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NBA Finals - Duncan Robinson von den Miami Heat: Der lange Weg des Hochstaplers

Erik Spoelstra muss seinen Schützling Duncan Robinson (r.) immer wieder daran erinnern, wie gut er ist.
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Duncan Robinson von den Miami Heat ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher NBA-Spieler. Der Edelschütze muss nämlich immer wieder daran erinnert werden, dass er gewisse Fähigkeiten besser beherrscht als fast jeder andere Mensch auf der Welt.

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From Zero to Hero - die Sportwelt ist prall gefüllt mit solchen Geschichten. Meist erzählen sie einen märchenhaften Aufstieg von Spielern, die die größten Herausforderungen ihres Lebens schon gemeistert haben, bevor sie zu Profisportlern wurden. Das ist auch bei den Miami Heat der Fall: Jimmy Butler war als Teenager zeitweise obdachlos, nachdem seine Mutter ihn verstieß, sein Aufschwung zum NBA-Star ist nichts anderes als ein Wunder.

Es ist aber nicht das einzige Wunder, weder in dieser Serie noch im Team der Heat. Während Butlers Geschichte im Prinzip Hollywood-Format hat wie die von Michael Oher ("The Blind Side"), wirkt die seines Teamkollegen Duncan Robinson deutlich trivialer, teilweise fast lustig. Inspirierend ist sie aber ohne Zweifel ebenfalls.

Robinson ist heute einer der besten Schützen der Welt. Er hat eine Fähigkeit, die ihm bei ordentlicher Fitness locker ein Jahrzehnt in der NBA garantiert. Dabei ist es nur gut drei Jahre her, dass er sich selbst nicht einmal die Profi-Karriere zutraute - und nur gut ein Jahr, dass er sich selbst für einen Hochstapler hielt. Der 26-Jährige gehört zu der seltenen Spezies Sportler, die sich immer wieder selbst unterschätzen.

Duncan Robinson: Nicht gut genug für die NBA?

"Er hatte gerade wieder eine richtig erfolgreiche Summer League mit uns gehabt", blickte Heat-Coach Erik Spoelstra im Gespräch mit ESPN auf den September 2019 zurück. "Er hat im Prinzip all unsere Shooting-Rekorde gebrochen, trotzdem hatte er immer noch Probleme mit seinem Selbstvertrauen und mit der Frage, ob er hierhergehört."

Robinson hatte in der Saison zuvor mit einem Two-Way-Contract mit den Heat gespielt und 15 NBA-Einsätze absolviert, den Großteil seiner Zeit allerdings mit Sioux Falls in der G-League verbracht, wo er eine 48,3-prozentige Dreierquote bei fast zehn Versuchen pro Spiel verzeichnete. Zur Einordnung: Auch wenn man die Quote auf 45 Prozent reduziert, hat das außer Stephen Curry in dessen einstimmiger MVP-Saison 2015/16 noch niemand in der NBA geschafft.

Robinson war natürlich kein Curry, aber er hatte diese eine Weltklasse-Fähigkeit, die es braucht, um in der besten Basketballliga der Welt Fuß zu fassen. Miami gab ihm folgerichtig einen herkömmlichen NBA-Vertrag, trotzdem war Robinson schockiert, als Spoelstra ihm sagte, dass er ihn für 2019/20 als Starter auf dem Zettel hatte. Ihn? Verstand der Coach denn nicht, dass er dafür nicht gut genug war?

Erik Spoelstra ermuntert Duncan Robinson

"Ich habe versucht, ihm aufzuzeigen, wie viele Dinge er als Shooter schon auf einem Weltklasse-Level getan hatte", sagte Spoelstra. "Und dann habe ich ihn gefragt, wie viel mehr er tun müsste, bevor er es selbst glauben würde." Robinson gab in diesem Zuge zu, dass er am Hochstapler-Syndrom leide. Dennoch willigte er in seine neue prominente Rolle ein.

