WM

Erfahrungsbericht aus Katar: Ein Eldorado für Kran-Liebhaber mit Bier-Phobie

Von Dennis Melzer
Der FC Bayern war im Winter-Trainingslager erneut zu Gast in Doha.
© getty

In etwas weniger als drei Jahren findet in Katar die Fußball-WM statt. Derzeit gleicht das Epizentrum noch einer Großbaustelle. Ein Erfahrungsbericht.

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Es ist bereits dunkel, als mein Kollege und ich aus der Ankunftshalle des Hamad International Airports ins Freie treten. Mit unseren Wintermänteln, die wir uns über die Armbeuge geworfen haben, wirken wir irgendwie deplatziert. Anders als im nasskalten München, das wir vor rund sieben Stunden verlassen hatten, weht hier in Doha ein angenehm laues Lüftchen über die Dächer der unzähligen wartenden Taxis. 20 Grad zeigt mein Smartphone an. Aushaltbare Temperaturen im Januar.

Anlass unserer Reise ist das Trainingslager des FC Bayern, der bereits zum zehnten Mal in Folge seine Winter-Zelte in Katar aufschlägt. Sechs Tage wird der Rekordmeister fortan an der Aspire Academy für die Bundesliga-Rückrunde schuften. Traditionell hatte die abermalige Reise ins Emirat bei einigen Fans für Unmut gesorgt. "Und wieder fliegen mit Kafala Airways (in Anlehnung an FCB-Platinsponsor Qatar Airways) die Menschenrechte davon", war beispielsweise am letzten Hinrundenspieltag in der Südkurve der Allianz Arena auf einem Banner zu lesen.

Kritik am "Kafala-System"

Hintergrund der Kritik: "Kafala" bezeichnet ein umstrittenes System der Bürgschaft, im Prinzip die vollständige Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, das besonders in den arabischen Golfstaaten das Arbeits-, Aufenthalts- und Familienrecht reglementiert. Davon betroffen sind unter anderem die etlichen Arbeitsmigranten, die seit vielen Jahren an der Errichtung der Stadien für die WM-Endrunde im Jahr 2022 oder anderen Infrastruktur-Projekten beteiligt sind. Als menschenunwürdig, mitunter gar todbringend, wurden die Bedingungen besonders für die zahlreichen Arbeiter aus armen südostasiatischen Ländern wie Nepal, Indien, Sri Lanka oder Bangladesch bezeichnet, der Begriff "moderne Sklaverei" erhielt in diesem Zusammenhang mehrfach Einzug in die Medienlandschaft.

Seit Katar den Zuschlag für das prestigeträchtigste Fußball-Turnier der Welt erhalten hat, wird über die Ausbeutung der Arbeitsmigranten geschrieben und gesprochen, immer wieder machten Verantwortliche des Wüstenstaats Zugeständnisse, gelobten Besserung. Vor drei Jahren erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch noch, dass die bis dato in Kraft getretenen Änderungen im Arbeitsrecht kaum positive Auswirkungen mit sich gebracht hätten.

"Katar hat offensichtlich kein Interesse an echten Reformen des Arbeitssystems, und das bedeutet, dass es zu immer mehr Menschenrechtsverletzungen und immer mehr Ausbeutung kommen wird. Arbeitsmigranten werden weiter leiden", wurde Joe Stork, stellvertretener Leiter der Nahost-Abteilung von Human Rights Watch damals auf der Homepage der NGO zitiert. Er schob nach: "Katar behauptet, es habe das Kafala-System abgeschafft, aber es hat nur seinen Namen geändert."

Katar-Expertin von Amnesty International bleibt skeptisch

Das bestätigte zuletzt, kurz bevor der Münchner Tross sich in Richtung Doha aufmachte, auch Katar-Expertin Regina Spöttl von Amnesty International. Der Abendzeitung sagte sie: "Katar sagt zwar, dass das Kafala-System abgeschafft wurde. Tatsächlich blieb es bisher unter einem neuen Namen in Kraft." Spöttl ergänzte allerdings: "Seit ein paar Wochen sind positive Signale aus Katar zu vernehmen. Es gab eine Zusammenarbeit mit der International Labour Organization (ILO) der Vereinten Nationen, um ein neues, verbessertes Arbeitsgesetz zu entwerfen. Das scheint in die richtige Richtung zu gehen. Im Januar 2020 soll das Gesetz in Kraft treten." Dennoch sehe Amnesty International das Ganze "sehr skeptisch". Im Laufe der vergangenen Jahre sei immerhin "viel Verbesserung versprochen - aber nicht eingehalten" worden.

Informationen, die in mir im Vorfeld des Trips natürlich eine gewisse Befangenheit auslösten. Wie viel würde ich von alledem mitbekommen, wenn ich mich arbeitsbedingt vornehmlich zwischen eigenem Hotel und Bayern-Trainingsplatz aufhalte? Erst einmal ankommen, denke ich - und schon sitzen wir im Taxi, das uns vom Flughafen in unsere Unterkunft bringt. Der Rand der Schnellstraße, die ins Zentrum Katars führt, ist gesäumt von abertausenden bunten Lichtsäulen, in der Ferne erstreckt sich die nicht minderbunte Skyline, deren pompöses Ausmaß mit jedem Kilometer erkennbarer wird.

