BVB: Wie Christian Wück 1992 zum Hass-Objekt bei Borussia Dortmund wurde

Christian Wück, DFB
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Im April 1992 legt Nürnbergs 18-jähriger Stürmer Christian Wück eine glasklare Schwalbe im Spiel gegen Tabellenführer Borussia Dortmund hin. Bis heute wird Wück dafür von den BVB-Fans beschimpft. Der aktuelle Trainer der deutschen U17-Nationalmannschaft, die am Samstag um 13 Uhr im Finale der WM in Indonesien auf Frankreich trifft, erinnert sich.

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Dieser Artikel erschien erstmals am 8. Februar 2023.

"Wück, du Sau!" Gegenüber einer Vielzahl an Anhängern von Borussia Dortmund genügt diese drei Worte starke Beleidigung, um sie an eine bittere Episode ihres Fandaseins zu erinnern. Und um sie auf die Palme zu bringen. Noch heute. Bald 31 Jahre nach dem 3. April 1992.

"Dass mir das die Dortmunder Fans bis heute nicht verziehen haben, ist viel gravierender", sagt Christian Wück, der Übeltäter, im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Wenn ich in Dortmund einen Fan treffe, werde ich noch darauf angesprochen. Es kann auch noch vorkommen, dass ich deswegen beleidigt werde. Irgendwann muss doch aber einmal ein Generationenwechsel stattfinden."

Wück war damals ein 18-jähriger Stürmer in Diensten des 1. FC Nürnberg. Zwei Jahre zuvor debütierte er als drittjüngster Spieler der Geschichte (17 Jahre und 133 Tage) in der Bundesliga. In der Saison 1991/92 war er erstmals vollwertiges Kadermitglied beim Club - und ein gefürchteter Joker. In 26 von 32 Spielen wurde Wück eingewechselt, dabei erzielte er sieben Treffer. Erst 26 Jahre später überbot Dortmunds Paco Alcácer diesen Rekord.

Der BVB kam an jenem Freitagabend des 31. Spieltags als Tabellenführer ins Frankenstadion. Seit 19 Spielen hatten die Borussen nicht mehr verloren und dabei 30:8 Punkte geholt. Im Oktober 1991 begann die Serie - gegen Nürnberg.

Christian Wück, BVB, Schwalbe
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BVB: Christian Wücks Schwalbe in Dortmund unvergessen

29 Jahre lag die letzte Meisterschaft der Westfalen zurück. Mit einem Sieg bei den im oberen Mittelfeld platzierten Franken wollte man dem Traum ein weiteres Stück näherkommen. Doch in der 11. Spielminute ereignete sich die Szene, die in Dortmund nicht vergessen ist.

"Es war ein Laufduell mit Günter Kutowski. Er hat dann gegrätscht und ich habe etwas am Bein gespürt", erinnert sich Wück - und gibt dann zu, was er damals nicht zugegeben hat: "Als ich im Sechzehner war, ist das wohl oben im Kopf angekommen und dann lag ich am Boden. Ich hätte nicht fallen müssen, aber ein Kontakt war definitiv da - allerdings außerhalb des Strafraums und nicht so, dass ich nicht hätte weiterlaufen können. Das hätte man nicht pfeifen müssen."

Das belegte auch die Zeitlupe, die Wücks Schwalbe eindeutig entlarvte. Schiedsrichter Hans-Jürgen Kasper sah's anders und zeigte auf den Punkt. Die argentinische "Zaubermaus" Sergio Zárate verwandelte den Strafstoß. In der 28. Minute legte Wück, der an diesem Tag sein erstes Bundesligaspiel von Beginn an absolvierte, das 2:0 nach.

Christian Wück, 1. FC Nürnberg, BVB
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BVB außer sich: "Ein absoluter Schwalbenkönig, dieser Wück"

BVB-Torjäger Stéphane Chapuisat verkürzte zwar nur sechs Minuten später, doch Dortmund war von der Rolle. Auch die klare Leistungssteigerung in Halbzeit zwei half nichts - drei Spieltage vor Saisonende rutschte der BVB durch die Niederlage punktgleich mit Frankfurt und Stuttgart auf Rang drei ab.

"Ein absoluter Schwalbenkönig, dieser Wück. Ich werde wahnsinnig, wenn uns dieses linke Ding die Meisterschaft kostet", wütete Abwehrrecke Kutowski. Kapitän Michael Zorc sagte: "Verlieren ist bitter. Aber durch eine Schwalbe noch bitterer. Es war psychologisch so wichtig, Tabellenführer zu sein."

