"Wollten, dass er der nächste Dirk wird"

Mike Taylor führte ratiopharm Ulm 2006 in die BBL
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Mike Taylor übernahm im Vorjahr die polnische Nationalmannschaft von Dirk Bauermann. Der ehemalige Ulmer Erfolgscoach spricht über unfaire Erwartungen an Robin Benzing und die NBA-Chancen der jungen Deutschen. Außerdem entkräftet er eine Befürchtung von Bauermann.

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SPOX: Mr. Taylor, Sie haben im letzten Sommer die polnische Nationalmannschaft von Dirk Bauermann übernommen. Der geht bei den Kollegen von BIG davon aus, dass Ihr Team besser ist als Bosnien und sich den vierten Platz in der Gruppe A sichern wird. Stimmen Sie zu?

Mike Taylor: Ich habe sehr großes Vertrauen in unser Team. Wir bereiten uns so gut es geht vor und stellen das bestmögliche Team zusammen. Aber wir haben natürlich vor allen Teams in unserer Gruppe großen Respekt. Bosnien, Russland, Frankreich, Israel und Finnland. Das sind alles exzellente Mannschaften. Ich denke, es ist ziemlich klar, dass Frankreich der Gruppenfavorit ist, aber dahinter kann alles passieren. Wir sehen von Spiel zu Spiel und da ist das erste Match gegen Bosnien schon sehr, sehr wichtig. Aber genau wie Dirk habe ich ein gutes Gefühl.

SPOX: Bauermann sagt aber auch, dass er sich nicht sicher ist, dass Ihr neuer Point Guard A.J. Slaughter eine Hilfe für das Team ist. Warum passt er gut in die Mannschaft?

Taylor: Slaughter passt großartig bei uns rein und das hat er in den bisherigen Spielen für uns auch schon nachgewiesen. Viele Leute zweifeln an A.J., weil er bei Panathinaikos die gesamte Saison auf der Zwei gespielt hat. Man darf aber nicht vergessen, dass Panathinaikos unglaublich gute Point Guards hat. Er war dort Teil eines tollen Teams. Ich hatte das Glück, ihn vor zwei Jahren bei der Summer League beobachten zu können, als ich Teil des Celtics-Trainerteams war. Er hat mit Orlando gegen uns 25 Punkte gemacht und richtig gut gespielt. Er hat Point-Guard-Skills, er kann Pick-and-Roll spielen, ist gut im Transition Game, kann punkten und passen. Dazu kann er eben auch die Zwei spielen. Er passt außerdem auch von seiner Persönlichkeit in unser Team. Ich bin sehr froh über A.J., es war die richtige Wahl für uns und ich bin mir sicher, dass er bei der EM sehr gute Spiele für uns abliefern wird.

SPOX: In der EM-Qualifikation haben Sie Deutschland zwei Mal geschlagen, aber beim Supercup in Hamburg gegen sie verloren. Wie gut schätzen Sie das DBB-Team ein?

Taylor: Deutschland ist ein sehr starkes Team. Es ist natürlich ein großer Unterschied, wenn Dirk Nowitzki, Dennis Schröder und Tibor Pleiß dabei sind, aber es geht nicht nur um die drei. Auch der Rest des Teams ist absolut solide. Robin Benzing spielt gut, Paul Zipser ebenfalls. Dazu kommt die Hinzunahme von Anton Gavel. Ich freue mich sehr für ihn, dass er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat und nun für Deutschland spielen darf. Ich glaube, dass Chris und seine Trainer einen ausgezeichneten Job machen. Ich gebe natürlich alles für Polen, aber in jedem anderen Spiel fiebere ich mit dem deutschen Team mit. Ich mag die Jungs und den Weg, den sie eingeschlagen haben. Ich traue ihnen ein gutes Turnier zu.

SPOX: Sie kennen Deutschland seit Ihrer Zeit in Ulm sehr gut. Es gibt aktuell ein paar Gerüchte, dass Chris Fleming Assistant Coach bei den Denver Nuggets werden könnte. Vielleicht sucht der DBB ja demnächst einen neuen Trainer...

Taylor: (lacht) Ich denke aktuell an nichts anderes als die EM mit Polen. Für alles, was auch immer irgendwann danach kommen mag und wo auch immer mich der Basketball hinführen wird, bin ich bereit. Ich habe es geliebt, als Assistant Coach für das tschechische Nationalteam zu arbeiten, aber genauso liebe ich gerade die Zeit als polnischer Trainer. Ich konzentriere mich komplett darauf, mit Polen bei der EM erfolgreich zu sein und Spiele zu gewinnen. Für mich zählt nichts anderes.

Chris Fleming im Interview: "Bin kein Nowitzki-Experte"

SPOX: Sie waren insgesamt acht Jahre in Ulm. Verfolgen Sie die BBL noch intensiv?

