MotoGP-Experte Sandro Cortese im Interview: "Marquez interessieren Rossis Aussagen nicht"

Von DAZN/SPOX
Marc Marquez steht bei sieben Weltmeister-Titeln.
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Die MotoGP-Saison ist in vollem Gange und geht an diesem Wochenende in Texas, Austin in das dritte Rennwochenende (alle Sessions live auf DAZN). Sandro Cortese kennt sich in dem Zirkus bestens aus und ist seit dieser Saison DAZN-Experte.

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Im Interview mit DAZN und SPOX sprach er über den Machtkampf zwischen Marc Marquez und Valentino Rossi, das deutsche Nachwuchsproblem und die Faszination Motorrad-Rennsport.

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Herr Cortese, die Saison 2019 ist gleich mit einem spektakulären Rennen in Katar gestartet. Andrea Dovizioso und Marc Marquez lieferten einen verbitterten Kampf, mit mehrfachen Führungswechseln in der Schlussrunde und auch die Positionen drei bis sechs waren in Schlagdistanz. Können wir eine der spannendsten Saisons aller Zeiten erwarten?

Sandro Cortese: Es war sehr, sehr spannend. Nicht nur die MotoGP, sondern alle drei Klassen. Bis auf die Start-/Ziellinie hat man nicht gewusst, wer gewinnt jetzt wirklich das Rennen. Bei der MotoGP gab es ja einen Fünf- oder Sechskampf bis zum Schluss. Für die Fans ist das natürlich extrem schön, dass auch andere Marken wie Suzuki dabei sind, die sehr stark im Rennen dabei waren. Oder Valentino Rossi, der von Platz 14 aus Fünfter wird. Die aussagekräftigen Strecken jedoch kommen erst.

Gibt es inzwischen mehr talentierte Fahrer oder sind sich die Bikes ähnlicher als im Vorjahr?

Cortese: Das Level wird definitiv von Jahr zu Jahr höher. Es kommen junge Fahrer nach, die extrem viel Talent haben. Aber die Werke wie Suzuki, Yamaha und auch Ducati haben auch extrem auf die Honda von letztem Jahr aufgeschlossen.

Und wer ist für Sie der heißeste Kandidat auf den Weltmeister-Titel?

Cortese: Marc Marquez, der nach seiner Schulter-OP jetzt langsam auch wieder zu 100 Prozent fit ist. Und dann natürlich ein Andrea Dovizioso, der extrem stark sein wird dieses Jahr. Die Ducati-Jungs haben über den Winter einen sehr guten Job gemacht und das Motorrad stark verbessert. Wen ich auch sehr stark einschätze, ist ein Alex Rins. Über die Saison hinweg werden dann noch Maverick Vinales und Rossi Kandidaten sein, die für Top-Platzierungen sorgen werden.

"In der Motorrad-Szene ist man Fan vom Fahrer, nicht von den Teams"

Im Jahr 2010 waren Sie Teamkollege von Marc Marquez. Sein Fahrstil wird als sehr angriffslustig beschrieben. Ist er der aggressivste Fahrer im Feld?

Cortese: Richtig, es war das Jahr, als er seinen ersten WM-Titel eingefahren hat. So wie er die Honda ans Limit bringt, schafft das kein anderer Fahrer über die gesamte Rennsaison. Er kämpft in 19 Rennen gefühlt 19 Mal um einen Sieg oder mindestens um das Podium. Er ist auf jeden Fall der aggressivste Fahrer. Man sieht es heute noch, dass er immer versucht, das Motorad über dem Limit zu fahren. Er stürzt ja eigentlich immer gleich über das Vorderrad oder er fängt das Motorrad gerade noch ab.

Wenn man sich die Studien aus Rossis erstem Weltmeisterjahr und dem ersten Titel von Marquez anschaut, sieht man deutlich, dass Rossi in den Kurven aufrecht fuhr. Marquez hingegen hängt tief in der Kurve und das tun inzwischen eigentlich alle. Wie kam es zu dieser spektakulären Entwicklung?

Cortese: Das hat viel mit der Technologie der Motorräder zu tun. Auch die Reifen haben sich weiterentwickelt. Früher hätte man gar nicht fahren können wie heute. Das hat die Technik und das Grip-Verhalten gar nicht hergegeben. Da war der Fahrstil noch ein bisschen runder und sanfter. Jetzt ist alles deutlich aggressiver.

Bei Marquez und Rossi scheiden sich die Geister. Die beiden Kontrahenten lieferten sich auf und neben der Strecke schon Gefechte für die Ewigkeit. Wie bewerten Sie diesen Kampf der Generationen?

Cortese: Nach Malaysia 2015, wo sich beide wirklich komplett zerstritten hatten, war das im letzten Jahr natürlich die Spitze des Eisbergs. Marquez sieht das aber nicht mehr so eng, wie es ein Rossi tut. Marquez interessiert das mittlerweile nicht mehr, was Rossi für Aussagen trifft. Das war in der Vergangenheit sein Idol. Nach den ganzen Titeln, die er eigefahren hat, ist er mittlerweile aber sehr selbstbewusst. Er weiß, dass er ihm ebenbürtig ist, wenn nicht sogar besser.

Marc Marquez ließ dem Verfolgerfeld in Argentinien keine Chance.
© getty
Marc Marquez ließ dem Verfolgerfeld in Argentinien keine Chance.

Wie wichtig ist Valentino Rossi für diesen Sport?

