NBA

Eine Anomalie des Marktes

Ty Lawson hat sich selbst ins Abseits gebracht und in Houston vielleicht seine letzte Chance
© getty

Selten hat ein Spieler so schnell an Ansehen und Wert verloren wie Ty Lawson. Für die Rockets ergab sich dadurch eine große Chance, die sie wahrnehmen mussten - aber auch die Nuggets haben richtig gehandelt. Der Schlüssel liegt natürlich immer noch zwischen den Ohren des Point Guards.

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Das Leben eines General Managers ist kein leichtes. Das gilt insbesondere für die Zeit unmittelbar nach der Saison - erst der Draft, dann die Free Agency. Wie kann ich mein Team verstärken? Wer ist entbehrlich, wer könnte uns weiterbringen? Was ergibt kurzfristig Sinn, könnte aber langfristig schaden? Diese Fragen muss sich ein jeder GM stellen, ob Titelaspirant oder Dauergast in der Lottery.

Zumal ja stets auch die persönliche Komponente einberechnet werden muss. Manchmal würden sich die Herren Daryl Morey und Co. sicherlich wünschen, Basketball wäre pure Mathematik; wer das meiste spielerische Talent ansammelt, hat die besten Chancen. So einfach ist es nur nicht - einfach mal in Portland nachfragen.

Deren "Jail Blazers"-Ära rund um die Jahrtausendwende war nicht etwa deshalb eine Schande, weil es der Mannschaft an Talent gefehlt hätte - nur kombinierten die Kollegen Ruben Patterson, Rasheed Wallace, Qyntel Woods, Bonzi Wells und ihre Spießgesellen eben genug kriminelle Energie und "delinquentes Verhalten" (cc Phil Jackson) für eine mittelmäßig furchteinflößende Straßengang.

Seither ist die Liga vorsichtiger geworden, was sogenannte "Head Cases", also Spieler mit bekannten persönlichen Problemen, angeht. Ty Lawson ist so jemand. Er wurde kürzlich zum zweiten Mal betrunken am Steuer erwischt, seine Vorliebe für Alkohol ist Informationen von Zach Lowe (Grantland) zufolge schon seit seiner Zeit am College bekannt. Nuggets-Präsident Josh Kroenke sagte am Mittwoch, Lawson hätte beim Training regelmäßig nach Alkohol gerochen. Morey ist daher fraglos ein Risiko eingegangen, als er Lawson per Trade aus Denver holte - die Entscheidung war dennoch ein No-Brainer.

Die weltberühmte Pu-Pu-Platter

Blicken wir zunächst auf das Paket, das Houston in Richtung Rocky Mountains schicken musste: Kostas Papanikolaou, Nick Johnson, Pablo Prigioni (mittlerweile entlassen), Joey Dorsey und einen Lottery-geschützten 2016er Firstroundpick.

Das ist gelinde gesagt ein Witz - keinem dieser Spieler war eine feste Rolle in der Rotation zugedacht worden, dazu erhielten sie auch noch einen Zweitrundenpick, der vermutlich nicht so viel weniger Wert haben wird als ein Firstrounder in den hohen 20ern - zumal die Rockets in der zweiten Runde über Jahre sehr erfolgreich drafteten.

Es zeigt auch, wie schnell der Wert von Lawson gesunken ist - kurz vor der Trade Deadline, während der Saison hatten die Nuggets noch zwei Erstrundenpicks aus Boston abgelehnt, wie Lowe erfahren hat. Es hilft eben nicht, wenn ein Spieler sein zweites DUI einsackt und in einem Video auftaucht, in dem er rauchend seinen (nicht passierten) Wechsel nach Sacramento ankündigt.

Wenn - ein zugegebenermaßen großes Wenn - Lawson seine Probleme in den Griff bekommt und sein Entzug Früchte trägt, haben die Rockets für dieses "mickrige" Paket eine neue Dimension für ihre Offense erhalten. Die beinahe totale offensive Abhängigkeit von James Harden könnte durch diesen Trade ihr Ende finden.

Dreier + Freiwürfe + Harden

In der letzten Saison lief bei Houston nahezu jeder Angriff über Harden - es war das Hauptargument all derer, die dem Bart ihre MVP-Stimme geben wollten. Verletzungen spielten eine Rolle, aber auch in voller Mannsstärke fanden sich im Rockets-Kader nicht gerade viele Playmaker. Dementsprechend war das Offensiv-Rating der Rox um stolze 16 Punkte schwächer, wenn Harden auf der Bank saß. Kein Team war abhängiger von einem Spieler als Houston.

