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Gegen den Fluch des Präsidenten

John Wall freute sich nach dem Spiel deutlich über seinen Gamewinner
© getty

Der großartige Dreier von John Wall zum 92:91-Sieg war mehr als nur ein wichtiger Wurf in der Schlussphase eines Spiels. Er sorgt für eine veränderte Wahrnehmung der chronisch schwachen Hauptstadt-Teams und er bringt den Washington Wizards das seit 38 Jahren heiß ersehnte Spiel 7. Das dürfte nach den Eindrücken von Game 6 überragend werden.

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Es wirkt beinahe so, als läge ein Fluch über der US-amerikanischen Hauptstadt. Während im Weißen Haus oder im Kapitol große Weltpolitik gemacht wird, stehen die Sportvereine der Stadt regelmäßig am Rand, wenn es um die großen Trophäen geht. Es scheint so, als träfen sie in den wichtigen Situationen stets die falschen Entscheidungen.

Die Baseballer der Nationals? Schon seit Ur-Zeiten ein einziges Trauerspiel in den Playoffs und noch immer ohne Major-Titel. Das Eishockeyteam der Capitals? Seit mehr als einem Jahrzehnt trotz toller Resultate in der Regular Season das Sinnbild des Scheiterns in der NHL-Endrunde. Die besten Zeiten des NFL-Teams sind auch schon lange vorbei. Seit 1991 standen die Redskins nicht mehr im Super Bowl.

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Die Wizards bilden keine große Ausnahme in der sportlich dürftigen Stadtgeschichte. Wann immer ein entscheidendes Spiel in den Playoffs anstand, versagten die Hauptstädter, ob das noch als Bullets war oder seit 1997 als Wizards. Die Bilanz in derartig ausschließenden Duelle, wie es Game 6 gegen die Celtics darstellte, war im Vorfeld verheerend.

Die jüngste Vergangenheit lieferte dabei den vermeintlich besten Anhaltspunkt. Schließlich dürfte Spielern wie John Wall und Bradley Beal noch bestens im Gedächtnis sein, dass sie schon 2014 sowie 2015 Game 6 im Verizon Center hergaben und so ihre Playoffträume begraben mussten.

Ein Gamewinner gegen den Lauf der Dinge

Dementsprechend schien auch niemand überrascht, als die Wizards in den Schlussminuten mal wieder eines dieser wichtigen Spiele aus der Hand gaben, obwohl sie den Kontrahenten zuvor lange am Rande der Niederlage hatten. Es schien alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Gegen die Celtics, die Gewinner-Franchise schlechthin. Gegen Isaiah Thomas, den Crunchtime-König.

Doch plötzlich änderte John Wall die DNA seiner Franchise.

3,5 Sekunden vor Schluss stieg der Spielmacher zum Dreier hoch. Ein extrem schwieriger Wurf, den die Celtics ihm gerne gaben. Er hätte zum Korb ziehen können, zwei Punkte hätten zum Ausgleich gereicht. Er hätte sich noch ein wenig Zeit lassen können, eventuell einen besser postierten Mitspieler finden können. Doch stattdessen nahm er Distanzwurf über Avery Bradley, den vielleicht besten Guard-Verteidiger der NBA.

Wall wollte eine deutliche Ansage machen und sie gelang ihm eindrucksvoll. Die Kugel rauschte durch die Reuse. Die Entscheidung in diesem Elimination Game, wie die US-Amerikaner die Zitterdisziplin einer ganzen Stadt nennen.

Wall auf den Spuren von Ray Allen

Den letzten Dreier in einem dieser Elemination Games mit weniger als zehn Sekunden auf der Uhr hatte 2013 Ray Allen in Game 6 der NBA Finals verwandelt. Das letzte Game 7, das die Wizards in den Playoffs erlebten, ist noch ein wenig länger her: 1979 gegen die Spurs. Ein Zeitpunkt, zu dem 95 Prozent aller heutiger NBA-Spieler nicht einmal geboren war. Nun steht Washington wieder vor einem.

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Walls Reaktion auf jene Tatsache verriet viel über die Bedeutung dieses Wurfes. Direkt im Anschluss sprang er auf den Anschreibetisch an der Seitenlinie und brüllte seine Freude wild ins Publikum. "Ich wollte die Stadt einfach wissen lassen, dass wir sie für diesen beeindruckenden Support einfach lieben", stellte der spielentscheidende Mann im Anschluss fest.

