Wie einer auszog, eine Marke zu werden

Von Niklas Dahl
Am Draft-Abend blicken die Leute inzwischen nur noch mit einem Auge auf Adam Silver
© getty

Adrian Wojnarowski gehört 2015 zu den wichtigsten Personalien in der NBA-Berichterstattung. Seine Schnelligkeit auf Twitter ist legendär, seine Tweets unlängst mit einem eigenen Hashtag gebrandmarkt und an Draftabenden stiehlt er in schöner Regelmäßigkeit nicht nur den Spielern, sondern auch Adam Silver, die Show. Doch ist im "Kosmos Woj" alles bedingungslos abzunicken? Diesbezüglich ein Kommentar.

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Es ist der späte Abend des 25. Juni 2015, während die versammelten Seelen im Barclays Center, New York, sowie die körperlich über die Erdteile verstreuten, gedanklich aber ebenfalls anwesenden Basketballbegeisterten darauf warten, dass das, was sie zu großem Teil bereits wissen - oder erahnen, zu wissen -, durch Adam Silver bestätigt wird. Auch in Deutschland, wo gefestigtere Gestalten bereits schlafen, während ein Nukleus aus Fanatischen und Verrückten auf den in ihrer Helligkeit herunterskalierten Bildschirm ihres Smartphones, Laptops oder Fernsehers starren.

Auch in Berlin. Dort, wo man noch einen Schritt weiter geht und via Live-Podcast auch deutschsprachig die Talent-Umverteilung kommentiert. Unter ihnen ist Robert Jerzy, leidgeplagter Knicks-Fan, Tage zuvor noch hoffnungsvoll verschiedenste Möglichkeiten sezierend. Aber auch er weiß es schon, hört sich geknickt an, ist enttäuscht.

Ein Mann und eine Raute

Wir alle wissen es. Wissen, wen die Knicks mit ihrem Pick selektieren werden. Weil es einer weiß. Und es der Welt mitteilte, noch bevor Adam Silver jene Aufgabe erledigt. Dieser eine, in Bristol geborene Journalist. Der, dessen Tweets in einem eigenen Kosmos existieren, gebrandmarkt mittels einer eigenen Raute. Der, dem alle folgen, den viele retweeten - obschon letzteres einigermaßen redundant ist - und der letztlich über den Dingen zu schweben scheint. Der, den man Adrian Wojnarowski nennt.

Im Hinduismus gibt es das Konzept der Trimurti, den "drei Formen". Vereinigung der kosmischen Funktionen der Erschaffung, Erhaltung und Zerstörung; Symbol des Ursprungs aller göttlichen Wirkungen in einer Einheit. Meint Wikipedia. Vielleicht ist es ein weiterer gewollt philosophisch-intelligenter Versuch, Basketball mit anderen Dingen zu erklären.

Und doch: Versucht man, die Bedeutung von "Woj" auf die NBA und deren themenspezifischen Journalismus zu erahnen und verbalisieren, dann trifft es obiges hinduistische Konzept doch relativ treffend. Glaube ich zumindest. Denn Woj ist ebenfalls zu gleichen Teilen Erschaffer, Erhalter und Zerstörer. Ob auf der Ebene der Karriere eines NBA Spielers oder auf der Ebene, die unseren Basketball-Konsum und dessen Wandel meint.

Karrieren werden erschaffen

Adrian Wojnarowski erschafft Karrieren, kündigt sie in 140 Zeichen an, gebärt sie, um im religiösen Kontext zu bleiben. Er erhält sie, dann, wenn die Zeit der Free Agency gekommen und gepeinigte Fanseelen auf eine wie auch immer geartete Meldung warten. Und er beendet sie, verkündet Karriereenden.

Gleichwohl ist Woj jedoch auch Erschaffer einer neuen Art des Journalismus im Basketball, einer der Neuigkeiten mit einer mal mehr, mal weniger offensichtlichen Agenda mischt. Dadurch nicht nur Neuigkeiten vermeldet, sondern aktiv schafft und beeinflusst. Die bevorteilt, die ihn füttern, die abstraft, die nicht in diesen Vitaminaustausch einsteigen wollen.Einer, der sich durch seinen Stil in Detailfragen so fundamental von seinem Gegenüber in seiner Heimatstadt Bristol, ESPN-Reporter Marc Stein, unterscheidet. Ein Frank Underwood in einer Herde voller Steffen Seiberts. Ein Macher, kein Vermelder.

