BVB: Sitzblockade! Als die Fans von Borussia Dortmund auf die Barrikaden gingen

BVB-Trainer Matthias Sammer redet auf die Dortmunder Fans ein.
© imago images

Als Borussia Dortmund im September 2003 mit 0:1 beim VfB Stuttgart verlor und somit auch im elften Auswärtsspiel des Jahres sieglos blieb, griffen die frustrierten BVB-Fans zu einem Mittel, das sie in der 93-jährigen Vereinsgeschichte noch nie angewandt hatten: Sitzblockade! Besserung brachte die jedoch nur kurzfristig.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der Gewinn der Meisterschaft 2002 lag erst ein gutes Jahr zurück. Doch es hatte sich einiges angestaut bei den Fans von Borussia Dortmund. Das war nachvollziehbar, schließlich rissen die schlechten Nachrichten gerade seit dem Titelgewinn nicht ab.

Da war zunächst die am letzten Spieltag vor heimischem Publikum vergeigte direkte Qualifikation zur Champions League gegen Absteiger Energie Cottbus. Ein paar Wochen später war auch die dahin, der BVB unterlag dem FC Brügge nach Hin- und Rückspiel im Elfmeterschießen.

Begleitet wurde der sportliche Niedergang von der riesigen Finanzkrise des Vereins und den öffentlich stark polarisierenden Diskussionen um eine Kürzung der Spielergehälter - zumal die besten Profis ohnehin kaum auf dem Feld standen, da sich zu all dem Schlamassel eine ausgeprägte Verletzungsseuche gesellte. Dortmund im September 2003 - das hieß Platz sieben in der Bundesliga und elf Auswärtsspiele in Serie ohne Sieg.

Kein Wunder also, dass die Dortmunder Fans nach der blutleeren Vorstellung am 6. Spieltag beim VfB Stuttgart (0:1) auf die Barrikaden gingen und zu einem Mittel griffen, dass in der 93-jährigen Vereinsgeschichte noch nie angewandt wurde: Sitzblockade! Über eine Stunde lang hinderten etwa 250 der rund 2000 mitgereisten Anhänger den BVB-Bus an der Abfahrt.

Bewacht von Polizisten: Die Sitzblockade der BVB-Fans in Stuttgart.
© imago images

BVB-Fans mit Sitzblockade: "Das sind doch alles Weicheier"

"Das sind doch alles Weicheier", schimpfte einer und erntete dafür tosenden Applaus. "Nicht 20, sondern 80 Prozent sollte man denen vom Gehalt abziehen", tobte ein anderer. Trainer Matthias Sammer und Sportdirektor Michael Zorc zeigten sich den Fans als erstes und versuchten zu beschwichtigen.

Sammer hatten schon zuvor in der Pressekonferenz klare Worte für die auswärts erneut vollkommen harmlose Vorstellung gewählt: "Ich kann zu meiner Mannschaft nichts sagen, weil ich gar nichts von ihr gesehen habe. Nach dieser Leistung ist es sehr, sehr schwierig, sachlich zu argumentieren", sagte der einstige Meister-Trainer und schob nach: "Eine Entwicklung findet nicht statt. Die Spieler müssen endlich begreifen, was sie wollen - Platz eins oder sieben. Wir können nicht zu Hause eine Reaktion zeigen und auswärts immer nur rumgurken. So etwas kann man nicht anbieten."

Vor den sitzenden Fans nahm Zorc die Spieler ausdrücklich in die Pflicht: "Wir werden mit der Mannschaft reden", versprach er und sagte mit Blick auf die vier Tage später anstehende Partie im UEFA-Cup bei Austria Wien: "In Wien kann es für die Spieler nur ein Ziel geben - Wiedergutmachung." Auch Sammer wurde gegenüber den Anhängern deutlich: "Ich schäme mich für die Leistung. Normalerweise müssten wir nach Hause laufen, aber wir müssen ja am Mittwoch schon wieder spielen."

BVB-Trainer Matthias Sammer redet auf die Dortmunder Fans ein.
© imago images

Protest der BVB-Fans "beeindruckend und logisch"

Damit kamen die Dortmunder Verantwortlichen aber nicht durch. "Wir wollen die Mannschaft sehen", skandierten die Fans, die Sammer als "arme Sau" bezeichneten, weil einige Spieler zu viel und zu oft in einer Essener Diskothek beim Feiern gesichtet wurden. Es dauerte eine knappe Stunde, ehe die Profis in Begleitung von Polizisten und Bodyguards vor die Anhänger traten.

