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NBA - Pascal Siakam bei den Toronto Raptors: Most Improved Priester

Pascal Siakam gehört zu den meistverbesserten Spielern der jungen Saison.
© getty

Die Toronto Raptors sind nach rund einem Saisonviertel das beste Team der NBA - auch weil ihre Stärke bei weitem über die Superstars Kawhi Leonard und Kyle Lowry hinausgeht. Pascal Siakam ist dabei vielleicht sogar der heißeste Award-Kandidat des Teams. Der Weg, den der Kameruner bis hierhin hingelegt hat, ist schon jetzt mehr als bemerkenswert.

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In der Nacht auf Donnerstag treffen die Raptors auf die Philadelphia 76ers (ab 2 Uhr live auf DAZN).

Blickt man auf den ersten Abschnitt der Saison, gibt es einige gute Kandidaten für den Most Improved Player-Award. Pascal Siakam gehört dabei weit nach oben im Klassement: Der Kameruner hat seinen Punkteschnitt fast genau verdoppelt, und obwohl seine Rolle jetzt viel größer ist, sind auch die Quoten gestiegen.

Bei den Zweiern führt er die NBA momentan sogar an - über 70 Prozent Quote erreichen normalerweise nur reine Dunk-Maschinen wie DeAndre Jordan. Siakam stopft gerne, seine Rolle in der Offense geht jedoch weit darüber hinaus. Erstmals trifft er in diesem Jahr, seinem dritten, auch den Dreier zumindest ansatzweise vielversprechend. Defensiv ist er sogar noch wichtiger. Es ist kaum zu glauben, wie gravierend der Unterschied bei Siakam zwischen Jahr 2 und Jahr 3 ist, obwohl er dieses Two-Way-Potenzial vergangene Saison als Bankspieler bereits andeuten konnte.

Andererseits: Je mehr man über Siakam erfährt, desto weniger verwundert seine Entwicklung innerhalb der NBA-Karriere. Nichts läuft bei ihm nach bekanntem Schema ab - Siakam spielt erst seit etwas mehr als sechs Jahren organisierten Basketball. Und der Quereinstieg erfolgte nicht wie etwa bei Hakeem Olajuwon oder Joel Embiid nach einem Wachstumsschub, der die vorher ausgeübten Sportarten schwieriger machte. Siakam sollte kein Sportler werden, sondern Priester. Richtig gelesen.

Pascal Siakam: Exot in einer Basketball-Familie

Obwohl in Siakams Familie Basketball durchaus großen Stellenwert hat und seine drei älteren Brüder allesamt College-Stipendien in den USA erhielten, hatte sein Vater für Pascal eine andere Vision und meldete diesen im Alter von elf Jahren für ein Priesterseminar an. Dies war zwar nicht dessen Wunsch, aus Respekt für den Vater jedoch zog er die Ausbildung bis zum Abschluss im Jahr 2012 durch. Dass er bloß vier Jahre später in der NBA landen würde, hatte neben großem Talent auch mit riesengroßen Zufällen zu tun.

Über Jahre spielte Siakam zwar in seiner Freizeit gerne Basketball, aber ohne Struktur oder große Ambitionen. "Für jemanden, der nicht spielte, war ich ganz in Ordnung", sagte Siakam später zu ESPN. Aufgrund der Erfolge seiner Brüder wurde er 2011, ein Jahr vor seinem Abschluss, dennoch zu einem Basketball-Camp eingeladen, das vieles verändern sollte.

Siakam auf den Spuren von Joel Embiid und Hakeem

Viele afrikanische Basketball-Spieler haben ähnliche Zufälle erlebt. Die Begabungen von Olajuwon und Embiid wurden beiläufig entdeckt, beide versuchten sich vorher in anderen Sportarten. Siakam versuchte sich in etwas völlig anderem und doch kam er über Umwege an die richtige Person. Genau wie Embiid wurde er beim besagten Camp von Luc Mbah a Moute entdeckt, dem Basketball-Pionier schlechthin in Kamerun.

Obwohl er extrem roh war, imponierte sein Einsatz und seine Athletik genug, um ihm auch für das folgende Jahr wieder eine Einladung zu verschaffen. 2012 spielte Siakam dann bereits so stark auf, dass er gemeinsam mit einigen Camp-Teilnehmern zu einem weiteren Camp eingeladen wurde - Basketball Without Borders. Dort wiederum fiel er erstmals einem gewissen Masai Ujiri auf, der damals noch als General Manager der Denver Nuggets arbeitete.

Nicht, dass dieser sofort überzeugt gewesen wäre. "Als ich ihn dort zum ersten Mal gesehen habe, hätte ich nicht sagen können, ob das ein NBA-Spieler ist", sagte Ujiri später zu ESPN. "So unglaublich ist seine Geschichte. Aber sein Motor war bemerkenswert."

Ausgesperrt von der Beerdigung des Vaters

Der Motor, die Auffassungsgabe, die körperlichen Merkmale und ein ziemlich starker Ehrgeiz beeindruckten nicht nur Ujiri. Obwohl Siakam über kaum Fundamentals verfügte und nicht werfen konnte, verhalfen ihm die Auftritte bei BWB zum nächsten Schritt. Es gab ein Stipendium der God's Academy in Lewisville, Texas, ein Jahr später meldete sich die New Mexico State University mit einem Angebot. Über Umwege hatte Siakam auf einmal doch eine Zukunft im Basketball - obwohl an die NBA noch lange nicht zu denken war.