Wück dagegen, der vom kicker die Note 2 erhielt und mit einem kurzen Text - in dem die Schwalbe mit keinem Wort erwähnt wurde - zum Mann des Spieltags gekürt wurde, sagte nach der Partie lapidar: "Ich hätte weiterlaufen können. Plötzlich bin ich halt dort gelegen. Nicht ich entscheide die Meisterschaft, sondern die Vereine selbst."

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Christian Wück erhielt Morddrohungen von BVB-Fans

Auch Schiri Kasper war sich keiner Schuld bewusst. Trotz der unzweideutigen Fernsehbilder beteuerte er, keinen Fehler gemacht zu haben. Jedoch gestand er ein: "Zugegeben: Wück ließ sich theatralisch fallen."

"Mein TV-Interview direkt nach dem Spiel lief natürlich nicht optimal", sagt Wück heute. "Der Aufschrei war immens - gerade für einen 18-Jährigen, der nicht von den Medien geschützt wurde." Er habe in der Woche nach dem Spiel Morddrohungen per Post bekommen. "Dadurch wurde mir erst bewusst, welche Tragweite solche Dinge annehmen können. Das hat mich sehr belastet, doch da wurde früher nicht groß darüber gesprochen."

Als er mit einem der beängstigenden Briefe zu Club-Trainer Willi Entenmann ging, "hat er sich das durchgelesen, vor meinen Augen zerrissen und gesagt, ich solle mir keinen Kopf machen". Etwas Ablenkung fand Wück durch die Tatsache, dass er ein paar Tage später erstmals für die deutsche U21-Nationalelf nominiert wurde. Es war sein erster Kontakt mit dem DFB, für den er mittlerweile seit 2012, aktuell als Trainer der U17, arbeitet.

Christian Wück, DFB
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BVB-Fans bis heute wütend: "Wück, du Sau!"

Seither wird der heute 49-Jährige, dem im weiteren Verlauf seiner Karriere der Meniskus eines Toten ins linke Knie transplantiert wurde, in Dortmund mit dem Ausspruch "Wück, du Sau!" belegt. Selbst ein Spielbericht des BVB-Fanzines schwatzgelb.de aus dem Jahre 2008 behandelt das Thema ausgiebig, als Wück als Trainer von Rot Weiss Ahlen zu einem Spiel gegen Borussias zweite Mannschaft nach Dortmund zurückkehrte.

"Es wundert mich wirklich, dass es in Dortmund noch immer ein Thema ist. Ich habe den langjährigen BVB-Präsidenten Reinhard Rauball einmal bei einem Amateurspiel getroffen", erzählt Wück. "Ich gab ihm zur Begrüßung die Hand und er sagte: Sie waren das doch damals! Als ich entgegnete, dass das doch über 20 Jahre her sei, meinte er mit einem Lächeln: Ein Schwarz-Gelber vergisst halt nicht!"

Schließlich holte Dortmund am Ende tatsächlich nicht den lang ersehnten Titel. Nach einem dramatischen letzten Spieltag der Saison fehlten dem von Ottmar Hitzfeld trainierten BVB gegenüber dem VfB ein paar Tore - oder schlicht nur ein Punkt. "Ich denke nicht, dass die Dortmunder nur wegen diesem Spiel die Meisterschaft verspielt haben", sagt Wück.

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BVB profitierte drei Jahre später von einer Schwalbe

Wäre es möglich, würde er seine Schwalbe rückgängig machen, beteuert er: "Hätte ich gewusst, was alles daran hängen wird, hätte ich das natürlich nicht gemacht. Unter dem Strich war diese Erfahrung sehr lehrreich für mich und hat definitiv meine weitere Vorgehensweise in vielerlei Hinsicht beeinflusst."

Beinahe exakt drei Jahre später drehte sich das Schicksal für die Dortmunder in die andere Richtung, woran auch Wück schmunzelnd erinnert: "Es gab ja auch - gerade in den Reihen des BVB - noch genügend Beispiele, bei denen Bundesligaspiele auf diese Weise entschieden wurden." Damit spielt er auf Andreas Möllers berühmte "Schutzschwalbe" am 26. Spieltag der Saison 1994/95 gegen Wücks späteren Verein Karlsruher SC an, die dem BVB eminent wichtige Punkte im Kampf um die Meisterschaft sicherte, die man letztlich auch gewann.

Bleibt nur noch die Frage: Welche Schwalbe war nun die bessere, Herr Wück? Der lacht am Telefon und sagt: "Das können Sie sich beim Anblick der Bilder selbst beantworten!"

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Christian Wück: Seine Karriere als Profi im Überblick

VereinPflichtspieleToreVorlagen
1. FC Nürnberg (1990-1994)1001510
Karlsruher SC (1994-1999)8999
VfL Wolfsburg (1999-2000)19-1
Arminia Bielefeld (2000-2002)4052
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