PDC-Boss Barry Hearn im Interview: "Mein Herzinfarkt wäre ein guter Pay-per-View gewesen"

Barry Hearn mit Phil "The Power" Taylor.
© getty

Am Freitag startet im Londoner Ally Pally die Darts-WM 2020 (alle Sessions live auf DAZN). Der Macher des Darts-Erfolgs ist Barry Hearn, einer der einflussreichsten Sport-Promoter der Welt. Im Interview mit SPOX spricht der PDC-Boss über seine legendäre Karriere, die in einer der ärmsten Gegenden Londons begann.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Außerdem erzählt der 71-Jährige seine Lieblingsgeschichte mit Darts-Legende Phil Taylor und erklärt, wie er den Darts-Boom in Deutschland erlebt.

Barry, Sie sind in Dagenham geboren und aufgewachsen, einem unscheinbaren kleinen Ort etwas außerhalb von London. Wie war Ihre Jugend?

Barry Hearn: Ich bin in einer wirklich sehr armen Gegend groß geworden. Mein Vater war Busfahrer, meine Mutter hat geputzt. Als mein Vater früh starb, ging es für mich früh darum, Geld zu verdienen. Egal wie. Ich musste Kohle ranschaffen, um zu überleben. Also habe ich jeden Job angenommen, der sich mir geboten hat. Ich habe in einer Gärtnerei gearbeitet, ich habe mit 13 schon Autos gewaschen oder als Babysitter gejobbt. Diese Zeit hat mich bis heute sehr geprägt.

Inwiefern?

Hearn: Ich bin als Mensch unglaublich dominiert davon, erfolgreich zu sein. Das hat sich seit meiner Jugend kein bisschen verändert. Bevor alle anderen Menschen anfangen zu arbeiten, bin ich schon im Büro. Und am Abend höre ich erst auf, wenn alle anderen schon längst wieder zu Hause sind. Diese Einstellung hatte ich schon immer. Ich will einfach erfolgreich sein, ich will gewinnen. Aber das macht mich nicht zu einem schlechten Menschen. Mein Fokus war immer darauf gerichtet, meine Familie zu versorgen. Über die Jahre haben wir es alle zusammen geschafft, die größte Sport-Promotion-Firma der Welt aufzubauen. Das hätte ich alleine niemals erreichen können. Ich habe das große Glück, Angestellte zu haben, die genauso leidenschaftlich sind und die genauso wenig auf die Uhr schauen wie ich.

Ihre Firma Matchroom wurde 1982 gegründet, wie würden Sie den Weg dahin beschreiben?

Hearn: Der Weg war steinig. Im Alter zwischen 18 und 21 habe ich eigentlich kein soziales Leben geführt. Ich war an der Uni und habe unglaublich hart gebüffelt, weil ich wusste, dass ich es mir finanziell nicht erlauben kann, durch irgendwelche Prüfungen zu rasseln. Ich habe dann zuerst als Buchhalter gearbeitet, ich habe einen Abstecher in das Mode-Business gemacht, aber der entscheidende Moment kam, als ich Snooker-Hallen kaufte.

Barry Hearn mit seinem Sohn Eddie und Schwergewichts-Weltmeister Anthony Joshua.
© getty
Barry Hearn mit seinem Sohn Eddie und Schwergewichts-Weltmeister Anthony Joshua.

Barry Hearn und die verpasste Geburt von Eddie: "Ich habe unser Baby vor 20 Minuten bekommen, du Bastard!"

Warum haben Sie das denn gemacht?

Hearn: Ich dachte, es wäre ein gutes Immobilien-Investment und praktisch ohne Risiko. Ich hatte eigentlich nicht viel mit Snooker am Hut. Snooker-Hallen waren damals kein wirklich guter Ort, um sich aufzuhalten, meine Mutter hätte mich wahrscheinlich an den Ohren aus ihnen herausgezerrt. Aber wie so oft in meinem Leben hatte ich Glück mit dem Timing. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Denn nur kurze Zeit später entdeckte die BBC Snooker als Sportart für den Hauptkanal. Snooker war plötzlich im Mainstream angekommen, Snooker war plötzlich ein Hit - und ich habe plötzlich richtig Kohle verdient. So viel, dass ich schon in Rente gehen wollte.

Wie bitte?

Hearn: Ja, ich habe darüber nachgedacht. Aber als ich dann sechs Wochen lang nur beim Golfen und Angeln war, bin ich verrückt geworden vor Langeweile. 1982 habe ich dann Matchroom gegründet. Ich weiß es noch genau: Wir hatten ein ganz kleines Büro, unterhalb einer Snooker-Halle. Ich hatte eine Angestellte und einen Buchhalter in Teilzeit, das war's. Aber wir hatten Spaß und haben einfach losgelegt. Fast 40 Jahre ist das jetzt her, es war eine fantastische Reise.

Drei Jahre vor der Firmengründung ist Ihr Sohn Eddie geboren.