Beinahe wäre auch aus der NCAA-Karriere nichts geworden. In der 13/14er Saison spielte Siakam nicht, trainierte aber wie ein Berserker. Mitten in der Vorbereitung auf die 14/15er Saison meldete sich dann das Schicksal: Siakams Vater starb in einem Autounfall in Kamerun. Der Sohn wollte natürlich, genau wie seine ebenfalls in den USA lebenden Geschwister, zur Beerdigung reisen. Dies hätte jedoch wohl das Ende seiner Basketball-Träume bedeutet.

So falsch das klingt: Da Siakam gerade dabei war, sich für ein neues Visum in den USA zu bewerben, galt eine Ausreise als zu riskant - er hätte wohl nicht zurückkehren dürfen. "Meine Brüder haben mir gesagt, dass ich nicht kommen sollte. Meine Mutter auch", erinnerte sich Siakam. Er fügte sich, mit einer Bedingung: Von nun an sollte alles dem Basketball untergeordnet werden. Siakam wollte das Beste aus seiner Möglichkeit machen, zu Ehren des Vaters.

Das Wiedersehen mit Masai Ujiri

"Pascal hat seine eigene Entwicklung ernster genommen, nachdem sein Vater gestorben ist", erinnerte sich College-Coach Marvin Menzies. "Er wollte ihn stolz machen." Die Resultate ließen nicht lange auf sich warten. Siakam wurde WAC Freshman of the Year, obwohl er sich laut Eigenaussage nur bedingt an Details dieser Saison erinnern kann - der Schmerz verdrängte alles andere. Er trieb ihn aber auch an: In seinem zweiten Jahr wurde Siakam bereits Player of the Year in seiner Conference.

Es sollte das letzte Jahr am College bleiben. Siakam sah 2016 die Zeit reif, um es mit der NBA zu versuchen, obwohl er nicht überall als sicherer Pick galt. Bei einem Workout in Toronto traf Siakam indes erneut auf seinen alten Bekannten Ujiri, der ihn vier Jahre später kaum wiedererkannte - und auf Raptors-Coach Dwane Casey, der eine ähnliche Beobachtung machte wie Ujiri vor ihm. "Er hat den besten Motor, den ich je gesehen habe", sagte Casey noch immer über ihn.

Siakam war zwar noch immer kein fertiger Basketballspieler - wie auch, nach so kurzer Zeit -, aber sein Potenzial mindestens als Energizer war offenkundig. Die Raptors reagierten: Mit dem Nr.9-Pick wählten sie zwar Jakob Pöltl aus, an Nr.27 wählten sie jedoch Siakam. Schon kurios: Der erste österreichische NBA-Spieler überhaupt war bei weitem nicht der "unwahrscheinlichste" NBA-Spieler, der von nun an für die Raptors auflief.

Toronto Raptors: Grenzenloses Überangebot

Siakam hat diesen ungewöhnlichen Weg auch in der NBA bisher nahtlos fortgesetzt. Im ersten Spiel seiner Karriere durfte er starten, in der zweiten Saison war er eine der zentralen Figuren von Torontos herausragender Bench Unit.

Sein im zweiten Jahr angedeutetes Potenzial hätte ihn eigentlich zur logischen Zugabe in dem Trade machen müssen, der Kawhi Leonard und Danny Green nach Toronto brachte; dass die Spurs als Gegenwert weder O.G. Anunoby noch Siakam verlangten, dürfte ihnen noch lange schlaflose Nächte bereiten. Insbesondere dann, wenn sie auf Siakams Spiel in der dritten Saison blicken.

Was die Raptors defensiv auf dem Flügel aufbieten können, ist fast schon unfair. Als würden Leonard (2x Defensive Player of the Year) und der wiedererstarkte Green nicht reichen - der neue Coach Nick Nurse kann unter anderem auch noch Anunoby, Delon Wright, Norman Powell und eben Siakam aufbieten. Dessen Entwicklung in der Offense ist indes die vielleicht überraschendste positive Entwicklung in Toronto in dieser Saison.

SaisonSpieleMinutenPunkteReboundsFG%
16/175515,64,23,450,2
17/188120,77,34,550,8
18/192529,914,86,463,6

Siakam: Der Schritt zum Shooter fehlt noch

Siakam kann mittlerweile viel mehr mit dem Ball in der Hand anfangen. Sein Touch ist von Jahr zu Jahr besser geworden, sein Spin-Move mittlerweile gefürchtet. In der Restricted Area trifft Siakam alberne 79,7 Prozent (!!) seiner Würfe. Und auch die größte Baustelle wird beständig besser. Siakam hat seine Dreierquote immerhin schon auf 33,3 Prozent gehoben und seine Bewegung optimiert.

"Ich kann es nicht erwarten, an den Punkt zu kommen, wenn ich ein elitärer Shooter bin", sagte Siakam schon im Lauf der letztjährigen Playoffs. "Es wird passieren - bald." Blickt man auf die Quote und das noch recht geringe Volumen (1,8 Dreier pro Spiel), wirkt "elitär" etwas hoch gegriffen. Dass Siakam diesen Punkt jedoch erreichen kann, mag man angesichts seiner Vorgeschichte kaum bezweifeln - und dann stehen ihm endgültig alle Türen offen, auch als potenzieller All-Star.

Mit bald 25 Jahren ist Siakams Potenzial noch nicht ansatzweise ausgereizt, er spielt letztendlich eben erst seit ein paar Jahren. Innerhalb kürzester Zeit wurde er vom Priester in spe zum Leistungsträger eines legitimen Finals-Anwärters. Wer will diesem Typen sagen, dass irgendein Entwicklungsschritt für ihn "nicht realistisch" oder gar unmöglich ist? Man wettet nicht gegen Pascal Siakam.

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