Handball-WM - Die "Qual" vor der Hauptrunde: Alfred Gislason und das Raubtier-Ritual

SID
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Vom knallharten Klubcoach zum aufgeschlossenen Bundestrainer: Alfred Gislason hat einen spannenden Wandel hinter sich.

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Sein Raubtier-Ritual wird Alfred Gislason auch vor dem Hauptrunden-Auftakt am Donnerstag (18.00 Uhr) gegen Argentinien pflegen. Rund eine Stunde vor Anpfiff der deutschen WM-Spiele tigert der Bundestrainer mutterseelenallein über das Spielfeld der menschenleeren Arena und stimmt sich voll fokussiert auf die folgenden 60 Minuten Handball-Action ein.

"Das ist die schlimmste Zeit für einen Trainer: Zu warten, bis das Spiel beginnt. Das ist eine Qual. Sobald das Spiel angepfiffen ist, macht es Spaß. Aber das Warten ist eine Tortur", sagt Gislason und lacht herzlich über seine ganz persönliche Marotte.

"Man merkt, dass es ihm Spaß macht, wenn die Mannschaft das umsetzt, was er sich vorstellt", sagt Kapitän Johannes Golla und spricht von einer "sehr guten Einheit - Trainer und Mannschaft sind zusammengewachsen".

Es ist bezeichnend, dass Gislason, der knallharte Klubcoach von einst, der bei seinen so erfolgreichen Stationen in Magdeburg und Kiel Titel am Fließband sammelte, in Auszeiten jetzt auch die Spieler ins Boot holt. Wenn Juri Knorr oder Julian Köster das Wort ergreifen (dürfen), ist das kein Zufall. Gislason setzt in der Nationalmannschaft voll auf den Teamgedanken. Die Mitsprache der Jüngsten ist bei dem 63-Jährigen inzwischen ausdrücklich erwünscht.

Handball-WM: Gislason "zieht seinen Schuh durch"

Gislason deswegen als altersmilde zu bezeichnen, würde ihm nicht gerecht werden. Doch der Isländer hat sich den Gegebenheiten in der Nationalmannschaft nach den vielen Absagen und Rücktritten hervorragend angepasst. Manche würden sagen, er habe sich weiterentwickelt, andere gar, er habe sich "auf seine alten Tage neu erfunden". Dazu passt ein Gislason-Satz von vor dem Turnier, als er im SID-Gespräch sagte: "Es macht das Leben schön, wenn man junge Leute in ihrem Sport und auf ihrem Lebensweg weiterbringen kann."

Die deutschen Vorrunden-Auftritte schüren tatsächlich die Hoffnung, dass es mit den deutschen Handballern nach sechs ziemlich erfolglosen Jahren pünktlich vor der Heim-EM 2024 wieder bergauf gehen könnte. "Deutschland hat sehr oft gezeigt, dass es eine Turniermannschaft ist", frohlockt Gislason vor dem Hauptrunden-Start, warnt aber eindringlich vor Argentinien: "Sie sind sehr gefährlich, die müssen wir voll ernst nehmen." Aber, und das betont der DHB-Coach: "Wir freuen uns alle riesig auf das Spiel."

Rune Dahmke lobt die "sehr gute Stimmung in der Truppe - das trägt uns bisher." Der Linksaußen, der viele Jahre in Kiel unter Gislason trainierte, kennt den Bundestrainer wie kaum ein zweiter: "Der zieht seinen Schuh durch. Er hat so viel Erfahrung wie sonst fast niemand." Der Respekt der Spieler vor dem Trainerfuchs ist nach wie vor deutlich spürbar, aus der Verbindung mit Gislason schöpfen sie aber vor allem ganz viel Kraft und Selbstsicherheit.

Erwartungen gibt es natürlich auch an den Isländer. Die WM in Polen und Schweden ist inzwischen sein viertes Turnier in neuer Rolle. Auch wenn es nach für alle Beteiligten nervigen Corona-Jahren das erste Turnier unter "normalen" Voraussetzungen ist: Allmählich ist es für ihn an der Zeit zu liefern. Gislason weiß das. Und setzt auf den Teamgedanken, die Jugend - und sein ganz persönliches Raubtier-Ritual.

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