Hearn: Und ich habe die Geburt verpasst. (lacht) Ich steckte mitten in einem Snooker-Match, es ging um Geld. Das Krankenhaus rief an und sagte mir, dass die Presswehen eingesetzt hätten bei meiner Frau, ich müsse jetzt schnell kommen. Ich habe geantwortet: "Es steht 1:1, ich muss jetzt das entscheidende Frame spielen!" Also habe ich das Match zu Ende gespielt und auch gewonnen, danach bin ich wie ein Irrer zum Krankenhaus gerast. Als ich ankam, sah ich meine Frau auf dem Krankenbett und habe ihr viel Glück gewünscht. Worauf sie zu mir meinte: "Ich habe unser Baby vor 20 Minuten bekommen, du Bastard!" Was soll ich sagen? Die Geschichte zeigt nur meine Leidenschaft für den Sport. Und wissen Sie was: Im nächsten Jahr feiern meine Frau und ich Goldene Hochzeit.

Sie hatten immer ein Faible für Sportarten für den einfachen Mann. Wann haben Sie entdeckt, dass darin so viel Potenzial steckt?

Hearn: Ich habe zunächst immer überlegt, was mir persönlich Spaß macht. Da war ich immer sehr egoistisch. Aber Sie haben recht, wir haben Sportarten der Arbeiterklasse groß gemacht. Sportarten, bei denen es keine Barrieren gibt. Für die du kein teures Equipment brauchst. Bei denen du nicht in teuren Klubs Mitglied sein musst. Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Darts-Event. Ich habe mich dort zuhause gefühlt. Die Menschen hatte eine gute Zeit, sie haben Party gemacht und dabei zugeschaut, wie ganz normale Leute mit ganz außergewöhnlichen Fähigkeiten Weltklasse-Sport bieten. Das hat mich sehr fasziniert. Mir geht es bis heute in erster Linie darum, den Fans ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Natürlich will ich auch Geld verdienen, das versteht sich von selbst, aber ich glaube, dass die Leute spüren, dass wir uns wirklich um sie bemühen. Und das Gleiche gilt für die Sportler selbst.

Barry Hearn: "Mein Herzinfarkt wäre auf jeden Fall ein guter Pay-per-View gewesen"

Bevor Sie Darts groß gemacht haben, war aber Boxen Ihre ganz große Leidenschaft.

Hearn: Das stimmt. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, hatte ich den großen Traum, eines Tages Schwergewichts-Weltmeister zu sein. Ich lag nachts mit dem Transistor-Radio unter der Decke im Bett und habe mir die großen Fights angehört. Es war eine große Enttäuschung für mich, als ich feststellen musste, dass mir das Talent fehlt, um mir meinen Traum zu erfüllen. Aber dann sagte ich mir: Dann werde ich eben Box-Promoter, das ist der nächstbeste Job. Am vergangenen Wochenende hatten wir den großen AJ-Ruiz-Kampf in Saudi-Arabien und auch wenn ich inzwischen 71 Jahre alt bin, hat es da wieder sehr gekribbelt. Mir macht es immer noch unglaublichen Spaß, es hält mich auch jung.

Es ging aber auch für Matchroom nicht immer nur bergauf, es gab auch schwere Zeiten. Was war die härteste Phase?

Hearn: Ich war zu meiner Zeit in der Modeindustrie sehr oft in den USA und habe dort hautnah den Erfolg von ESPN gesehen. Ich wusste, dass solch ein Sportkanal auch bei uns irgendwann kommen würde, also ging ich quasi in Vorleistung und habe unzählige Events veranstaltet. Unzählige Events, mit denen wir unglaublich viel Geld verloren haben, weil der Sportkanal weiter auf sich warten ließ. Gekoppelt mit der Wirtschaftskrise habe ich Ende der 80er wirklich finanzielle Probleme bekommen. Ich musste mir Geld leihen, ich habe mir auch die Frage gestellt, ob die Firma das überleben kann. Aber wieder einmal hatte ich auch das nötige Quäntchen Glück. Der Sky-Launch rettete mich damals. Seitdem haben wir in den folgenden 29 Jahren in jedem Jahr unseren Gewinn gesteigert, aber ich weiß sehr gut, dass es auch anders hätte laufen können.

Auch gesundheitlich hatten Sie eine schwere Zeit. 2002 erlitten Sie einen Herzinfarkt.

Hearn: Das war für mich wie ein kleiner Weckruf, seitdem weiß ich noch besser, dass wir alle wirklich aus jeder Stunde im Leben das Beste machen sollten. Es war allerdings auch keine Überraschung. Ich bin mit einem sehr kranken Vater aufgewachsen und der älteste Mann in den letzten Generationen unserer Familie vor mir ist 44 geworden. Ich bin jetzt 71, also habe ich die alle schon mal klar geschlagen. Der Herzinfarkt war natürlich keine besonders schöne Erfahrung, aber ich habe ihn gut weggesteckt. Und mein Herzinfarkt wäre auf jeden Fall ein guter Pay-per-View gewesen. Einige hätten sich gewünscht, dass ich überlebe. Einige hätten sich das nicht gewünscht. Einige hätten gejubelt, einige hätten gebuht, so wie es sich für einen großen Fight gehört. (lacht)

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema