreier sollen tabu sein. Im besten Fall lässt man ohnehin nur Spieler Dreier werfen, die nicht sonderlich gut darin sind, auch wenn das in der Praxis selten komplett umzusetzen ist. Irgendetwas muss man nur eben zulassen.

Kein Team hat das Personal, über 24 Sekunden wieder und wieder jede Option zuzumachen. Starke Defenses können zwar beispielsweise die ersten und zweiten Optionen verhindern, aber nicht alle. Und wer zum Beispiel die Drop Coverage beim Pick'n'Roll nutzt, um mit dem absinkenden Big Man Abschlüsse am Korb zu verhindern, der macht sich für Würfe aus der Mitteldistanz anfällig.

Gerade in den Playoffs, wenn Teams mehr Zeit haben, um sich defensiv aufeinander einzustellen, sind deswegen Spieler wertvoll, die auch aus dieser Distanz gefährlich sind - wobei "auch" ein entscheidendes Stichwort ist. Jeder zusätzliche Skill und Abschluss hilft, denn es macht die Spieler noch komplizierter auszurechnen.

Wer von draußen, am Korb und dazwischen sicher treffen kann und dazu auch noch gezeigt hat, dass er das Spiel lesen und im richtigen Moment abspielen kann, der wird endgültig zu einem unmöglichen Gegenspieler, wenn das ihn umgebende Personal stimmt (manchmal muss es nicht stimmen, wie Durant gegen die Bucks gezeigt hat). Die Suns sind ein perfektes Beispiel dafür.

Wie Chris Paul und Devin Booker die Suns führen

Viele Faktoren haben zu der starken Postseason der Suns beigetragen, an erster Stelle muss jedoch stehen: Sie haben zwei dieser Spieler, die das Pick'n'Roll meisterhaft lesen, von überall punkten und sich vor allem in diesem Bereich pudelwohl fühlen, den gegnerische Defenses nicht mit Priorität behandeln. Paul gilt schon lange als Midrange-Gott, aber Devin Booker ist dort genauso zuhause.

Über 58 Prozent seiner Abschlüsse hat der Playoff-Debütant laut Cleaning the Glass bisher aus der Mitteldistanz genommen, mehr als jeder andere Wing. 26 Prozent sind es aus der langen Mitteldistanz, hier belegt er ebenfalls Platz 1. Bei Paul sind sogar 78 Prozent der Würfe Mid-Ranger, womit er wiederum die Guards mit einigem Abstand anführt.

Beide lieben es, sich um einen Screen (am liebsten von Deandre Ayton) zu schlängeln, vom Perimeter Richtung Zone zu kommen, das Feld zu sondieren und dann hochzusteigen, gerne vom Elbow. Hier kommen zwei Beispiele von Paul, der gegen die Nuggets wieder und wieder zu seinem Sweet Spot marschierte.

Und hier kommt eines von Bookers sensationellem Spiel 1 gegen die Clippers, in dem Paul fehlte.

In einer Drop Coverage hat Cousins keine Chance gegen Devin Booker.
© nba.com/stats
In einer Drop Coverage hat Cousins keine Chance gegen Devin Booker.

Und hier noch eines: Die Clippers wollen sich nicht wieder von Booker abschießen lassen, also ist der Wurf nicht da - dafür aber ein Eckendreier. Was für ein Luxus, wenn man den besten puren Point Guard seiner Generation durch jemanden ersetzen kann, der im vierten Viertel eines Playoff-Spiels mühelos in dessen Rolle als primärer Playmaker schlüpfen kann!

Devin Booker ist auch deshalb so gut, weil er kein reiner Scorer ist.
© nba.com/stats
Devin Booker ist auch deshalb so gut, weil er kein reiner Scorer ist.

In Bestbesetzung sind die Suns eine bestens geölte Offensiv-Maschine, die sich methodisch ihre Gegner zurechtlegt und zwei solcher Alleskönner durch Shooting (Jae Crowder, Mikal Bridges) und einen unermüdlichen Blocksteller wie Ayton, der ständig Druck auf den Ring ausübt, umgibt. Sie haben gefühlt auf alles eine Antwort.

Phoenix mit Paul und Booker: Immer ein Konter mehr

Derzeit sind sie zwar nicht in Bestbesetzung, aber Paul dürfte zumindest während der Serie zurückkehren. Was elementar wichtig sein wird. Booker hat die Clippers zwar einmal entschlüsselt, diese haben in den Playoffs aber schon mehrfach gezeigt, dass sie gut darin sind, Konter zu entwickeln. Mit Paul haben die Suns mehr Konter, mehr Optionen.

Und darum geht es letzten Endes auch beim Thema Mitteldistanz. Es ist richtig, dass der analytische Strohmann diesen Wurf nicht pauschal lieber nimmt als Dreier oder Layups. Es ist falsch, dass der Strohmann deswegen pauschal gegen diesen Wurf ist. Wer diesen Wurf (und andere) effizient trifft, ist sogar (aus analytischer Perspektive!) besonders wertvoll, gerade in den Playoffs.

Paul trifft in diesen Playoffs 51 Prozent aus der Mitteldistanz, Booker 52 Prozent. Durant traf 54, Leonard steht sogar bei 57 Prozent. Und das ist auch deshalb möglich, weil ihre Teams durch möglichst viel Shooting um sie herum Platz schaffen, in dem sie operieren können.

Die Mitteldistanz ist keineswegs tot. Sie wird jetzt unter anderen Bedingungen genutzt als in früheren Zeiten. Man könnte sogar behaupten, dass diese durch den Analytics-Strohmann optimiert wurden. Nur passt das eben nicht zum Feindbild.

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