NBA

Der Typ in deinem Kopf

Von Thorben Rybarczik
Bruce Bowen brachte LeBron James in den Finals 2007 zur Verzweiflung
© getty

Als einer der besten und unangenehmsten Verteidiger aller Zeiten hat Bruce Bowen drei Titel gewonnen und sein eigenes Vermächtnis hinterlassen. Der Weg dorthin war sehr lang, ehe Coach Pop den wahren Wert seines Schülers erkannte. Noch heute haben zahlreiche Stars Albträume, wenn sie an den Kettenhund von damals denken.

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Als Gregg Popovich vor zwei Jahren Kawhi Leonard mit seinem ehemaligen Spieler Bruce Bowen vergleichen sollte, lieferte er folgende Beurteilung ab: "Kawhi ist viel besser. Als Bruce hier ankam, konnte er weder dribbeln, noch passen. Er stand einfach nur in der Ecke und nahm Dreier." Als der besagte Bruce Bowen 2001 zu den San Antonio Spurs stieß, war er bereits 30 Jahre alt. Wie konnte er sich bis dahin in der Liga halten, ohne die offensichtlich wichtigsten Grundlagen des Sports zu beherrschen?

Coach Pop stellte sich diese Frage nicht. Er beurteilt seine Spieler ohnehin nicht nach ihren Defiziten, sondern danach, was sie können - und setzt sie dementsprechend ein. Bruce Bowen kann offensiv nur Dreier aus der Ecke werfen? Dann soll er genau das tun. In der Saison 2002/2003 führte er die Liga bei der Dreierquote an (44,1 Prozent).

Diese zweifelsohne nützliche Eigenschaft war aber fast schon Nebensache. Der Hauptgrund, warum Bowen unter Popovich fünf Saisons hintereinander in allen 82 Spiele startete, lag auf der anderen Seite des Feldes. Der zwei Meter große Guard war bei gegnerischen Stars gefürchtet, er war der beste und unangenehmste Flügelverteidiger seiner Zeit. Würde es ein Basketball-Lexikon geben, in dem der Begriff "Three-and-D" auftaucht, es würde dort zweifelsohne ein Verweis zu Bruce Bowen stehen. Der Weg zu seinem Vermächtnis war allerdings sehr steinig.

Von NBA-Teams ignoriert

"Die Menschen glauben, dass ich aus einer wohlhabenden und funktionierenden Familie komme. Sie glauben das aufgrund meiner Ausdrucksweise und der Art, wie ich mit mir selber und mit anderen umgehe. Aber früher war das nicht meine Realität. Ich denke, die Leute wollen die Realität gar nicht kennen."

Bowens Realität sah so aus: Er wurde 1971 in Merced, Kalifornien in eine Drogenfamilie hineingeboren. Seine Mutter war abhängig von Crack, sein Vater Alkoholiker. Ihr Lebensinhalt war die Sucht, nicht ihr Sohn - der Vater schickte Bruce arbeiten und nahm ihm die Schecks ab, um sich davon Alkohol zu kaufen.

Glück für ihn: er wurde später adoptiert, in Los Angeles fand Bowen ein neues zu Hause. Seine Adoptiveltern hatten bereits leibliche Kinder, doch sie behandelten Bowen wie eines von ihnen. Er hatte endlich eine Familie gefunden. Eines hatte er jedoch von seinem leiblichen Vater mitbekommen: Die Liebe zum orangefarbenen Ball.

"Hallo, hier ist Bill Engel"

Nach seiner High-School-Zeit begann Bowens Karriere in der NCAA einer Legende zu Folge mit einer kleinen Lüge. Demnach soll er einen der Coaches von der Cal State Fullerton University angerufen und sich als Bill Engel ausgegeben haben. Mit verstellter Stimme sagte er: "Hier ist Bill Engel, Coach von der Edinson High School. Ich kenne da diesen Jungen, den ihr euch anschauen müsst. Zwei Meter groß, 90 Kilo, Bruce Bowen heißt er..." In den nächsten vier Jahren lief Bowen in der NCAA für Cal State auf.