Wenngleich Zorc regelmäßig versuchte, die Mikrofone der TV- und Radiosender bei der Aufnahme der Aussprache zu hindern, wurde deutlich, dass sich das Team einsichtig zeigte. "Es tut mir leid, dass die ganze Mannschaft Scheiße gespielt hat. Wir müssen uns entschuldigen", sagte Routinier Stefan Reuter, der seit 1992 für den BVB spielte und später zum Fan-Protest meinte: "Das habe ich hier noch nicht erlebt." Ausgelacht wurde dagegen Sebastian Kehl, der es mit den branchenüblichen Floskeln versuchte: "Vor dem Spiel hatten wir ein ganz gutes Gefühl. Wir hatten uns eigentlich viel vorgenommen."

Um Punkt 18.48 Uhr hatten die Fans genug gehört und beendeten ihren Sitzstreik, den Manager Michael Meier tags darauf "als friedliche Demonstration" und "zwar kritische, aber zivilisierte Konfrontation" einstufte. Auch Zorc zeigte nach einer Nacht Schlaf "echtes Verständnis" dafür. Sammer fand die Reaktion gar "beeindruckend, sachlich und logisch", da die Fans "kein dummes Zeug erzählt" hätten.

Der BVB verlor am 20. September 2003 mit 0:1 beim VfB Stuttgart.
© imago images

BVB und der Verwaltungsfußball: "Wir sind doch keine Pfarrer"

Doch wie gegen Wien der BVB-Notelf, in der lediglich drei Stammspieler stehen sollten, der Umschwung gelingt, da waren im Vorfeld der Partie die meisten überfragt. "Ehrlich, ich wüsste nicht, was ich als Trainer in dieser Lage tun würde", sagte Abwehrchef Christian Wörns.

Präsident Gerd Niebaum, der die Dortmunder Auftritte in der Fremde bereits als "Verwaltungsfußball" betitelte, beschrieb die Situation so: Es werde gegenüber der Mannschaft zwar "gepredigt und gepredigt", aber es geschehe nichts - "wir sind doch keine Pfarrer". Auch aus Zorc sprach die Ohnmacht: "Du kannst sagen, was du willst, es geht bei der Mannschaft offenbar zum linken Ohr rein und zum rechten wieder raus."

Diesmal jedoch nicht, die Sitzblockade hatte tatsächlich etwas bei den Spielern ausgelöst. Das letzte Dortmunder Aufgebot siegte mit 2:1 in Wien, Otto Addo schoss dort sein legendäres Tor mit gerissenem Kreuzband. Es folgen vier weitere Siege und in der Liga nach 294 Tagen bei Eintracht Frankfurt tatsächlich mal wieder ein Dreier auf fremden Platz.

Die Spieler des BVB im Austausch mit ihren enttäuschten Fans.
© imago images

BVB-Fans protestieren ein Jahr später erneut - aber aggressiver

Diese Erfolge sorgten allerdings nur temporär für positive Schlagzeilen. Ende November schied der BVB nach einem 0:4 gegen den FC Sochaux krachend in Europa aus und verpasste in der Bundesliga mit einem Remis am Betzenberg am letzten Spieltag den erneuten Einzug ins internationale Geschäft.

Diese Zeiten waren der Anfang vom Ende, der beinahe in die Insolvenz geführt hatte. Nur ein Jahr später protestierten die BVB-Fans erneut, diesmal jedoch im eigenen Stadion und deutlich aggressiver als in Stuttgart: Nach einer 0:2-Pleite gegen Schlusslicht Hamburger SV blockierten hunderte wütende Anhänger die Stadiontore und beschimpften die Spieler.

Dortmund war auf Rang 15 abgestürzt. Diesmal musste der HSV-Bus warten - erst 95 Minuten nach dem Schlusspfiff zog der Mob ab.

BVB: Die Bundesliga-Platzierungen von Borussia Dortmund in den Nullerjahren

SaisonPlatzierung
1999/200011.
2000/20013.
2001/20021.
2002/20033.
2003/20046.
2004/20057.
2005/20067.
2006/20079.
2007/200813.
2008/20096.
Artikel und Videos zum Thema