Noch während der Playoffs fragte man sich, wie die Rockets ihre Spiele überhaupt gewinnen konnten, so eindimensional wirkte ihr Spiel aus "Dreier + Freiwürfe + Harden" beizeiten. Dennoch waren sie am Ende bloß drei Siege von den Finals entfernt. Es ist vollkommen logisch, dass Morey vor diesem Hintergrund alles versucht, um sein Team in diesem Sommer nochmal einen Tick besser zu machen.

Schließlich hat auch der Rest der Western Conference aufgerüstet und die Rockets werden in der aktuellen Konstellation (um Harden und Dwight Howard) nicht ewig um den Titel mitspielen können. Das Fenster kann jederzeit zufallen, sollte sich Howard wieder verletzen. Dass Lawson auch noch zugestimmt hat, das letzte Jahr seines Vertrages zu einer Team Option zu machen, minimiert das Risiko der Rockets.

Eine neue Dimension für Houston

Lawson, sofern fit und zurechnungsfähig, ist ein besserer Point Guard als Patrick Beverley, auch wenn ihm dessen defensive Galligkeit abgeht. Harden wird weiterhin häufig den De-Facto-Aufbau geben, etwas Entlastung in dieser Hinsicht wird ihm aber keineswegs schaden. Zumal der pfeilschnelle Lawson zu den besseren Drive'n'Kick-Spielern seiner Zunft gehört.

Es könnte eine Option für Coach Kevin McHale sein, Lawson von der Bank zu bringen, damit er die zweite Einheit anführen kann, um seine Playmaking-Skills (9,7 Assists in der letzten Saison) optimal zu nutzen. Er sollte aber auch mit Harden problemlos koexistieren können.

Seine mäßige Dreierquote (34,1 Prozent) dürfte sich ebenfalls steigern, wenn er von besseren Mitspielern als in Denver eingesetzt wird. Dass er besser aus der Distanz werfen kann, hat er vor allem während der ersten vier Jahren seiner Karriere bereits unter Beweis gestellt.

Alles in allem passt er basketballerisch gut zu den Rockets. Mit Lawson auf dem Court wird es für den Gegner schwerer, sich komplett auf Harden zu konzentrieren oder gegen Howard zu doppeln. Seine Schnelligkeit ist auch abseits des Balles eine Waffe, die er in Denver zuletzt kaum noch zeigen konnte.

Eine große Chance für Lawson

All diese Gedankenspiele setzen natürlich voraus, dass Lawson sich wieder in den Griff bekommt. Sein Entzug ist ein wichtiger Schritt, der aufzeigt, dass auch er selbst mittlerweile seine Lage begriffen hat. Houston hat mit John Lucas zudem jemanden zur Verfügung, der ihm beratend zur Seite stehen kann: Der 61-Jährige schaffte während seiner Karriere den Absprung von Kokain.

Seinem Agenten Happy Walters zufolge ist Lawson gut mit Harden befreundet, was ihm zweifellos helfen dürfte. Ebenso wie die Teamstruktur der Rockets mit "positiven" Typen wie Corey Brewer und Jason Terry. Kein Spieler in der Liga hatte einen Tapetenwechsel nötiger als der Point Guard - nicht einmal DeMarcus Cousins. Vielleicht ist Lawson am Ende, gemeinsam mit den Rockets, der große Gewinner dieser ganzen Geschichte.

Neuaufbau um Mudiay

Die Nuggets wiederum hatten sich sicherlich mehr erhofft. Vor dem Hintergrund des vermeintlichen Angebots aus Boston könnte man behaupten, dass sie sich etwas verzockt haben - dennoch war es richtig, die Entscheidung zu treffen. Sie stehen am anderen Ende der Western Conference; bei ihnen steht der Neuaufbau um Nummer-7-Pick Emmanuel Mudiay sowie Center-Dampframme Jusuf Nurkic auf dem Plan.

Durch den Trade Lawsons ist gewährleistet, dass Mudiay jede Menge Spielzeit bekommen wird und "Learning by Doing" betreiben kann. Was den Nuggets vielleicht noch wichtiger ist: Mudiay und die anderen jungen Spieler werden Lawson in dieser schwierigen Phase seines Lebens nicht ausgesetzt sein und unter Umständen schlechte Gewohnheiten annehmen. Wie gesagt: Die NBA ist vorsichtiger geworden, was Head Cases angeht.

Und so ist dieser Trade eine Anomalie des Marktes, die seltene Möglichkeit einer Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Zustandegekommen durch die falschen Entscheidungen eines hochtalentierten Spielers, der seinen Trade-Wert, seine Karriere und sein Leben aktiv sabotiert hat.

Man kann ihm nur wünschen, dass er seine Lektion gelernt hat.

Ty Lawson im Steckbrief

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