Isner - Mahut, das längste Tennismatch aller Zeiten: Eine Liebeserklärung in 11 Stunden

Von Florian Regelmann
John Isner, Nicolas Mahut, Wimbledon
© Getty

Am Montag ist endlich wieder Wimbledon-Time! Zeit für einen Rückblick: John Isner vs. Nicolas Mahut. Ein an 23 gesetzter US-Aufschlagriese gegen einen französischen Qualifikanten. Schauplatz: Court 18. Die Tennis-Welt erwartete am 22. Juni 2010 in Wimbledon eine normale Erstrundenbegegnung und bekam das unfassbarste Match aller Zeiten. Allein der fünfte Satz dauerte länger, als das zuvor längste Match der Geschichte. Es wird nie mehr getoppt werden - so viel steht fest. SPOX-Redakteur Florian Regelmann hat sich das ganze Drama noch einmal reingezogen - die vollen elf Stunden und fünf Minuten...

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Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2010 veröffentlicht.

12.35 Uhr: So, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich habe soeben die erste DVD, die ich mir extra habe zuschicken lassen, in den DVD-Player eingeschoben. Ich habe es absichtlich niemandem erzählt, damit mich nicht irgendein Blödmann noch von meinem Plan abhalten will. John Isner vs. Nicolas Mahut, die vollen 11 Stunden und 5 Minuten. Ich mach das jetzt. Und wehe, es stört mich jemand dabei.

12.39 Uhr: Erstes Ass von Isner, was für eine Überraschung. 1:1. Stimmung wie in der Bezirksliga. Noch ahnt natürlich niemand, was hier auf uns zukommt. Nur noch 11 Stunden und 3 Minuten. Was mache ich hier eigentlich? Vielleicht ein bisschen früh für erste Zweifel...

13.10 Uhr: Mal eben ausgerechnet: In 11 Stunden und 5 Minuten könnte ich 111 Mal meine tägliche U-Bahn-Fahrt zur Arbeit machen. Isner hat den ersten Satz übrigens gerade 6:4 gewonnen. Völlig unspektakulär. Besonders fesselnd ist das Ganze wirklich nicht.

13.40 Uhr: In lächerlichen 29 Minuten gewinnt Mahut den zweiten Satz 6:3. Gleich im ersten Spiel holt er sich das Break. Wenn er gewusst hätte, dass ein Break gegen Isner einem Weltwunder gleichkommt, hätte er sicher noch mehr darüber gefreut. Was auch überragend ist: Mahut wäre hier gar nicht auf dem Platz, wenn er in der Quali nicht zuerst den unvergleichlichen Alex Bogdanovic mit 24:22 im dritten Satz niedergerungen und dann auch noch Ösi-Rasengott und Federer-Buddy Stefan Koubek nach 0:2-Satzrückstand besiegt hätte.

14.07 Uhr: Mist, kurz abgelenkt und schon ein Ass von Isner verpasst. Na ja, kommen ja noch 106. Die Ränge füllen sich immer mehr, schon zu diesem Zeitpunkt ein qualitativ hochklassiges Match. Good Tennis!

14.30 Uhr: Mahut gewinnt Satz drei in einem lässigen Tiebreak-Krimi (9:7) mit einem unfassbaren Rückhand-Return-Winner. Leck mich am A***, schlagen die Jungs auf. Nur noch 9 Stunden liegen vor uns. So, jetzt mal schnell die Pause nutzen und ein bisschen durch die Kanäle schalten. Nicht, dass die Welt in der Zwischenzeit unter geht. Auf n-tv berichtet ein seltsamer Mann in seltsamer roter Jacke über das Schneechaos in Deutschland, auf N24 werden Bäume abgesägt, ich scheine nichts zu verpassen. Auf RTL schreit irgendeine Jogginghose seine Frau an, weil er an der Vaterschaft seiner Tochter Celine zweifelt. Alles wie immer. Back to Tennis.

15.38 Uhr: Mahut schnuppert bei 4:3/30:0 und 5:3/30:30 am Matchgewinn, liegt im Tiebreak sogar mit einem Mini-Break vorne (3:1), bekommt dann aber die Dementjewaritis. Sprich: Er serviert einen Doppelfehler nach dem anderen. Isner holt sich den Tiebreak mit sechs Punkten in Folge. Das Match wird wegen Dunkelheit abgebrochen, aber wie wir alle wissen, war das nur die Vorspeise. Der ausgiebige Hauptgang kommt jetzt.

16.15 Uhr: Die Jungs hatten eine Nacht Pause, wir sind am 23. Juni angekommen, die Sonne strahlt über Wimbledon, weiter geht's. Und wie es weitergeht... Fifteen-love, thirty-love, fourty-love, Game Isner. So schnell kann Djokovic nicht bei einem Aufschlag die Bälle auftippen, wie der Isner sein Service durchbringt. Beide sind Lichtjahre von einem Break entfernt. Isner hat die größere, rohe Power, Mahut dafür den besseren Touch. 6:6 im fünften Satz - bei den US Open würden wir jetzt in den Tiebreak gehen. Auf dem Krimi-Kanal hat Siska übrigens gerade seinen Fall gelöst. Sauber, Siska!

16.50 Uhr: Mahut schenkt Isner beim Stand von 9:10 mit zwei Doppelfehlern in Folge einen Matchball, aber natürlich packt der Franzose dann das Ass aus. Isner lässt sich davon aber nicht beeindrucken und legt wieder vor. 11:10. Jetzt mal ehrlich: Wenn man an die Aufschläge von Isner rankommen will, müsste man sich eine halbe Stunde vorher auf die Reise zum Return machen. Die kann kein Mensch erreichen.

17.33 Uhr: Nach dem Isner-Mahut-Match soll auf Court 18 übrigens noch ein Doppel stattfinden. Daniel Nestor/Nenad Zimonjic vs. Jonathan Marray/Jamie Murray. Und die Jungs warten in der Players Lounge auf ihren Einsatz. Da können sie noch lange warten. Packt eure Sachen! Steht inzwischen 17:17. Gibt nicht allzu viele spektakuläre Ballwechsel, aber das Match lebt eben von der Dramatik, dass zu diesem Zeitpunkt niemand weiß, ob es in zwei Minuten zu Ende ist oder noch Stunden dauert.

18.27 Uhr: Episch ist gar kein Ausdruck. Wenn man sich das Match mit ein bisschen Abstand anschaut, wird die Leistung der beiden nur noch beeindruckender. Wie frustrierend das auch alles ist. Gerade für Mahut. Jedes Mal, wenn er sich durch Weltklasse-Schläge mal beim Isner-Aufschlag ein paar Punkte erkämpft und zu hoffen beginnt, dass etwas gehen könnte (Einstand bei 23:23), haut ihm Isner den nächsten Karacho-Aufschlag um die Ohren. Jeder, der schon mal Tennis gespielt hat, weiß: das nervt! Umso faszinierender, wie Mahut gefühlte acht Millionen Mal gegen den Matchverlust serviert und mental so tough bleibt. Bei 23:24 wäre es fast vorbei gewesen.

19.07 Uhr: Es läuft wieder eine Phase der vor sich hin plätschernden Dramatik. Ziemlich skurrile Situation. Es ist auf der einen Seite so unglaublich spannend, aber auf der anderen Seite aber auch fast schon ermüdend, weil man sowieso keinem das Break zutraut. Weil beide logischerweise auch immer müder werden. Zwischendurch reicht die Kraft aber noch für absolute Hammerschläge. 30:30.

19.20 Uhr: Die erste Toilettenpause meinerseits muss her, ich erwäge kurz, die Pause-Taste zu drücken, aber wir wollen es mal nicht übertreiben. Ist eh gerade Seitenwechsel.

19.28 Uhr: 32:33, 15:40, zwei Matchbälle Isner! Aber Mahut spielt es dann einfach zu gut, kann man dem US-Boy nicht mal etwas vorwerfen. An dieser Stelle auch Respekt vor dem schwedischen Stuhlschiedsrichter Mohamed Lahyani. Eine bemerkenswerte Performance seinerseits. So bequem sind Schiri-Stühle jetzt auch nicht.

20.38 Uhr: Recherche vertreibt Zeit. Was ist während dieses Tennis-Matches nicht alles passiert? Also: 159.552 Babys wurden weltweit geboren. In den USA wurden 185 Millionen Tassen Kaffee getrunken. Die Erde hat sich in ihrer Umlaufbahn 1,2 Millionen Kilometer fortbewegt. Und wir alle haben 16.525 Mal geblinzelt. Steht inzwischen 46:45 Isner. Der Riese bewegt sich nur noch in Zeitlupe, schlägt zwischendurch Luftlöcher, hält aber seinen Aufschlag trotzdem immer schön weiter.

21.48 Uhr: Beim Stand von 50:50 hat Mahut zwei Breakbälle. Es sind seine ersten im fünften Satz, hat er nur schlappe 100 Spiele für gebraucht... Nutzen kann er sie selbstredend nicht. Mittlerweile steht es 52:52 und ich wäre froh, wenn es bald vorbei ist. Gerade aus Verzweiflung ein paar Leute bei Facebook genervt.

22.14 Uhr: Müdigkeit führt zu katastrophalen Fehlentscheidungen. Ungünstig ist es, wenn man mal das Dachfenster über einem aufmachen und die Winterlandschaft beobachten will. Sollte man nicht machen. Dann müsste man auch nicht die Sauerei wegmachen, die durch die Schnee-Lawine entstanden ist, die einem entgegen gekracht kam. Ach ja, Game Mahut. Nach 0:30. Isner würde ausflippen, wenn er die Kraft dazu hätte. 54:54. Unbeschreiblich, was die noch für Schläge hinzaubern. Es wird schon wieder dunkel...

22.38 Uhr: Isner hat den nächsten Matchball, aber was soll schon passieren? Richtig, Ass Mahut. Nummer 95. Der Franzose holt sich das Spiel. 59 Games All. Der nächste Abbruch wegen Dunkelheit. Beide sind stehend k.o., haben nichts mehr im Tank, aber fighten und schmeißen sich wie Helden über den Platz. Großes Kino. Ganz großes Kino.

23.48 Uhr: IT IS OVER! Isner holt sich mit einem genialen Vorhand-Passierball seinen fünften Matchball und dann ist es soweit... Mahuts Halb-Volley ist eine Einladung für Isners Rückhand-Longline-Passierball! Game, Set and Match Isner! Nach 11 Stunden und 5 Minuten! Es ist einer dieser Momente, bei denen man es sich wünschen würde, live dabei zu sein. Puh, das muss jetzt aber auch reichen. Isner vs. Mahut im Re-Live - für alle, die sich fragen, warum das sein musste: Es war eine Liebeserklärung an den Tennissport.

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