Die Selbstzweifel begleiteten Robinson schon länger. Während seiner letzten College-Saison, als er gemeinsam mit einem gewissen Moritz Wagner das Finale um die NCAA Championship erreichte, kontaktierte er einen Journalisten von The Ringer, weil er selbst davon ausging, in diese Branche zu wechseln, sollte es mit professionellem Basketball nichts werden.

Duncan Robinson: Von Division III ins College-Endspiel

Robinson hatte es zu diesem Zeitpunkt bereits geschafft, von einem kleinen Division III-College zu den großen Jungs, in diesem Fall den Michigan Wolverines, mit einem Vollstipendium zu wechseln. Das war zuvor einigen Quellen zufolge noch nie jemandem gelungen.

In Michigan erzielte er die viertmeisten Dreier in der Geschichte dieses prestigeträchtigen Programms und wurde 2018 zum Sixth Man of the Year der Big Ten Conference gekürt.

Dass all dies für sich genommen schon außergewöhnlich war, registrierte Robinson jedoch nur bedingt - und zwar nicht zum ersten Mal. "Ich war nicht mal ein guter High-School-Spieler", behauptete er noch im Jahr 2020 gegenüber ESPN. Fälschlicherweise: Er hatte die Phillips Exeter-Schule in seinem letzten Jahr als MVP zu einer 28-1-Bilanz geführt. Erneut, zur Einordnung: Das ist gut!

Duncan Robinson wurde nicht gedraftet

Das Ende seiner College-Karriere schien Robinson zunächst dennoch Recht zu geben. Er wurde nicht gedraftet, galt trotz seiner überragenden Wurfqualitäten als zu langsam und zu schmächtig für die NBA. Robinson wollte jedoch für seinen Traum kämpfen, selbst wenn es nicht für die NBA gereicht hätte.

"Ich würde zu 100 Prozent auch sonst spielen, irgendwo in der zweiten Liga Litauens für 1.200 Dollar im Monat", sagte Robinson. "Das wäre ziemlich hart, aber ich bin mir sicher, dass ich es lieben und nicht bereuen würde." Diese Mentalität, die unbedingte Leidenschaft für den Sport, verschaffte ihm wiederum die Chance bei den Heat, als diese 2018 wie so oft nach günstigen, entwicklungsfähigen Projekten fahndeten.

Miami hatte Robinson vor dem 2018er Draft vorspielen lassen und vor allem seinen Wurf für sehr interessant befunden. Die Heat hatten keinen eigenen Pick, da Robinson aber von den anderen Teams nicht berücksichtigt wurde, konnte Miami ihn für die Summer League verpflichten. Dort traf er 63 Prozent seiner Dreier und verdiente sich einen Two-Way-Contract - der Traum lebte.

Duncan Robinson kriegt Ärger, wenn er nicht wirft

Die Arbeit war natürlich noch nicht abgeschlossen. Die Heat-Coaches sagten Robinson klipp und klar, woran er arbeiten musste: Sein Körper brauchte Feintuning, er musste agiler werden, um defensiv zu überleben. Auch vorne durfte es für ihn kein Joggen geben, nur noch Vollsprints.

Die vielleicht wichtigste Ansage wiederum war erneut eine sehr ungewöhnliche. "Wenn es um die Offense geht, schreit er [Spoelstra] mich nur an, wenn ich nicht werfe", erklärte Robinson. Der Head Coach erkannte wesentlich schneller als Robinson selbst, was für eine Waffe dessen Distanzwurf für die Heat sein könnte. Und Robinson? "Verändert hat sich vor allem, dass ich mittlerweile verstehe, dass es mein Job ist, diese Würfe zu nehmen."

Es brauchte Überzeugungsarbeit, die hat sich aber gelohnt. Robinson etablierte sich bei den Heat und hat das, was er zuvor in der G-League lieferte, nun auch in der NBA gezeigt: Seine 19/20er Regular Season war ohne Übertreibungen eine der besten Long-Range-Shooting-Saisons der Geschichte.