"Es war ein großer Wurf eines großartigen Spielers", äußerte sich der nach dem Spiel sehr kurz angebundene Brad Stevens. Bostons Coach hatte zuvor alles getan, um jenes siebte Spiel zu verhindern. Immer wieder zeichnete er scheinbar perfekt kreierte Spielzüge in den Auszeiten aufs Board.

Der Schritt über die ewige Schwelle

Zwei von diesen Spielzügen hatten Bradley und Horford in den Schlussminuten jeweils für die Celtics-Führung genutzt. Auf der Gegenseite dominierte dagegen der pure Wille und eine individuelle Klasse, gegen die auch Bostons junger Head Coach wenig tun konnte.

Bradley Beals Aussagen nach dem Spiel unterstrichen diese Tatsache. "Wir wollten unbedingt über diese so wichtige Schwelle treten und nach so langer Zeit einmal die Chance in Spiel 7 bekommen", betonte der Shooting Guard.

Er hatte keinen unwesentlichen Anteil am Sieg und trug Washington auch auf den Schultern, als Wall eine erste Halbzeit ablieferte, die eher an die müde und blutleere Vorstellung von James Harden in Game 6 gegen die Spurs erinnerte.

Aus diesem Grund zählte Wizards-Coach Scott Brooks im Anschluss auch nicht nur Wall auf, als er über die entscheidenden Spieler sprach und meinte: "Ich bin einfach nur glücklich für all unsere Jungs. Was Bradley Beal und Markieff Morris geleistet haben, war auch phänomenal. Bei John beeindruckt mich das Selbstvertrauen. Er hat nicht gut getroffen vorher, aber er schaut nicht auf Statistiken, er ist ein Gewinnertyp."

Ungewohntes Drama in verrückter Serie

Brooks tat gut daran, auch auf die anderen Spieler einzugehen, denn in der hellen Aufregung um Walls Dreier zum Spielgewinn ging beinahe ein wenig unter, dass die Zuschauer zuvor ein großartiges Basketballspiel zu sehen bekommen hatten. Ein Match, das an Dramatik kaum zu überbieten war.

Damit unterschied sich Game 6 auch von allen anderen Spielen der Serie, die zwar insgesamt auf absolut ausgeglichenem Niveau ausgetragen wird, deren einzelnen Duelle aber zumeist sehr deutlich ausgingen. Das knappste Ergebnis bis zu diesem Aufeinandertreffen war Game 2, welches die Celtics "nur" mit zehn Punkten Unterschied gewannen.

Game 6 allerdings war anders. Nie konnte sich ein Team entscheidend absetzen, weil beide Mannschaften den Gegenüber zu Fehlern und schwierigen Würfen zwangen. Es war ein unfassbares intensives Duell, in dem nicht immer offensive Glanzlichter gesetzt wurden, in denen aber der Einsatz einzigartig war, ohne dass sich die Teams unfaire Szenen erlaubten, wie es in den letzten Duellen zumeist der Fall war.

Überragendes Spiel sorgt für Vorfreude auf Game 7

Es war daher auch nur allzu verständlich, dass Stevens sein Team im Anschluss in Schutz nahm und offenbarte: "Es war einfach ein überragendes Basketballspiel zwischen zwei Teams auf sehr hohem Niveau. Natürlich kann man immer etwas besser machen, aber meine Jungs haben großartig gekämpft und viele wichtige Würfe verwandelt. Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen."

Deshalb richtete sich bei den Celtics der Blick nach vorne. In der Tat hätten sie gerade in der Schlussphase nicht vieles besser machen können. Boston erzielte starke neun Punkte in den letzten zwei Minuten, Washington eben einen mehr.

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Game 7 ist die unweigerliche Folge und löst bei den Protagonisten auf beiden Seite Vorfreude aus. "Das sind die Spiele, in denen große Spieler ihren Namen bekommen. Dort werden Legenden geboren. Darauf freuen wir uns", meinte Isaiah Thomas.

Wizards-Coach Brooks pflichtete ihm bei und betonte: "Spiel sieben. Das sind die zwei schönsten Wörter, die man in den Playoffs hören kann." Höchst ungewohnte Wörter in Washington. Musik in den Ohren der erfolgshungrigen Hauptstädter.

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