Taylor: Ja, total. Ich habe noch sehr viele Freunde in der Liga. Ehemalige Spieler, die ich trainiert habe, Coaches und andere Leute, die ich sehr gerne habe. Wenn man acht Jahre an einem Ort lebt, bilden sich automatisch Freundschaften. Ich habe tolle Erinnerungen an Deutschland. Ich habe die Liga mit dem Telekom-League-Pass letztes Jahr geschaut und so eine Menge Spiele gesehen. Das ist natürlich ein schöner Nebeneffekt als Nationaltrainer, man hat die Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, weil man im Gegensatz zum Vereinstrainer einen anderen Zeitplan hat. Man reist viel, trifft verschiedene Leute und hat gleichzeitig die Möglichkeit, viele Spiele zu sehen. Daher bin ich noch nahe dran an der Bundesliga.

SPOX: Die BBL hält weiter an ihrem Ziel fest, im Jahr 2020 die beste Liga in Europa zu sein. Wie realistisch ist das noch?

Taylor: Das Positive ist, dass es in die richtige Richtung geht. Die finanziellen Probleme in Südeuropa und die Krise in der Ukraine haben natürlich dafür gesorgt, dass Länder wie Deutschland attraktive Märkte sind. Außerdem macht die Liga in Sachen Marketing einen tollen Job. Es geht definitiv in die richtige Richtung, aber wer weiß schon, was passieren wird. Das Entscheidende ist, sich weiter zu verbessern und zu wachsen. Es gibt auf jeden Fall eine Menge positive Zeichen für die Bundesliga und den Basketball in Deutschland.

SPOX: Sprechen wir über einen Ihrer Ex-Spieler. Sie haben Robin Benzing in Ulm zu einem der vielversprechendsten jungen Spieler in Deutschland ausgebildet. Im SPOX-Interview vor drei Jahren haben Sie uns verraten, dass er auch bei den Boston Celtics auf dem Zettel stand. Doch nicht wenige Experten sagen, dass er es nicht geschafft hat, den nächsten Schritt zu gehen. Sind Sie von seiner Entwicklung enttäuscht?

Taylor: Entwicklung kommt nicht von heute auf morgen. Die Trainer unterstützen die Spieler auf ihrem Weg und die Spieler machen ihre Arbeit. Robin ist jemand, der immer hart arbeitet und sich weiter verbessern will. Irgendwann nimmt jeder neue Herausforderungen an. Robin hat sich in Ulm sehr gut entwickelt und hat dann den Schritt zu den Bayern gewagt, um in einem Team auf dem Toplevel zu spielen, die Meisterschaft zu gewinnen und als junger Spieler in der Euroleague Erfahrung zu sammeln. Ich finde, dass er diese Herausforderung erfolgreich gemeistert hat. Er hat die Meisterschaft geholt und sich Erfahrung in Europa geholt. Ich denke, die beiden Jahre in München waren gut für ihn.

SPOX: Aber wie erklären Sie sich die kritischen Stimmen?

Taylor: Das Problem bei Robin war immer, dass viele Leute enorme Erwartungen an ihn gestellt haben. Jeder hatte eine Meinung zu ihm: "Robin sollte dies tun, Robin sollte das tun..." Ein Spieler muss sich immer eigene Ziele setzen. Es geht nicht darum, was andere von dir erwarten. Es geht darum, wie man selbst besser werden kann. Robin hat gute Erfahrungen in München gesammelt, die ihm bei seinem nächsten Schritt helfen werden. Sein Wechsel in die spanische ACB wird ihm helfen, sich weiterzuentwickeln. Er kann sich in seiner eigenen Geschwindigkeit weiterentwickeln, ohne dass er dabei so stark im Rampenlicht stehen wird. Wir wollten immer alle, dass dieser Spieler der nächste Dirk Nowitzki wird, aber diese Erwartungen waren nicht fair. Er muss seine ganz eigene Entwicklung gehen. Jeder entwickelt sich unterschiedlich, aber Robin hat noch eine Menge vor sich und der Wechsel nach Spanien ist dafür fantastisch.

SPOX: Glauben Sie, dass er eine ähnliche Rolle wie Maxi Kleber im letzten Jahr in der ACB spielen kann?

Taylor: Das kann man so pauschal nicht sagen. Wenn er dort den richtigen Trainer vorfindet, der ihm die richtige Rolle gibt, könnte es für ihn eine großartige Zeit werden. Kleber spielte dort mit unserem Mann Adam Waczynski und beide haben einen richtigen Schritt nach vorne gemacht. Hoffentlich kommt Robin in Spanien in eine ähnliche Situation und steigert dadurch sein Selbstbewusstsein.

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Seite 2: Taylor über die NBA-Chancen der Deutschen und Knochenmühle D-League

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