Doppel-Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl im Interview: "Dalera ist verschmust wie ein Hund"

Jessica von Bredow-Werndl und Dalera sind das neue Dressur-Traumpaar.
© getty

Gold mit der Mannschaft, Gold im Einzel! Jessica von Bredow-Werndl ist schon jetzt einer der Stars der Olympischen Spiele von Tokio. Im Interview mit SPOX spricht Deutschlands neue Dressur-Königin über ihre besondere Verbindung zu Dalera und erklärt, was ihr Pferd so einzigartig macht.

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Außerdem verrät "JBW", warum sie schon kurz davor war, das Reiten aufzugeben und was ihr bei der Siegerehrung durch den Kopf ging.

Frau von Bredow-Werndl, herzlichen Glückwunsch zu zweimal Gold in Tokio! Bei der Siegerehrung hat man gesehen, wie Sie den Kopf geschüttelt haben. Haben Sie einen Tag später realisiert, was Sie erreicht haben?

Jessica von Bredow-Werndl: (lacht) Ich schüttele immer noch den Kopf. Ich habe es ein bisschen besser realisiert, aber es fühlt sich immer noch verrückt an. Als ich auf dem Podium stand, sind wie im Zeitraffer die letzten 20 Jahre vor meinen Augen abgelaufen. Plötzlich habe ich die ganzen Niederlagen und Enttäuschungen nochmal gesehen, aber auch die vielen Zwischenziele, die ich erreicht habe und die mich dann über Wasser gehalten und mich weiter an meinen Traum haben glauben lassen.

Ihre Karriere hat einen längeren Anlauf gebraucht, Sie sind nicht wie Phönix aus der Asche nach oben geschossen.

Von Bredow-Werndl: Das stimmt. Meine Karriere ist nicht immer geradlinig verlaufen, es ging nicht immer bergauf. Ich muss zugeben, dass ich zwischenzeitlich Phasen hatte, in denen ich sogar überlegt habe, den Leistungssport Reiten aufzugeben. Ich hatte eine extreme Durststrecke von fünf, sechs Jahren, da habe ich auch nicht mehr wirklich daran geglaubt, dass ich es schaffen kann.

Dabei waren Sie als Juniorin unglaublich erfolgreich. Was ist dann passiert?

Von Bredow-Werndl: Ich war wahnsinnig erfolgsverwöhnt, habe aber dann den Anschluss zum Grand-Prix-Sport mit den damaligen Pferden nicht geschafft. Von Anfang bis Mitte 20 war ich mir sehr unsicher, wie es weitergehen soll. In dieser Zeit hat es mir sehr geholfen, dass mein Bruder Benjamin und ich alles immer gemeinsam gemacht haben. Wir haben beide den Anschluss nicht geschafft, aber so konnten wir auch gemeinsam durch die zähen Jahre gehen, zusammen durchhalten und sind dann wieder nach oben gekommen. Und wir haben in dieser Zeit wirklich das Ausbilden von Pferden gelernt, das war auch ein Schlüssel.

Und jetzt stehen Sie als Doppel-Olympiasiegerin da.

Von Bredow-Werndl: Dass es so ausgeht bei meinen ersten Olympischen Spielen ist wirklich abgefahren. Auch weil wir durch die ganze Coronasituation und die Verschiebung der Spiele mit so viel Ungewissheit leben mussten. Man wusste ja nie genau, wie es jetzt weitergeht. Dann am Tag X voll da zu sein, ist einfach wahnsinnig schön. Nicht, dass ich es geschafft habe. Dass wir es geschafft haben. Dalera wollte es mindestens so sehr wie ich. Ich habe gemerkt, wie ihre Antennen so unglaublich auf Funkmodus waren. Sie hat auf die kleinsten und feinsten Hilfen reagiert. Das war ein fantastisches Gefühl.

JBW und Dalera: "Uns verbindet eine bedingungslose Liebe"

Sie sprechen Dalera an. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie hier ein ganz besonderes Pferd haben?

Von Bredow-Werndl: 2018 bei der Vorbereitung auf die WM war schon der Moment, als ich spürte, dass es etwas ganz Besonderes ist mit uns. Und 2019 bei der EM-Bronzemedaille in der Grand Prix Kür wusste ich: Für uns ist alles möglich. Jetzt haben wir es bewiesen.

Sie haben gesagt, dass Dalera einen Charakter aus Gold hat. Die Harmonie zwischen Ihnen beiden ist einzigartig. Was passt so gut zusammen?