Das Urbedürfnis wird gestillt

Und doch erhält und befriedigt er durch diesen Stil, durch diese "Fuck you" Mentalität gegenüber der Konkurrenz - auch gegenüber der am Draftabend mit offizieller Lizenz zum Senden - unser Urbedürfnis nach Neuigkeiten. In einer Zeit der Abhängigkeit durch Social Medien, hervorgerufen durch neurowissenschaftliche Vorgänge, die den steten Blick gen eigene Timeline mit chemischen Verbindungen belohnt, ist er unser Fixer.

Wir folgen ihm, weil wir ihm folgen wollen. Wir fallen auf seine Imitatoren rein, weil wir wollen. Wir aktualisieren hektisch seine Timeline, weil wir wollen. Wollen den Adrenalinrausch und Euphorieschub spüren und finden es insgeheim ziemlich geil, dass sich einer in einer Business-Punkrock-Art mit den Mächtigen anlegt. Dem es egal ist, ob er Adam Silver zu einem Nebendarsteller degradiert, schließlich ist dessen Darstellung nicht sein Problem.

Umgang bleibt schwierig

Allein, durch diese Einstellung zerstört er in Teilen das Reine, das Unparteiische in der Berichterstattung. Neuigkeiten vermelden und mit persönlicher Meinung vermischen - bei Bloggern geschenkt. Bei Professionellen schwierig. Denn nicht immer ist die persönliche Agenda so leicht zu entdecken, damit man die Meldung in Relation setzen kann. Homer-Attitüde gepaart mit Konservatismus, bei über einer Million Followern auf Twitter kann das gefährlich werden. Zumal eben jene Berichterstattung, wie bereits geschrieben, auch auf die eigene Bevorteilung zielt.

Und so bleibt der eigene Umgang mit der Person Wojnarowski schwierig. Anders als ein Bill Simmons lassen sich die Artikel nicht in Relation setzen. Wo der eine eine offensichtliche pro-Boston gefärbte Schreibe zelebriert die nicht die größte Medienkompetenz erfordert, ist es beim anderen elementar, dass man zwischen den Zeilen lesen kann. Wer dazu nicht imstande ist, wird leicht für den eigenen "Kampf" gegen die unkooperativen Widersacher gewonnen. Bis jene unter der medialen Strahlweite einknicken und sich in das Heer von Quellen einsortieren (müssen).

Objektivität geht flöten

Zurück sieht sich der gemeine Basketballfan in einem schwebeartigen Zustand gefangen. Ein Zustand, in dem man nicht recht weiß, ob man das alles von Woj nun konsequent abfeiern kann und will, oder ob es einem auf die Nerven geht. Ob man auf der einen Seite jemanden supporten will, dem das konkurrierende Establishment gehörig egal ist; auf der anderen Seite aber eben auch jemanden sieht, dem der eigene Vorteil nie vollends egal sein kann und wird. Ob man es nun geil finden soll, wenn einer in bester Spoiler-Manier ESPN ihre geplante Inszenierung abreißt, dafür aber auch nie ganz objektive Berichterstattung serviert bekommt.

Silver wird die Show gestohlen

Ich glaube, mir persönlich bereitet es mittlerweile mehr Freude daran zu denken, wie Silver im Nachgang verbittert hinnehmen muss, wie ihm über mehrere Stunden die Show gestohlen wurde. Wie es jemand schafft, ihn mittels Einsen und Nullen die Show zu stehlen. Wenn ich dadurch hinnehmen muss, dass jener Übertragungs-Saboteur in seinen Kolumnen eine eigene Agenda verfolgt, dann bitte.

Immer noch besser als eine elegische Abhandlung von Fachtermini Marke Stein. "Antikapitalistischer Kapitalismus" Marke St. Pauli, Punk im Nadelstreifen-Anzug ist größer als nur der Nadelstreifen-Anzug. Eben immer noch Punk. Und ein bisschen Punk war noch nie verkehrt.

Die Teams der NBA in der Übersicht