Duncan Robinsons Dreierquote pulverisiert Heat-Rekorde

Den Heat-Rekord hat er trotz verkürzter Spielzeit pulverisiert, 44,6 Prozent Dreier bei 8,3 Versuchen pro Spiel hat in der Kombination sonst nur Curry geschafft. Auch in den Playoffs sorgte er beispielsweise mit sieben Dreiern (bei acht Versuchen) in Spiel 1 gegen die Pacers für Glanzpunkte, viermal erzielte er in der Postseason schon mindestens fünf Triples in einer Partie.

Robinson tritt dabei wie eine größere Version von J.J. Redick auf - er ist das ganze Spiel über in Bewegung, verfügt über eine großartige Chemie vor allem mit Bam Adebayo und weiß diesen auch als Passer in Szene zu setzen. Oft nimmt er mehrere Spiele in Folge keinen einzigen Zweier, in Korbnähe fehlt ihm das Durchsetzungsvermögen. Sein Wurf ist jedoch absolut tödlich.

So ist es kein Wunder, dass Miami mit Robinson auf dem Court in dieser Saison ein exzellentes Offensiv-Rating von 113,8 hatte, was den besten Wert aller Rotationsspieler darstellte. Sein Wurf zieht das Feld - wie von Spoelstra vorgesehen - auseinander für die Stars Adebayo und Jimmy Butler, die beide innerhalb der Dreierlinie ihren Schaden anrichten.

DUNCAN ROBINSON (Starting Shooting Guard): Nach 0/3 aus der Distanz im ersten Spiel versuchten die Heat, den Edelschützen schnell ins Rollen zu bringen - ohne Erfolg. 21 Minuten, 2/7 Dreier, Plus/Minus -21. Note: 5.
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DUNCAN ROBINSON (Starting Shooting Guard): Nach 0/3 aus der Distanz im ersten Spiel versuchten die Heat, den Edelschützen schnell ins Rollen zu bringen - ohne Erfolg. 21 Minuten, 2/7 Dreier, Plus/Minus -21. Note: 5.

Die NBA-Statistiken von Duncan Robinson

SpieleMinutenPunkte3FG%3FGA
Reg. Saison 18/191510,73,328,62,3
Reg. Saison 19/207329,713,544,68,3
Playoffs 19/201726,910,538,37,1

Erik Spoelstra: "Wirf den verfickten Ball"

Gleichzeitig ist es auch kein Wunder, dass gegnerische Teams Robinson in den Playoffs weitaus enger bewachen als vorher noch. Er ist ein Barometer der Heat-Offense, oft werden die ersten Plays des Spiels für ihn gelaufen, um ihm einen Rhythmus zu verschaffen, weil das alles andere einfacher macht.

Gerade bei den Lakers scheint Robinson ganz oben auf dem Scouting Report zu stehen. In Spiel 1 standen seine Verteidiger (vor allem Danny Green und Kentavious Caldwell-Pope) so sehr auf seinen Füßen, dass er überhaupt nur drei Würfe abfeuerte (kein Treffer) - eines dieser Spiele, nach denen ihn Spoelstra definitiv anschreit. In Spiel 2 waren es immerhin 2/7, doch die Würfe kamen überhastet, ohne Rhythmus und das nötige Selbstbewusstsein.

In Halbzeit zwei spielte Robinson nur noch 6:39 Minuten, passiv erfüllt er seinen Zweck im Heat-System nicht, zumal er defensiv nach wie vor ein Schwachpunkt ist. "Wirf den verf*ckten Ball", schimpfte Spoelstra während der Partie. In einem Team, das eigentlich vor selbstbewussten Spielern wie Tyler Herro oder Butler strotzt, ist ausgerechnet der beste Schütze einer, der manchmal zögert.

Es schien so, als müsste man Robinson mal wieder daran erinnern, dass sein Weg mitnichten der eines Hochstaplers ist. Im Gegenteil. Er hat sich jede seiner Möglichkeiten hart erarbeitet.

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