Wir halten vor einem modernen Gebäude, das in warmes Licht gehüllt ist - unser Hotel. Zwei Pagen wuchten unsere großen Koffer aus dem Auto und geben uns zu verstehen, dass diese bei ihnen in den besten Händen seien und wir uns bezüglich des Gepäck-Transportes in die jeweiligen Zimmer nicht weiter kümmern müssen. Die Empfangstheke, an der ein freundlich dreinschauender Mann uns willkommen heißt, erscheint mit Blick in die Eingangshalle nahezu mickrig. Ein überdimensionaler Kronleuchter baumelt von der 60 Meter hohen Decke, cremefarbene Sessel und Sofas, die akkurat um kleine Glastische platziert wurden, versprühen einen Hauch von Edelbar-Atmosphäre. Davor steht - zu meiner Überraschung, da Katar islamisch geprägt ist - ein riesiger, mit goldenen und silbernen Kugeln behangener Weihnachtsbaum.

Der Rezeptionist nimmt meinen Reisepass entgegen, fasst die Buchung noch einmal zusammen und händigt mir schließlich die Öffnungskarte für mein Zimmer aus. Es könne morgens wegen der Baustelle "etwas lauter" werden, entschuldigt er sich im Voraus. Als ich mein Gemach erreiche, ist der Page samt Koffer bereits da. Er zeigt mir ein kleines Panel, mit dem ich das Licht ein- und ausschalten, den Service rufen und die Raumtemperatur regulieren kann.

Ein Eldorado für Kran-Liebhaber

Letzteres ist besonders wichtig, da die auf Hochtouren laufende Klimaanlage das Zimmer auf gefühlte fünf Grad heruntergekühlt hatte. Ich lasse mich ins Bett fallen und erfahre nach einer kurzen Nacht, was der Rezeptionist mit seiner Baustellen-Prophezeiung gemeint hatte. Es ist 7:30 Uhr, Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch den Vorhang, gleich vor meinem Zimmer wird gebohrt und gehämmert, was das Zeug hält.

Männer in Blaumännern und neongelben Warnwesten huschen emsig umher, die Szenerie ist gespickt mit Kränen und anderen Baumaschinen. Nach einer wohltuenden Dusche treffe ich mich mit meinen Reporterkollegen zum Frühstück, im Anschluss geht es mit dem Taxi, das ähnliche Temperaturen aufweist wie mein Zimmer zu Beginn (Klimaanlagen erfreuen sich offensichtlich auch im Winter enormer Beliebtheit in Katar), zum ersten öffentlichen Bayern-Training.

Der Weg zum Al Aziziyah Boutique Hotel, in dem die Mannschaft samt Mitarbeitern untergebracht ist, führt über mehrspurige, staubige Straßen. Halbfertige Brückenpfeiler, Bauzäune, Warnschilder und vor allem Kräne wohin das Auge blickt. Doha ist eine einzige Großbaustelle, es ist sicht- und spürbar, dass die WM ihre Schatten vorauswirft. Zu unserer Linken durchschneidet plötzlich das Khalifa International Stadium, eine von acht Austragungsstätten des Turniers, die Landschaft. Hier fand zuletzt, im Oktober 2019, die Leichtathletik-WM statt, die aufgrund der quasi nicht vorhandenen Stimmung sowie der hohen Temperaturen für reichlich Kontroversen gesorgt hatte. Dahinter ragt "The Torch", ein gemäß des Namens in Fackeloptik gehaltenes Luxushotel, 300 Meter in den Himmel.

Nach circa 15 Minuten haben wir unser Ziel erreicht, wir halten in der Einfahrt des opulenten Bayern-Hotels und werden mit unseren Akkreditierungen ausgestattet, die in den kommenden Tagen unseren Einlass gewährleisten. Nach einer Begrüßung seitens der Münchner Presseabteilung geht es raus auf die Trainingsanlage der Aspire Academy, die von Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge einst als "beste Trainingsanlage der Welt" gepriesen wurde.

Der FC Bayern München beim Training in Doha.
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Der FC Bayern München beim Training in Doha.

FC Bayern in Doha: Perfekte Bedingungen mit sommerlichem Flair

Tatsächlich lassen die Bedingungen keine Wünsche offen, der Rasen ist perfekt gemäht und gewässert, alles ist hochmodern, Palmen allerorten lassen den kalten Winter in Deutschland schnell in Vergessenheit geraten. Wir sind hautnah dabei, wenn sich die Bayern-Stars aufwärmen, Torschussübungen absolvieren und in diversen Spielformen am Feinschliff für den Angriff auf Herbstmeister RB Leipzig arbeiten. Auch einige mitgereiste Fans aus München erfreuen sich an den Gegebenheiten, lachen, wenn Thomas Müller auf dem Feld einmal mehr den Spaßvogel gibt, applaudieren, wenn Philippe Coutinho einen Ball in den Winkel schlenzt oder Manuel Neuer die Kugel aus dem Eck fischt.

Anderthalb Stunden dauern die Mittagseinheiten, danach erfüllen die Spieler auf ihrem Weg zurück ins Hotel Autogramm- und Selfiewünsche. Täglich gegen 13 Uhr Ortszeit finden kleine Medienrunden statt, über deren Teilnehmer wir stets am Vorabend informiert werden. Ein über die restlichen fünf Tage immer wiederkehrender Ablauf, der es den Journalisten ermöglicht, sich mit den jeweiligen Redaktionen in der Heimat bestmöglich abzustimmen und der dazu beiträgt, das eigene Tagwerk zeitlich grob sondieren zu können. Aufstehen, duschen, Frühstück, Training, schreiben, Medienrunde, weiterschreiben, Abendessen, gegebenenfalls weiterschreiben, schlafen gehen. Viel Zeit, großartig um die Häuser zu ziehen, Land und Leute kennenzulernen, bleibt nicht.

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