Cortese: Extrem. Sollte er in zwei Jahren aufhören, kommt da ein großes Loch. Viele Leute schauen nur wegen ihm und müssen sich nach seiner Karriere vielleicht erstmal ein bisschen umorientieren. Man verfolgt ja immer sein Idol und seinen Fahrer. Da ist es vielleicht nicht so wie im Automobilsport, wo man sagt, 'ich bin Ferrari-, Red-Bull- oder McLaren-Fan'. Wenn dort ein anderer Fahrer in das Auto steigt, ist das egal. Aber in der Motorrad-Szene ist man von dem jeweiligen Fahrer Fan. Natürlich hat ein Marc Marquez diese Position so ein bisschen übernommen, durch die ganzen Titel, die er schon eingefahren hat. Aber von der ganzen Popularität her, denke ich, kommt niemand an Rossi ran.

Wird man trotzdem eines Tages über Marquez sagen, dass er der größte Rennfahrer war, den wir je gesehen haben?

Cortese: Wenn er so weiter macht, dann ist er auf besten Wege, ihm ebenbürtig zu werden. Ihm fehlen noch zwei Titel für die neun, die Rossi hat. Und dann hat er immer noch Zeit, den zehnten zu holen. Aber natürlich muss er da gesund bleiben und auch das Glück muss mitspielen, wie es bei Rossi der Fall war. Der ist über Jahrzehnte von großen Verletzungen verschont geblieben. Ich denke, beide Fahrer werden für immer in Erinnerung bleiben.

Cortese: "Nicht mit Fußball oder Tennis zu vergleichen"

Sie mussten sich in Ihrer Karriere immer wieder von Stürzen und Verletzungen zurückkämpfen. Teilweise fliegen die Fahrer mit über 200 km/h ab. Sind Motorrad-Rennfahrer verrückt?

Cortese: Das würde ich so nicht behaupten. Wir machen unsere Arbeit bewusst und wissen natürlich, welches Risiko wir eingehen. Wir wissen aber auch, wie gut wir geschützt sind. Mittlerweile sind die Vorkehrungen an den Rennstrecken sehr hoch. Wir haben Ärzte vor Ort. Es ist immer ein Krankenhaus an der Rennstrecke. Falls was passieren sollte, sind wir also in guten Händen. Aber natürlich ist das jetzt nicht mit einem zu vergleichen, der auf dem Tennis-Platz steht oder einem, der Fußball spielt. Das Adrenalin, die Geschwindigkeit ... Ich denke, gerade deshalb lieben wir diesen Sport so sehr.

Das Adrenalin, die Geschwindigkeit. Was macht für Sie der Motorrad-Rennsport außerdem aus?

Cortese: Man geht immer ans Limit. Man muss immer am gleichen Punkt bremsen und gleich in die Kurve reinfahren. Wenn man sich mit 250 km/h um eine Sekunde verschätzt, dann ist das schon extrem viel, da man mit 250 km/h in einer Sekunde sehr viele Meter macht. Darum muss man wirklich sehr präzise arbeiten. Diese Präzision macht für mich den Sport einfach aus. Viele sagen, 'Man steigt da aufs Motorrad und fährt da ein bisschen im Kreis herum'. Aber wenn man sich mal ein bisschen damit auseinandersetzt, weiß man, was das mittlerweile auch für ein athletischer Sport geworden ist.

Deutscher Nachwuchs? "Nicht nachhaltig gearbeitet"

Mit Marcel Schrötter, Lukas Tulovic und Philipp Öttl gibt es mittlerweile nur noch drei deutsche Fahrer im MotoGP-Zirkus. Alle fahren in der Moto2. Warum hat der deutsche Nachwuchs so große Probleme?

Cortese: Das ist für mich sehr tragisch und schade. Als ich 1999 angefangen habe, Pocket-Bike zu fahren, da waren in jeder Klasse über 30 Starter. Leider ging die Nachwuchsförderung über die Jahre komplett in die falsche Richtung. Man hat falsche Nachwuchsserien aufgezogen, die teilweise überteuert waren und nicht für die Jugend gearbeitet, sondern mehr für die Verbände und den Veranstalter. Meiner Meinung nach hat man hier nicht nachhaltig gearbeitet, so wie es in Italien und Spanien der Fall war. Da hat man sich wirklich auf die ganz Kleinen konzentriert. Man muss die Jungs da mit acht, neun Jahren heranführen. Wenn man einem jungen Kerl mit 15 Jahren das Motorradfahren beinbringen will, dann ist der Zug schon abgefahren. Das ist wie in jeder anderen Sportart. Leider kommt nach den Dreien, die jetzt in der Moto2 vertreten sind, keiner mehr.

Ein Mangel an Fahrern. Ein Mangel an Erfolgen. Ein Mangel an Sponsoren. Ist das ein Teufelskreis?

Cortese: Es war schon schwierig, als Stefan Bradl 2011 Weltmeister wurde und ich dann ein Jahr danach. Aber da ging es noch einigermaßen aufwärts mit einer hohen Aufmerksamkeit über drei, vier Jahre. Aber wenn dann wirklich kein Nachwuchs kommt dann ist es auch sehr schwierig, den Jungs den Druck wegzunehmen. Bei den Spaniern sind in einer Klasse teilweise schon zehn Fahrer und dann fallen Pech und Schlechtleistungen nicht ganz so auf. Da kann sich auch ein junger Fahrer im Schatten von den Top-Jungs entwickeln und der Druck ist nicht ganz so groß.

MotoGP: WM-Stand nach zwei Rennen

RangFahrerPunkteSiegePodien
1M. Marquez4512
2A. Dovizioso4112
3V. Rossi3101
4D. Petrucci2400
5D. Petrucci2000
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