Karriereende mit 28: Ausbruch in die Freiheit

Kim Ekdahl du Rietz beendet nach dieser Saison seine Karriere
© getty

Kim Ekdahl du Rietz spielt so gut Handball wie noch nie in seinem Leben. Der Schwede von den Rhein-Neckar Löwen ist einer der weltbesten Spieler im linken Rückraum. Im kommenden Jahr könnte er problemlos einen Vertrag bei einem Verein seiner Wahl unterschreiben und das ganz große Geld verdienen. Stattdessen beendet Ekdahl du Rietz im Sommer im Alter von knapp 28 Jahren seine Karriere. Warum zum Teufel macht er das?

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Kim Ekdahl du Rietz strahlte bis über beide Ohren. Mit nach oben gestreckten Armen hüpfte der Mann aus dem südschwedischen Lund quietschvergnügt durch die Arena in Mannheim. Seine Löwen hatten den THW Kiel mit 28:19 bezwungen und sich somit zwei Spieltage vor Schluss die zweite deutsche Meisterschaft in Folge gesichert.

Es sind die Momente, in denen der Rechtshänder glücklich wirkt. Wie ein Vollblut-Handballer, der sich keine andere Tätigkeit für sich vorstellen kann. Wie einer, der seine Sportart mit voller Leidenschaft ausübt und innig liebt. Doch der Eindruck täuscht.

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"Handball macht mich nicht mehr glücklich. Ich bin zufrieden, aber das reicht mir nicht. Deswegen höre ich auf", sagte Ekdahl du Rietz dem Mannheimer Morgen: "Ich kann mein Leben nicht weiter mit etwas verbringen, das ich nicht mehr machen will."

Ekdahl du Rietz: "Das ist in meinen Augen Blödsinn"

Als der Rückraumspieler im November 2016 seine Entscheidung publik machte, zollten ihm viele Menschen Respekt. Es gab aber auch Stimmen, die weniger Verständnis aufbrachten.

Ist es nicht undankbar, sein Talent nicht voll auszuschöpfen? Ist es nicht Jammern auf verdammt hohem Niveau, den Alltag als Profi-Handballer trotz bester Gesundheit und sehr gutem Verdienst nicht mehr mitmachen zu wollen?

"Es geht nicht darum, meine Entscheidung rational nachzuvollziehen", sagte der 1,94-Meter-Mann dazu: "Sondern es ist vor allem wichtig, was ich fühle. Mein Talent verpflichtet mich nicht dazu, diesen Sport weiterhin auszuüben. Das ist in meinen Augen Blödsinn."

In die Profikarriere reingerutscht

Um Ekdahl du Rietz besser zu verstehen, hilft ein Blick auf seinen bisherigen Lebensweg. Der Löwe mit der Nummer 60 begann als junger Kerl mit Handball, weil seine Kumpels Handball spielten.

Den Traum, von seinem Sport zu leben, hatte er nie. Nicht einmal den Wunsch. "Ab dem Tag, an dem dein Hobby zum Beruf wird und du Profi-Handballer bist, ändert sich dein Leben. Denn du musst alles danach ausrichten. Das ist dann doch etwas ganz anderes als ein Hobby", gab Ekdahl du Rietz zu bedenken: "Ich bin da irgendwie reingerutscht in diese Profikarriere."

Bereits mit 16 Jahren debütierte der damals noch extrem schlaksige Junior für seinen Heimatverein LUGI HF in der ersten Liga. Die Jahre zogen ins Land, er wurde immer besser, schaffte es sogar in die Nationalmannschaft.

Den Gedanken, Schweden zu verlassen, um die Profikarriere richtig in Schwung zu bringen, gab es trotzdem nicht. Familie, Freunde, ein bisschen Handball - Ekdahl du Rietz hatte doch alles in Skandinavien.

Als Andersson stinksauer war

Einen ersten Weckruf bekam er schließlich vom früheren Weltklassespieler Kim Andersson verpasst. Der nahm den Jungspund zur Seite und war stinksauer. "Er meinte, ich vergeude mein Talent, wenn ich dieses Ziel Handball-Profi nicht verfolgen würde. Er konnte das überhaupt nicht verstehen", erinnert sich Ekdahl du Rietz.

Als er 2011 auch noch eine sehr gute Weltmeisterschaft spielte, kamen die Angebote aus dem Ausland ganz von alleine. Ekdahl du Rietz entschied sich zu einem Wechsel zu HBC Nantes. Er spielte eine großartige Saison und wurde nach nur einem Jahr in Frankreich von den Rhein-Neckar Löwen verpflichtet.

Nach leichten Anlaufschwierigkeiten legte er auch in der HBL los. Ekdahl du Rietz hatte längst die volle Palette drauf. Spektakuläre Würfe aus zehn Metern, Durchtanken im Eins-gegen-eins, Abwehrarbeit - er kann fast alles hervorragend.

