Thorsten Leibenath von ratiopharm Ulm im Interview: "Ein Erstrundenpick aus Ulm würde das verstärken"

Thorsten Leibenath wechselte im Sommer vom Trainerposten zum Sportdirektor bei ratiopharm Ulm.
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Die meisten Verträge laufen für gewöhnlich bis Ende Juni. Sollte es später weitergehen, müsste man diese Deals alle neu strukturieren?

Leibenath: Mit genau solchen Fragen müssen wir uns bereits jetzt befassen, ja. Wenn Verträge angepasst werden, müssen wir auch über die Laufzeit sprechen, weil es sein kann, dass wir zum Beispiel noch im Juli Basketball spielen. Es gibt dafür einfach keinen Präzedenzfall, deswegen steht all dies momentan auf dem Prüfstand.

Das gilt insbesondere auch für Killian Hayes, der sich nun zum NBA Draft angemeldet hat. Der erwartete Schritt, oder?

Leibenath: Er hat bei uns einen Dreijahresvertrag unterschrieben. Die realistischen Szenarien waren, dass er sich nach dem ersten oder zweiten Jahr für den Draft anmelden wird, es war aber jetzt noch nicht hundertprozentig absehbar, dass es nach dem ersten Jahr passieren wird. Er hat eine tolle Entwicklung hingelegt und jetzt für sich die Entscheidung getroffen, dass der Zeitpunkt reif ist, dieses Jahr schon in den Draft zu gehen.

Die Turnover-Anfälligkeit fiel immer wieder auf. Ist das etwas, was er aus seinem System bekommen wird?

Leibenath: Die wenigsten Vereine hätten diesen Schritt gewagt, den wir gewagt haben, einem 18-Jährigen die Verantwortung auf der Aufbau-Position zu geben. Deswegen hat er sich ja auch für uns entschieden. Wir haben ihm diesen Posten gegeben und es ihm auch erlaubt, Fehler zu machen. Nach den ersten drei, vier Spielen haben viele gerufen, dass wir auf der Position nachverpflichten müssen und ihn ins zweite Glied schicken, aber genau das haben wir nicht gemacht.

Leibenath: "Deswegen ist eine gewisse Kritik verständlich"

Ist es ein kalkuliertes Risiko, dass es erstmal schwierig werden wird, wenn man so viel Verantwortung an einen so jungen Spieler gibt?

Leibenath: Es ist vor allem schade, dass wir jetzt nicht die Früchte ernten können. Ich bin davon überzeugt, dass er im letzten Drittel der Saison nochmal deutlich besser spielen würde als im ersten und auch im zweiten. Bisher würde jeder sagen, dass es ganz gut war, aber dass wir eben nicht auf einem Playoff-Platz stehen - deswegen ist auch eine gewisse Kritik verständlich mit der Entscheidung, ihn zu holen und ihm so eine große Rolle zu geben. Ich bin mir sicher, dass diese Mannschaft die Playoffs erreichen wird und dann auch in den Playoffs noch eine gute Rolle spielt. Ich hoffe sehr, dass wir das noch zu sehen bekommen, auch weil sich spätestens dann zeigen wird, dass sich dieser Schritt mit ihm eben gelohnt hat.

Wie sieht momentan der Kontakt zu ihm aus?

Leibenath: Er hält sich momentan in Florida fit und trainiert dort, was auch Sinn macht, weil er nach seiner Anmeldung zum Draft dort näher an den potenziellen Entscheidungsträgern ist, die sich ihn eventuell in Workouts ansehen können. Combine oder so etwas gibt es momentan ja nicht, aber er ist einfach etwas näher am Geschehen, deswegen unterstützen wir das auch. Der Kontakt ist überwiegend mit dem Agenten, was mich betrifft, aber ich denke, er kommuniziert auch direkt mit seinem Trainer Jaka Lakovic.

Haben Sie eine Einschätzung, wie hoch er gedraftet werden könnte oder sollte?

Leibenath: Das wäre Kaffeesatzleserei. Ich habe einige der anderen Spieler gesehen, aber weiß Gott nicht alle. Gerade bei den College-Spielern kenne ich noch nicht alle. Daher wäre das jetzt noch nicht so glaubwürdig, wenn ich mich da äußern würde. Mein Eindruck ist, dass er sehr gute Chancen besitzt, in der ersten Runde gedraftet zu werden dank dem Potenzial, das er hat, und auch dem, was er in dieser Saison bei uns gezeigt hat. Nicht wenige behaupten, dass er ein Lottery-Pick werden kann, aber man muss bei Europäern manchmal vorsichtiger sein. Da gibt es zwar einerseits den Hype, andererseits werden sie oft dann trotzdem etwas später gedraftet, als man sie erwarten würde. Ich würde nur davon ausgehen, dass er ein Erstrundenpick wird, wenn er drin bleibt.

Der Draft ist ja ohnehin meist ein undurchsichtiges Thema. In diesem Jahr noch stärker als sonst, oder?

Leibenath: Ja genau. Es ist ein sehr schwieriges Jahr, auch dadurch, dass die Workouts nicht in der Form stattfinden können oder stattgefunden haben. Man weiß ja zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht, wann der Draft überhaupt stattfindet und in welcher Form.

Sollte Hayes beispielsweise in der Lottery, also unter den ersten 14 Spielern, gedraftet werden: Was bedeutet das für Ulm als Basketball-Standort?

Leibenath: In der Basketballwelt ist durchaus wahrgenommen worden, welchen Aufwand wir hier in der Nachwuchsförderung betreiben und welchen Mut wir haben, auch Risiken einzugehen. Ein Erstrundenpick aus Ulm würde das Ganze natürlich nochmal verstärken. Ich merke das schon jetzt, wenn es darum geht, Spieler für die nächste Saison zu rekrutieren. Wir sind auf der Landkarte mehr in Erscheinung getreten. Agenten kontaktieren uns mittlerweile mit interessanten Spielern, die man bei uns entwickeln könnte, während früher ich derjenige war, der die Agenten nerven und überzeugen musste. Im Zweifelsfall ging der Spieler damals in die zweite Mannschaft von Barcelona.

Bei Hayes wurden auch bereits Sie vom Agenten kontaktiert, richtig?

Leibenath: Genau, das ging auch da vom Agenten aus. Wir hatten uns schon einen gewissen Ruf erarbeitet und dann eben auch klargestellt, dass wir gewillt sind, diese 20, 25 Minuten Spielzeit als Starter auf der Eins wirklich anzubieten. Das machte kein anderer EuroCup-Teilnehmer.

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