Seine Leistungen waren überdurchschnittlich, mehr jedoch nicht. Da er schon damals seinen Fokus auf die Verteidigung legte, flog er unter dem Radar der NBA-Scouts und wurde in der Draft 1993 übergangen. Anstatt lange zu trauern, flog er nach Europa und spielte zwei Jahre in Frankreich bei Le Havre und Evreux. Nach einem kurzen Intermezzo in der amerikanischen CBA hing er noch ein Jahr in Europa dran, ehe er 1996 endlich einen Fuß in die Tür der NBA bekam.

Und Bowen sorgte dafür, dass sich diese Tür für ihn nie wieder schließen würde. Zwar absolvierte er in seiner Debütsaison 1996/97 nur ein einziges Spiel, kam später aber bei den Celtics unter, wo er eine etwas größere Bedeutung erlangte. Sich als Starter etablieren konnte er jedoch nicht, was sich erst 2001 bei den Spurs änderte. Denn Popovich sieht in manchem Rollenspieler bekanntlich viel mehr als andere, unter seiner Führung kam Bowen in acht Saisons niemals von der Bank.

Eine Ära beginnt

"Bruce ist eine Art von Spieler, über die du dich als Coach am meisten freust, weil sie lange dafür kämpfen mussten, um dahin zu kommen, wo sie sind. Sie haben vielleicht nicht das spielerische Talent der anderen, doch sie kennen ihre Schwächen und Stärken und arbeiten mit unglaublichem Durchhaltevermögen an ihrem Spiel. Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr", so Popovich.

Die Arbeitsethik von Bowen war berüchtigt, er behandelte jedes Training wie ein siebtes Spiel in den Finals und hörte erst auf zu verteidigen, wenn der Coach ihn auf die Bank setzte. Auch, wenn es bereits 110:75 für sein Team stand und nur noch eine Minute zu spielen war. Das musste er auch, denn offensiv war die Nummer zwölf der Texaner mehr als eingeschränkt. In seiner produktivsten Saison kam er auf gerade einmal 8,2 Punkte im Schnitt bei 32 Minuten Spielzeit, seine Quoten waren aber akzeptabel - da er sich auf andere Dinge fokussierte und nur 7,4 Mal pro Spiel einen Abschluss wagte.

Bowen, der Kampfsportler

So unauffällig er in der Offensive agierte, so essentiell war er im Defensivkonstrukt der Spurs. Bei seinen Gegnern galt es als Ehre, von ihm verteidigt zu werden - hatte er doch den Ruf, sich immer den Besten vorzuknöpfen. Da wäre zum Beispiel Vince Carter, auf den es Bowen anscheinend besonders abgesehen hatte. Nicht nur einmal verknackste sich Air Canada den Fuß, weil er nach einem Sprungwurf auf den Schuhen von Bowen landete.

Carter war da kein Einzelfall. Auch Allen Iverson oder Carmelo Anthony ereilte dieses Schicksal. Bowen stand mehr als nur im Verdacht, dass er seinen eigenen Fuß so platzierte, dass sein Gegenspieler - wie Carter - auf diesem landete. Abgestritten hat der heutige TV-Analyst diese Taktik nie, fest steht jedoch: War Bowen in der Nähe, überlegte man sich zweimal, bevor abgedrückt wurde. Zum Leidwesen der Trefferquote, zum Erfolg für Bowen.

Berüchtigt ist auch sein Tritt gegen den einstigen Timberwolves-Scharfschützen Wally Szczerbiak, den Bowen nach einem Pump Fake in bester Kung-Fu-Manier mit einem Tritt ins Gesicht niederstreckte. Dafür wurde er von der Liga mir einer Geldstrafe belegt, was in seiner Karriere allerdings eine der wenigen Ausnahmen blieb. Im Gegensatz zu anderen Elite-Verteidigern wie Ron Artest aka The Pandas Friend oder Dennis Rodman bewegte sich Bowen fast ausschließlich innerhalb der Grenze des Erlaubten.

Seine einzige Sperre (ein Spiel) erhielt er nach einem Tritt gegen Chris Paul, wodurch seine Serie von 500 Starts in Folge beendet wurde. Die einzige Szene aber, die Bowen wirklich bereut, ist eine andere. Im März 2006 trat er in einem Gerangel am Boden Ray Allen in den Rücken und wurde dafür mit einer Strafe von 10.000 Dollar belegt. "Diese Aktion bereue ich bis heute, denn ich habe das in dieser Situation mit Absicht getan. Das ist unverzeihlich", erinnert sich der Rüpel später.

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