Und er war erfolgreich. Er holte mit den Löwen 2013 den EHF-Pokal, wurde zwei Mal Meister, gewann mit Schweden bei den Olympischen Spielen 2012 in London die Silbermedaille.

Der erste Rücktritt mit 25 Jahren

Doch ein Gedanke ließ ihn in all den Jahren nie los. Ist Handball das, was er wirklich will? "Ich habe in den vergangenen Jahren nie so genau gewusst, wo ich hin will. Deswegen habe ich einfach weiter Handball gespielt. Dieser Sport hat mir finanzielle Sicherheit gegeben", sagte Ekdahl du Rietz.

Dass dieser Schwede kein Profi wie jeder andere ist, zeigte sich bereits 2014, als er im Alter von 25 Jahren mit 75 Länderspielen auf dem Buckel aus dem Nationalteam zurücktrat, was ihm in seiner Heimat einige Menschen richtig übel genommen haben.

"Es geht mir darum, die richtige Balance zwischen dem Sport und meinem restlichen Leben zu finden. Es gibt noch etwas anderes als Handball", sagte Ekdahl du Rietz damals. Heute weiß er: "Das war rückblickend sicher eine meiner schwersten, aber auch meine beste Entscheidung."

Lappland statt WM

Während seine Kollegen im Hamsterrad Handball auch noch während der Pausen in den Ligen Jahr für Jahr bei WM, EM oder Olympia um Ruhm und Ehre kämpften, blickte er über den Tellerrand hinaus und begab sich auf Reisen.

Während die meisten seiner Mitspieler beispielsweise im vergangenen Januar zur Weltmeisterschaft nach Frankreich hechelten, tingelte Ekdahl du Rietz durch den finnischen Teil von Lappland. Ganz in den Norden nach Rovaniemi, wo angeblich der Weihnachtsmann zu Hause ist.

Zu diesem Zeitpunkt stand sein Entschluss, trotz Vertrages bis 2018 auch auf vereinsebene im Sommer Schluss zu machen, längst fest. Als er die Löwen unterrichtete, waren die Verantwortlichen nicht einmal besonders überrascht.

"Wir alle wissen, was Kim für ein Mensch ist. Deswegen war uns klar, dass so etwas irgendwann passieren kann", sagte Oliver Roggisch, der Sportliche Leiter des Klubs aus Baden. Und Teamkollege Andreas Palicka ergänzte: "Der ist kein normaler Schwede, aber ein verdammt geiler Typ."

Das Verlangen nach Unabhängigkeit

Natürlich war auch bei den Löwen niemandem entgangen, dass sich Ekdahl du Rietz niemals gänzlich vom Handball einnehmen ließ. Er spricht Englisch, Deutsch, Französisch und Schwedisch, machte den Segelschein, studierte parallel Psychologie. Nicht etwa, weil er beruflich in diese Richtung gehen möchte, sondern weil er das Gefühl brauchte, etwas Sinnvolles zu tun.

Nun erfolgt der nächste Schritt. Für Ekdahl du Rietz muss es sich wie ein Ausbruch in die Freiheit anfühlen. Er kann es einfach nicht mehr ertragen, sein Leben nach einem Spielplan auszurichten.

"Ich habe ein großes Bedürfnis nach Unabhängigkeit, dieses Verlangen ist bei mir sehr ausgeprägt. Es hat mich zuletzt immer mehr genervt, dass mir vorgegeben wurde, wann ich wo sein und Handball spielen muss", erklärte Ekdahl du Rietz.

Comeback ist keine Option

Wie die Zukunft genau aussieht, weiß das Nordlicht noch nicht. Der Handball hat ihm das Privileg verschafft, zumindest in den nächsten Jahren keine finanziellen Sorgen haben zu müssen und nun frei wählen zu können.

Im Sommer geht es nach Afrika, in den Senegal und nach Liberia. Aber dann? "Es gibt noch keinen langfristigen Plan. Zunächst einmal fühlt es sich gut an, nicht zu wissen, wo es hingeht", so Ekdahl du Rietz.

Fakt ist: Ein Comeback im Handball ist keine Option. Und das nach der besten Saison seines Lebens, in der er laut Roggisch "wie ein junger Gott" gespielt hat. "Ich höre auf, weil ich keine Lust mehr habe. Und nicht, um irgendwann zurückzukommen", stellte der extrovertierte Schwede klar.

Am Samstag beim letzten Spiel gegen Melsungen fällt der Vorhang. Es werde für ihn der "krasseste Moment" seines Lebens. Und vielleicht der Anfang des großen Glücks.

Denn Ekdahl du Rietz weiß: "Ich bekomme die Kontrolle über mein Leben zurück."

Kim Ekdahl du Rietz im Steckbrief

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