Von Bredow-Werndl: Wir haben einfach eine ganz extreme innige Verbindung zueinander, die auf gegenseitiger Liebe und Respekt beruht. Uns geht beiden das Herz auf, wenn wir zusammen sind. Dalera ist verschmust wie ein Hund. Die treueste Seele, die man sich nur vorstellen kann. Dazu ist sie unglaublich gechillt. Noch am Abreiteplatz und wenn ich dann leicht antrabe, ist sie total tiefenentspannt. Aber sobald sie merkt, dass es losgeht, hat sie so eine Lust darauf, gemeinsam mit mir zu performen. Und sie genießt es. Ich habe bei der Siegerehrung richtig gespürt, wie glücklich sie die Anerkennung macht. Wie sie es genossen hat, vorneweg zu galoppieren und gefeiert und beklatscht zu werden. Ich sage ihr jeden Tag, dass ich sie liebe. Aber vollkommen unabhängig davon, welche Resultate wir erzielen. Uns verbindet eine bedingungslose Liebe.

Jessica von Bredow-Werndl mit ihrem Mann Max im Moment des Triumphs.
© imago images
Jessica von Bredow-Werndl mit ihrem Mann Max im Moment des Triumphs.

Sie waren in Tokio schon vor dem großen Einzel-Finale zweimal die Tagesbeste. Es lief alles in Ihre Richtung. Haben Sie Druck gespürt?

Von Bredow-Werndl: Nein. In den Grand Prix bin ich ganz unbeschwert hineingegangen und habe mir gesagt: All-in. Ich wollte gleich mal eine Visitenkarte abgeben und das ist mir mit einer richtig genialen Runde auch gelungen. Damit konnte ich das erste Ausrufezeichen setzen, das war natürlich wichtig. Der Grand Prix Special war dann sogar der entspannteste Tag in Tokio, weil meine beiden Teamkolleginnen so überragend vorgelegt hatten, dass ich nur 72 Prozent erzielen musste, um Gold klarzumachen. Und nachdem ich mit Dalera lange nicht mehr unter 80 Prozent geblieben bin, konnte ich befreit reiten. Wie angespannt ich im Einzel war, habe ich auch erst so richtig gespürt, als ich das Ergebnis von Isabell gesehen habe. Da war mir klar, dass ich Gold hole, wenn die restlichen Reiter nichts Außerirdisches mehr leisten. Da war ich dann komplett überwältigt und die Gefühle sind nur so aus mir rausgeschossen. Plötzlich ist alles von mir abgefallen.

JBW: "Als kleines Mädchen saß ich vor dem Fernseher und habe sie bewundert"

Isabell Werth war immer eines Ihrer großen Vorbilder. Wie speziell macht es den Sieg, dass Sie gemeinsam mit Ihr auf dem Podium standen?

Von Bredow-Werndl: Was Isabell in Ihrer Karriere erreicht hat, ist unglaublich und ihre Erfolge über diesen langen Zeitraum sind enorm bewundernswert. Ich gehe meinen Weg. Aber ich erinnere mich so gut, wie ich als kleines Mädchen zu jeder Tages- und Nachtzeit vor dem Fernseher saß und meine Vorbilder bei Olympischen Spielen bewundert habe. Isabell, aber auch Nicole Uphoff oder Monica Theodorescu. Es war mein Traum, ihnen nachzueifern und eines Tages selbst auf dem Treppchen zu stehen. Und jetzt stand ich da, neben einem meiner Vorbilder von früher, und bekomme die Goldmedaille. Es war ein erhebendes Gefühl, das kaum in Worte zu fassen ist. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich das alles erleben darf.

Und es kann ja noch viel mehr kommen.

Von Bredow-Werndl: Ich hatte jetzt zum ersten Mal den Gedanken, dass ich eigentlich aufhören müsste. Besser wird es nicht mehr. (lacht) Nein, Spaß beiseite, ich will natürlich weitermachen. Ich habe in Tokio alle drei Prüfungen gewonnen, im Moment bin ich die Nummer eins der Welt. Das bestätigt mich, dass ich mit meiner Art und Weise, wie ich mit meinen Pferden, mit diesen wundervollen Geschöpfen, Partnerschaften aufbaue, auf dem richtigen Weg bin. Das ist mir am Wichtigsten.

Sie waren mit der Mannschaft in einer eigenen Bubble. Haben Sie überhaupt ein richtiges Olympia-Gefühl entwickeln können?

Von Bredow-Werndl: Ja, schon. Ich habe heute wieder die An- und Abreise-Klamotten des deutschen Teams angezogen, alleine da und wenn man andere deutsche Sportler zum Beispiel am Flughafen trifft, entsteht sofort ein krasses Wir-Gefühl. Jeder ist stolz, sein Land beim größten Sportereignis der Welt zu vertreten, das spürt man ganz enorm. Ich hoffe, dass ich in Paris 2024 die Spiele auch unter normalen Umstände in ihrer ganzen Faszination erleben kann, dann kann ich auch einen Vergleich ziehen, aber auch so ist der Spirit und das olympische Flair auf jeden Fall voll bei mir angekommen.

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